Выбрать главу

«Er ist schon älter, vier Monate vielleicht, deshalb braucht man etwas Geduld«, erklärte Kruso und betrachtete den Schleimzopf, als wäre er ein lebendiges Wesen, auf das er schon länger Jagd gemacht hatte. Das Wesen verjüngte sich nach unten und endete in einem feinen grauen Rinnsal. Kruso benahm sich, wie sollte Ed es nennen: kriegerisch. Er war ein Krieger, ein urzeitlicher Jäger, von kantiger Gestalt, beeindruckender Größe, stark behaart.

«Du blutest«, sagte Ed, erleichtert, etwas entdeckt zu haben, worüber sich reden ließ.

Kruso warf das Messer, ein feines Patschen, und Wasser spritzte Ed ins Gesicht. Das Jagdgerät trudelte der Aluminiummasse des Bestecks entgegen, das den Boden des Beckens bedeckte, fade schimmernd wie ein Schatz, den kein Mensch dieser Welt zu heben bereit war. Dann streckte er den blutigen Arm über das Becken und sah Ed in die Augen. Es war ein Kundschafterblick, ein Blick aus anderen, früheren Zeiten, als man noch im Zelt unter Indianern wohnte oder als Mitglied einer Bande Überfälle plante, streng geheim, ein Blick des Anvertrauens.

Kein tiefer Schnitt. Während Ed den Arm vorsichtig abwusch, das Blut von der Haut und aus den Haaren strich, tropfte kalter Schleim vom Zopf zwischen seine Zehen, aber er rührte sich nicht. Ed war wie gebannt von der Selbstverständlichkeit, mit der Kruso ihn in Anspruch nahm. Etwas daran tat ihm gut, mehr als er verstehen konnte. Mit ihrer Nacktheit hatte es nichts zu tun und natürlich nichts mit dem Anblick seines Geschlechts. Mehr mit dem, was Kruso ihm offensichtlich zutraute, wozu er ihn gebrauchen konnte.

Das Zopftier musste schwer sein; es zitterte leicht an Krusos erhobenem Arm, Krusos Arm zitterte. Es ähnelte einem Lurch oder seiner riesigen amphibischen Larve, die sich demnächst in eine überdimensionale Kröte verwandelt hätte, um das Gitter zu sprengen mit ihrem schleimigen Buckel und ihnen bei der Arbeit in die Waden zu beißen.

«Der Spaten steht am Eingang zum Keller«, sagte Kruso. Diesmal war seine Stimme zu nah, der Satz war nur ein Rauschen gewesen, so dass Ed sich die Worte noch einmal zurechtlegen und einzeln aufrufen musste.

«Der Spaten«, wiederholte Kruso bereits, mit großen, gebleckten Zähnen, als bemühe er sich, deutlicher zu artikulieren. Aber es klang nicht anders, als hätte er» Kaffee «gesagt oder» Untertasse«. Kruso war kein Wilder, er war das Gegenteil eines Wilden, nackt im Abwasch, mit einem unbekannten Tier am Haken. Kruso war geduldig.

«Am-Eingang-zum-Keller«, wiederholte Ed und zog sich rasch eines der Geschirrtücher um die Hüften.

An einer Stelle am Rande, aber noch innerhalb des Gebiets, das Kruso sein Kräuterbeet genannt hatte, vergruben sie den Lurch. Kruso, gehüllt in einen der alten, rosafarbenen Römer, nannte sie die beste Pilzstelle der Welt,»vier Sorten und acht verschiedene Kräuter«. Dann begann er mit seiner Unterweisung. Wie man den Lurch mit einem Ast vom Gitter schlägt. Wie man das Gitter gegen den Baum wuchtet (es war ein bestimmter Baum, Ed sah es an den Verletzungen der Rinde), so lange, bis die dort verhakten Reste vollständig herausgespritzt und so weiter.

Das erste Mal nahm Ed eine Art Dialekt in Krusos Rede wahr. Er sagte» iss «für» ist «und» morr «für» man«, er sagte» efters«(öfters) und etwas sei» bassiert«. Es war eine Art Schwäbisch, teilweise, im Grunde eine archaische Mischung verschiedener Zungenschläge. Nur selten redete er so, nur, wenn er vergaß, darauf zu achten.

Ed gab sich Mühe. Beim Graben rutschte das Geschirrtuch von seinen Hüften. Er lenkte das Tuch am ausgestreckten Bein zur Seite ins Waldgras und arbeitete ohne Unterbrechung weiter. Er wusste selbst nicht, warum es so sein musste. Er empfand seine Scham, aber in diesem Moment war etwas anderes wichtig. Mit bloßen Füßen war es schmerzhaft und beinah unmöglich, ein Spatenblatt in die sandige Erde zu treiben. Ed versuchte, seine Ferse einzusetzen und mit kleineren Stößen Druck auszuüben, er wusste, wie man einen Spaten benutzte. Auch Kruso, der Wurzeln ausriss und den Sand mit seinen Händen beiseitezog, würde die Schwierigkeit nicht verborgen bleiben. Aber jetzt ging es nur darum, zu tun, was zu tun war. Und sich dabei keine Blöße zu geben. Sein Penis war von der Sonne beschienen, sein Hoden ahmte auf die ihm eigene lächerliche Weise die Bewegung des Grabens nach.

Am Ende hob Kruso den Lurch in die Kuhle. Erst jetzt bemerkte es Ed: eine Unzahl langer, offensichtlich menschlicher Haare, von dem das schleimgraue Wesen wie geädert schien; ähnlich dem Gespinst von Blutbahnen auf der Oberfläche eines frisch entblößten Organs. Es gab blonde Haare, die weiß glänzten in der Nachmittagssonne, aber auch schwarze und rote Haare. Ed zögerte, als sei er dazu angehalten, etwas Lebendiges, Lebiges (wie seine Mutter es nannte) zu begraben, aber Kruso sagte» Spaten«, und Ed zog die sandige Erde über den Lurch.

Es folgte ein Moment des Schweigens, in dem das Rauschen der Brandung anschwoll. Erst langsam, dann blitzschnell, ohrenbetäubend — ein graues Düsenflugzeug jagte im Tiefflug über den Dornbusch.»Hier schließt sich der Kreislauf der Freiheit«, rief Kruso, als wolle er eine Grabrede beginnen, seine Stimme im Rauschen.»Wir führen den Stoffwechsel von Mensch und Natur zurück auf die Wurzeln früherer Gemeinschaft. «In seinem rosa Römer ähnelte er dem Urklausner auf dem Foto in der Frühstücksecke, nur Katze und Esel fehlten. Aber Ed war da, immerhin, der sich bückte, um rasch und möglichst unauffällig seinen Schurz vom Boden zu pflücken.

Während sie zurückkehrten zum Klausner, redete Kruso über ein Großsteingrab am Dornbusch und von Feuerstellen, dreitausend Jahre alt, aber noch immer zu erkennen, oben auf dem Swantiberg, der heilige Berg, Thron eines Königs … Kruso sagte» Kehnig«. Ohne Mühe passte er seine Schritte dem Maß des Römers an, sein Gehen hatte die Würde eines Tribuns, während Ed sich gezwungen sah, sein Geschirrtuch immer wieder neu in Position zu schieben — es gab einfach keinen Halt auf seinen Hüften.

«Das Schwarze Loch«, erklärte Kruso und stieg über eine am Giebel des Klausners gelegene Außentreppe in die Tiefe. Zuerst verlor Ed ihn aus den Augen, dann flammte eine Glühbirne auf, deren Porzellanfassung zwischen zwei gusseisernen Schwerkraft-Öfen angebracht war. Das Glas der Lampe war mit Kohlenstaub bedeckt, ihr Lichtkegel beleuchtete einen Haufen zerbrochener Briketts.»Es gibt keinen Lichtschalter an der Tür, man muss zuerst durchs Dunkle, bis hierher, vor den Ofen. «Ein kleines Gelächter ertönte, aber vielleicht täuschte sich Ed. Das Dröhnen der MIG summte noch in seinen Ohren; ihn fröstelte.

Den Öfen gegenüber stand eine Reihe verschieden großer, halb zerbrochener Schränke.»Unsere Asservaten«, rief Kruso,»und hier, das Archiv!«Er drückte Ed ein Paar Pepitahosen vor die Brust, dünn und mit einem Stoffband als Gürtel, wie sie auch der stumme Rolf und Koch-Mike trugen. Ed hätte die Hosen nicht vor Kruso anprobieren wollen, aber jetzt tat er es. Wenn er irgendeine Fähigkeit besaß, dann diese: Er konnte spüren, was von ihm erwartet wurde; er konnte empfinden, wie die Welt der anderen beschaffen war. Er hatte dabei Momente genauester Ahnung, er konnte verstehen, und er konnte sich danach verhalten, wenn er wollte. Vielleicht war das eine Art Ersatz — dafür, dass ihm ein bestimmter Wesenszug fehlte, etwas, das Menschen einander näherbrachte, das sie miteinander verband.

Das erste Paar war viel zu groß, und auch beim zweiten und dritten Versuch sah Ed aus wie ein Zwerg in den Hosen eines Clowns. Anprobe und Einkleiden hießen die Schritte. Freitag bekam sein Ziegenfell. Nachdem die passende Hose gefunden war, legte ihm Kruso eine lange, weiße Kochjacke über die Schultern. Ed spürte Krusos Blick, das Wohlgefallen.