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„Nein, jetzt gebe ich dich nicht dem Henker!“ — sprach der König. „Ernsthaft und aufrichtig verlangt es mich nach dem außergewöhnlichen Erlebnis. Du hast mich erzürnen wollen. Doch ich weiß meinen Zorn zu bezähmen, bis seine Zeit gekommen ist. Ich sage dir: sprich, dann rettest du vielleicht nicht dich allein. Deine Rede darf sogar an Majestätsbeleidigung grenzen; im übrigen hast du eine solche bereits begangen. Diesmal aber muß die Beleidigung so ungeheuerlich sein, daß sie in Schmeichelei umschlägt, die ihrerseits durch ihr Übermaß zur Schmähung wird. Versuch es also, deinen König zu gleicher Zeit und im gleichen Anhieb zu erheben und herabzusetzen, zu vergrößern und zu verkleinern!“ Da wurde es still. Die Anwesenden vollführten ganz feine Bewegungen, so, als wollte jeder nachprüfen, wie fest ihm derKopf noch auf dem Halse sitze.

Der dritte Weise schien tief nachzusinnen. Endlich sagte er: „O König, ich erfülle dein Begehr. Warum? Das will ich dir offenbaren. Ich tue es für mich und für alle hier Versammelten, aber auch für dich. Denn die Nachwelt soll nicht sagen, es hätte einen König gegeben, der um einer Laune willen im Reich die Weisheit ausgetilgt habe. Selbst wenn dies jetzt noch zutrifft, selbst wenn dein Wunsch kaum etwas zu bedeuten hat oder gar nichts, dann obliegt es mir, deinem flüchtigen Gelüst Wert zu verleihen, Größe und Dauer. Deshalb werde ich reden…“„O Greis, genug dieser Einleitung, die schon wieder an Majestätsbeleidigung grenzt, ohne sich im mindesten der Schmeichelei zu nähern!“ — sprach der König voll Zorn. „Jetzt rede!“

„O König, du mißbrauchst die Macht!“ — entgegnete der Greis. „Alle deine Übergriffe sind gleichwohl noch gar nichts gegen jene, die dein längstverflossener, dir noch unbekannter Ahnherr begangen hat, der Begründer der Eparidendynastie. Dieser dein Urururahn namens Allegorian hat gleichfalls die monarchische Macht mißbraucht. Sein größtes Verschulden will ich dir erklären. Deshalb bitte ich dich, du mögest zu diesem nächtlichen Himmelszelt aufblicken, das du durch die Oberfenster der Palasthalle sehen kannst.“ Der König blickte in den sternklaren Himmel, und der Alte fuhr in seiner Rede fort:“Sieh hin und höre! Alles, was es gibt, wird zum Gegenstand des Spottes. Dagegen ist die höchste Würde nicht gefeit. Denn bekanntlich wagt ja dieser oder jener sogar des Königs Majestät zu bespötteln. Gelächter zielt auf Throne und Staaten; Völker verspotten einander oder sich selbst. Sogar das, was es gar nicht gibt, ist zuweilen verhöhnt worden. Hat man nicht über die mythischen Götter gelacht? Auch sehr ernste und sogar tragische Erscheinungen bieten Stoff zu Späßen. Man denke nur an den Friedhofshumor, an das Witzeln über Tod und Tote. Im übrigen haben die Attacken des Hohns auch vor Himmelskörpern nicht haltgemacht. Man beachte etwa die Sonne oder den Mond. Wie werden sie oftmals dargestellt? Der Mond als hagerer Schlaumeier mit zipfeliger Narrenkappe und vorstehendem Sichelkinn, die Sonne aber als pausbäckiges biederes Dickerchen mit zerzaustem Strahlenkranz. Und dennoch, — obwohl das Reich des Lebens und das Reich des Todes und große wie kleine Dinge dem Spott als Zielscheibe dienen, gibt es eine Sache, worüber noch niemand zu spotten oder zu lachen gewagt hat. Dabei ist sie nicht einmal ein Ding von solcher Art, daß es sich leicht vergessen oder übersehen ließe. Denn diese Sache ist alles, was es gibt; ich spreche nämlich vom Kosmos. Und wenn du darüber nachdenkst, o König, dann wirst du begreifen, wie lächerlich der Kosmos ist.“

Hier staunte König Globares zum erstenmal. Mit wachsender Aufmerksamkeit lauschte er den Worten des Weisen. Dieser aber sprach:“Der Kosmos besteht aus Sternen. Das klingt ziemlich ernst. Doch gründlicher durchdenken wir die Sache wohl schwerlich ohne verstohlenes Lächeln. Denn wahrlich, was sind denn die Sterne? Feurige Kugeln, schwebend in ewiger Nacht… Scheinbar ein erhabenes Bild. Wieso? Auf Grund seines Wesens? Durchaus nicht, sondern seiner Ausmaße wegen.Doch die Ausmaße können nicht allein über die Wichtigkeit eines Phänomens entscheiden. Wird denn etwas Bedeutsames aus dem Gekritzel eines Idioten, wenn du es von dem Blatt Papier auf ein ausgedehntes Flachland überträgst?

Stumpfsinn bleibt Stumpfsinn, wenn er vervielfältigt wird. Nur überhöht sich dann auch seine Lächerlichkeit. Der Kosmos ist Kritzelei aus x-beliebigen Punkten und Doppelpunkten. Wohin du auch blickst, wohin du auch greifst, — nur dies und sonst nichts. Die Eintönigkeit der Schöpfung dürfte wohl der trivialste und platteste Einfall sein; der sich nur ausdenken läßt. Getüpfeltes Nichts, und dies bis in alle Unendlichkeit! Wer verfiele auf etwas so Einfallsloses, wenn das Ganze erst jetzt zu erschaffen wäre? Wohl nur ein Idiot! Da nimmt jemand unermeßliche Räume voll Garnichts und tüpfelt sie, einmal ums andere, wie es sich gerade trifft! Und einem solchen solchen Aufbau werden Ausgewogenheit und Majestät nachgerühmt! Wir müssen vor ihm auf die Knie fallen? Höchstens aus Verzweiflung über seine Unwiderruflichkeit! Das Ganze erwächst ja lediglich aus Nachäfferei des eigenen Anfangs! Dieser Anfang hinwiederum war die geistloseste aller nur möglichen Handlungen. Denn was kann einer tun, eine Feder in den Händen und vor sich ein leeres Blatt Papier, wenn er nicht weiß, nicht die blasseste Ahnung hat, womit er es ausfüllen könnte. Mit Zeichnungen? Dann gilt es zu wissen, was sich zeichnen ließe. Und wenn einem nichts in den Sinn kommt? Wenn jemand keinen Schimmer von Vorstellungsgabe aufweist? Nun dann, wie von selbst senkt sich die Feder aufs Papier und erzeugt in unwillkürlicher Berührung einen Tüpfel. Und angesichts der glotzenden Geistlosigkeit, die ja mit solcher Impotenz des Schöpferischen einhergeht, stellt dieser einmal gesetzte Tüpfel ein Muster auf. Es wirkt zwingend, da ja absolut nichts anderes vorhanden ist; und da es sich mit geringster Anstrengung bis ins Unendliche wiederholen läßt. Wiederholen, ja, aber wie? Aus Tüpfeln ließe sich ja Gefüge zusammenstellen. Aber wenn man auch dazu unfähig ist? Dann bleibt nur eins: in solcher Unfähigkeit die Feder zu schwingen und Tintentröpfchen zu versprühen, so daß sich alles mit beliebigen, blindlings gesetzten Tüpfeln füllt.“ So sprach der Weise, tauchte eine Feder ins Tintenfaß, nahm ein großes Blatt Papier und bespritzte es etliche Male mit Tinte. Dann zog er aus seinem Gewand eine Sternkarte hervor und zeigte beide Blätter dem König. Die Ähnlichkeit war frappierend. Das Papier, wies Milliarden von Pünktchen auf, größere und kleinere, denn bald reichlicher, bald dem Austrocknen nahe hatte die Feder gekleckst. Und der Himmel auf der Karte bot sich genauso dar. Vom Thron aus schaute der König beide Papierbögen an und schwieg. Der Weise aber setzte fort:“O König, du wurdest belehrt, das Weltall sei ein unendlich herrlicher Bau, gewaltig in der Majestät seiner sternduchschossenen Weiten. Doch schau hin auf diese ehrwürdige, allgegenwärtige, allüberdauernde Konstruktion! Ist sie nicht das Werk unübertrefflicher Dummheit, das Gegenteil des Denkens und der Ordnung? Du wirst fragen, warum dies bisher niemand bemerkt hat. Warum? Weil dieser Stumpfsinn ja alles umfaßt! Doch diese seine Allgemeinheit verlangt nur um so himmelschreiender nach Verspottung und nach distanzierendem Gelächter. Solches Gelächter ist ja zugleich auch der Vorbote der Auflehnung und der Befreiung. Es wäre zweifellos wohlgetan, just in diesem Sinne auf das Weltall ein Pasquill zu verfassen, worin dieses Erzeugnis äußerster Geistlosigkeit die gebührende Abfuhr bezöge, auf daß sich ihm künftig kein Chor andächtiger Seufzer verbinde, sondern ironisches Gelächter!“