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1. Dom: Dach zerstört und Kreuzgang beschädigt.

2. Theater: in Schutt und Asche gelegt.

3. Bischöfliches Palais: ausgebrannt.

4. Stadthaus: ausgebrannt.

5. Justizgebäude: Dach verbrannt.

6. Schloß, Museum: völlig ausgebrannt.

7. Bibliothek: teilweise ausgebrannt.

8. Offizierskasino: ausgebrannt.

9. Eisenbahnverwaltung: teilweise zerstört.

10. Invalidenhaus: völlig ausgebrannt.

11. Kegler-Sportheim: Dach schwer beschädigt.

Mit anderen Worten, dabei legte die Frau kennerisch den Kopf schief: Der Gegner verfügte über so viele Luftaufnahmen, daß er sich ein genaues Bild schaffen konnte. Und Kornitzer verstand: Die akribisch genaue Dokumentation der Angriffe war das produktive Gegenteil des wilden Wütens der deutschen Luftwaffe über London und anderen englischen Städten. Später hörte er, die Engländer hätten sich an photographischen Aufnahmen von Mainz aus dem Jahr 1934 orientiert, die vom Verkehrsverein Mainz e. V. in alle Welt verschickt worden waren, wenn man sie nur anforderte.

Der schwerste Angriff mit einem Bombergeschwader von 500 Maschinen war am 27. Februar 1945. Über 33.000 Menschen seien obdachlos geworden, hätten sich im Umland verkrümeln müssen. (Seltsam, von den Toten hörte Kornitzer nichts.) 75 Prozent der Städtischen Verkehrsbetriebe seien lahmgelegt gewesen: die Gebäude ausgebrannt, die Schienenstränge, die Straßenbahnen unbrauchbar. Gas, Strom und Wasser funktionierten nicht mehr. Vor dem Städtischen Krankenhaus und in der Kaiserstraße habe es Löschteiche gegeben, die aber nicht ausreichten, die meisten Hydranten waren trocken. Nach jedem Großangriff habe man kilometerlange Schlauchleitungen zum Rheinufer legen müssen, um die Brände zu löschen. Sie seien in einem erbarmungswürdigen Zustand gewesen, viele kleine Wasserfontänen seien aus ihnen gesprudelt, an denen die Anwohner ihre Eimer füllten, um selbst kleinere Brände zu löschen. Nur die Wehrmacht habe über einige Tanklöschfahrzeuge verfügt. Der Hauptbahnhof sei betriebsbereit geblieben, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter hätten den Schutt wegräumen müssen. Danach habe es keine zerstörungswürdigen Objekte mehr in der Stadt gegeben, war die Meinung in der Bevölkerung. Ein Behelfslazarett sei in den sicheren Gewölben der Zitadelle eingerichtet worden. In der Nacht zum 18. März 1945 gegen zwei Uhr habe das Pionierbataillon 33, das in Mainz-Kastel seinen Standort hatte, die drei Rheinbrücken gesprengt, die den ganzen Krieg überstanden hätten: die Kaiserbrücke, die Straßenbrücke, die Südbrücke, in Budenheim fackelte ein Pionierkommando die Holzbrücke ab. Die Mainzer hätten mit ohnmächtigem Zorn am Morgen danach die Zerstörung besehen, Trümmerteile hätten aus den Fluten des Flusses geragt und die Schiffahrt für lange Zeit unmöglich gemacht. Auch das Flußschwimmbad sei der Zerstörungswut zum Opfer gefallen. Ein altersschwacher Rheindampfer sei als einzige Verbindung ins Rechtsrheinische übriggeblieben. Diese Fährverbindung von der Anlegestelle der Köln-Düsseldorfer aus habe vor allem den höheren Parteichargen und ihren Familien gedient, die sich absetzen wollten. Man munkelte, die meisten seien im Bayerischen untergetaucht. Die Gestapostelle in der Kaiserstraße 31 hatte sich schon einige Zeit vorher abgesetzt. Am 22. März seien dann schon die Amerikaner am Fischtorplatz gestanden. Es kam Kornitzer vor wie ein Pfeifen im Dunklen. Er aß sein Brötchen, auf das er klumpige Marmelade gekleckst hatte, mit Appetit und fragte sich dann ins Landgericht durch.

Zu seinem ersten Arbeitstag war eine kleine Feier vorbereitet worden. Der Landgerichtspräsident stellte ihm seine zukünftigen Beisitzer vor, was Kornitzer gleich gefiel, ihm wurde sein Dienstzimmer im ersten Stock zugewiesen, das auf ein mit Brettern vernageltes Fenster der gegenüberliegenden Kirche sah. (Später lernte er, daß diese Kirche St.-Peters-Kirche heißt.) Die dreischiffige Rokokokirche war ausgebrannt, das Mauerwerk teilweise eingestürzt, ein Notdach war darüber gespannt, sie sah zum Erbarmen aus. Er blickte in die Verhandlungsräume, die Richtertische mit einem gefältelten Volant gegen die Angeklagten- und Zeugenbänke abgedichtet, Räume, die Kornitzer, der in Stuben gelebt hatte, plötzlich unsäglich groß vorkamen, Räume für Mammutprozesse mit einer Öffentlichkeit weit in die Stadt hinein. Die Kollegen betrachteten ihn, was in ihren Köpfen vorging, konnte Kornitzer sich nicht vorstellen, und er wußte ja auch nicht wirklich, was in seinem eigenen aufgeregten, aufgewühlten Kopf vorging, was er sich alles merken mußte. Hände wurden geschüttelt, und jemand, vermutlich der Präsident, aber daran erinnerte sich Kornitzer dann nicht mehr richtig, sagte: Die Herren werden sich noch miteinander bekannt machen. Das machten sie auch, mehr oder weniger, früher oder später. Es war ein Abwarten, Zögern, ein Wittern, dem man standhalten mußte. Er würde darüber Claire, sobald er ein wenig Ruhe gefunden hatte, schreiben. Kornitzer lernte Wachleute kennen, Justizangestellte, Assessoren und Referendare. Am ehesten fiel ihm ein Richter auf, der eine Vertiefung an der linken Stirnseite hatte, offenbar hatte er eine schwere Kopfverletzung überlebt. Er wurde ihm als Dr. Funk vorgestellt, und um seine Hand zu ergreifen, mußte man sich tief herabneigen, was ungewöhnlich war. Dr. Funk saß in einem Selbstfahrer, einem hölzernen Kastenstuhl mit großen Rädern, seine Beine waren unter einer Pferdedecke verborgen, als fröre er dauernd in den gefühllosen Gliedern, und er bewegte den Stuhl vorwärts, indem er einen Hebel auf- und niederdrückte. Das machte ihm offenkundige Schwierigkeiten, und Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Später erfuhr Kornitzer, daß Dr. Funk zu 100 Prozent kriegsverletzt war, aber unbedingt weiterarbeiten wollte, möglicherweise war ihm die Kriegsbeschädigtenrente zu gering. Seine Leistungsfähigkeit war schwer beeinträchtigt, und deshalb hatte er das Amt eines Grundbuchrichters inne, er konnte keinen Sitzungsdienst übernehmen. Mit dem Selbstfahrer erreichte er gar nicht alle Sitzungsräume, das Gerichtsgebäude hatte keinen Fahrstuhl.

Das Grundbuch war eine feine Sache, es war eine ganz und gar deutsche Sache, darauf konnte man stolz sein. Das römische Recht kannte das Grundbuch nicht, obwohl es im alten Rom mit seinen imperialen Gesten auch eine feine Sache gewesen wäre. Nur in ihrer Kolonialverwaltung in Ägypten haben die Römer schon einmal das Grundbuch erfunden (vielleicht weil die ägyptischen Latifundien so schön waren mit ihrem Palmengefächel und ihrem heißen Wind, der den Kopf vernebelte). Alle Urkunden über Grundstücke wurden an einer zentralen Stelle gesammelt, allerdings war die Eintragung in das Grundbuch nicht die Voraussetzung für den Erwerb des Eigentums, vielleicht war es nur eine Kontrollfunktion, damit im Wüstenwind das Gedächtnis nicht schmölze.

In Deutschland wurde das Grundbuch 1872 eingeführt, es gab nach dem Krieg 1870/71 genug Krüppel mit einigermaßen klarem Verstand, denen man die sorgsame Arbeit am Grundbuch anvertrauen konnte. Das Grundbuch hat immer Recht, doch es kann unrichtige Eintragungen enthalten. Es nennt zum Beispiel einen Eigentümer eines Grundstücks, der in Wirklichkeit gar nicht mehr der Eigentümer ist. Wer dann mit dem falschen Eigentümer, der im Grundbuch eingetragen ist, Geschäfte macht, der ist geschützt. Er kann gutgläubig Eigentum erwerben, eine Hypothek oder eine Grundschuld übernehmen, und der wahre Eigentümer hat das Nachsehen. Das Grundbuch ist eine Art von bürgerlicher Bibel, und der Grundbuchrichter ist ein Engel mit flammendem Schwert, auch wenn er gelähmt ist, in sitzender Haltung verharren muß und kriegsbedingte Dellen in seinem Schädel hat. Einigung und Eintragung in das Grundbuch heißen die Aufgaben des Verkäufers und des Käufers eines Grundstückes oder eines Hauses. Aber das war in Mainz nicht so leicht. Gesetzt den Fall, ein Käufer wollte ein Trümmergrundstück erwerben, dessen Eigentümer im Keller des Hauses bei einem Angriff zu Tode gekommen war, dessen einer Sohn in Rußland vermißt war: Was war zu tun? Er übernahm den Trümmerhaufen. Mit den eventuellen Erben des Vorbesitzers, mit dem vielleicht aus der Gefangenschaft zurückkehrenden anderen Sohn war eine Einigung schwierig. Leicht war es dagegen, die Einvernehmlichkeit mit dem Toten herzustellen, der im Grundbuch eingetragen war und sich nicht wehren konnte gegen den Reibach. So war das deutsche Recht. Da mußte der Grundbuchrichter aufpassen wie ein Luchs.