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»Gern«, sagte er.

O’CONNOR

Die eine ging, der andere kam.

Wenige Minuten, nachdem Wagner zurück in die Stadt gefahren war, traf Aaron Silberman ein. Lavallier hatte sich unterdessen auf das Vorfeld Fracht West begeben, um wenigstens bei der Landung der Kanadier dabei zu sein. O’Connor wusste, dass weder der Hauptkommissar noch Bär begeistert von der Idee waren, einem Berichterstatter des White House Einblick in den Fall zu gewähren. Bär stellte Silberman dennoch ein paar Fragen, aber auch der Journalist hatte von Kuhn nichts mehr gehört oder gesehen seit dem gemeinsamen Frühstück am Tag zuvor.

Danach zeigte sich Silberman neugierig und Bär sehr beschäftigt. Er verbot dem Korrespondenten, ein Wort über die Sache verlauten zu lassen, und überantwortete ihn der Gesellschaft O’Connors, der ihn nach kurzem Überlegen in die Bar des Holiday Inn schleppte.

Während sie die wenigen Schritte hinübergingen, vorbei am Gebäude der Verwaltung, kämpfte O’Connor seinen Missmut herunter. Er war es gewohnt, dass man ihn des Zynismus, der Gleichgültigkeit und diverser schlechter Angewohnheiten bezichtigte. Aber nicht eines profanen Verbrechens! Es war einfach ungehörig, ihm Schlimmeres zu unterstellen als degoutantes Verhalten. Man mochte ihn einen Chauvinisten nennen, gut. Man hatte ihn als manirierten Parvenü, als dekadentes Arschloch und versoffenen Bastard tituliert, besten Dank! Rüpel, Schwätzer, Weiberheld, alles in Ordnung! Was immer den Ruf des Parkettschurken förderte, wurde unter Hochziehen der linken Braue als Kompliment verbucht.

Ihn jedoch wie einen Kleingauner zu verhören und terroristischer Handlungen zu verdächtigen – indiskutabel! Und es außerdem zu schaffen, dass er sich zu persönlichen Äußerungen hatte hinreißen lassen, allein dafür gehörte Lavallier geohrfeigt!

Mit vor Wut steifen Schritten stakste er vor Silberman dahin. Das Spiel nahm Züge an, die ihm nicht gefielen. Dennoch hätte er leben können mit seiner verletzten Eitelkeit, wäre da nicht noch etwas anderes gewesen. Etwas, das ihn zutiefst beunruhigte. Eine lauernde Vermutung, die plötzlich zur Gewissheit wurde.

Jemand hatte ihn ausgetrickst.

Dass er am Morgen den Finger auf ein mögliches Verbrechen gerichtet hatte, um sich nun als Verdächtiger wiederzufinden, war absurd. O’Connor bezweifelte nicht, dass man in Paddys Wohnung das ominöse Schreiben gefunden hatte. Dass es von Paddy stammte, schon eher. Paddy hatte keinen Grund, ihn auf diese Weise in Misskredit zu bringen. Bis gestern hatte er nicht einmal ahnen können, dass O’Connor ihm über den Weg laufen würde. Warum sollte er einen derartigen Unsinn verfasst haben?

Um O’Connors Glaubwürdigkeit zu untergraben?

Das war es! Hinter Paddys Verschwinden und der Entführung Kuhns steckte mehr als die Vergangenheit eines untergetauchten IRA-Aktivisten. Aber genauso sollte es aussehen. Wie eine Fehde im innersten Kreis des irischen Separatismus, die den Flughafen nur zufällig betraf.

Und ihn benutzten sie dazu!

Zielstrebig steuerte O’Connor den Tresen an und brachte zwei Hocker in Stellung.

»Was möchten Sie trinken, Aaron? Irischer Whisky empfiehlt sich eigentlich immer, wenn man ein Problem zu lösen hat. Und wir haben mehr als eines, wie mir scheint.«

Vom Moment der Begrüßung an, als Silberman mit bestürzter Miene die Polizeiwache betreten hatte, waren sie automatisch zum Vornamen übergegangen. Es war die amerikanische Art, vertraulich zu werden, ohne dass es der Vertrautheit bedurfte. Nichts Verbindliches, aber praktisch, wenn es etwa darum ging, gemeinsam eine Bar aufzusuchen und Dinge wie Entführungen oder Terroranschläge zu diskutieren.

Silberman sah skeptisch drein.

»Ein bisschen früh für Whisky, würde ich sagen.«

»Alles, was jenseits der Ein-Uhr-Marke liegt, ist als Abend zu betrachten«, sagte O’Connor. »Wir sind eigentlich spät dran. Ich kenne Gegenden in Sligo, da geht der eine Abend in den anderen über.«

»Ich bin wohl eher Amerikaner«, lächelte Silberman. »Die irische Form von Glück ist mir, fürchte ich, zu strapaziös.«

»Das haben Sie falsch verstanden«, sagte O’Connor geduldig. »Die Iren sind nicht glücklich. Sie haben sich für den Genuss entschieden. Er hält länger vor. Nebenbei, kommen die Amerikaner nicht alle irgendwie aus Irland?«

»Nicht die schwarzen.«

»Ach ja. Umso mehr ein Grund. Zwei Jamesons.«

Der Barmann wirkte verwirrt. Dann erhellte sich seine Miene. Er griff hinter sich und förderte eine Flasche Tullamore Dew zutage.

»Stopp«, sagte O’Connor.

»Das ist irischer Whisky«, sagte der Barmann schüchtern.

»Das tut man in den Kaffee, Sie Wasserspeier. Gut, versuchen wir’s mit Schottischem. Was haben Sie an Single Malts?«

»Glenfiddich?«

Es war deprimierend.

»Für mich ein Tonic Water«, sagte Silberman und putzte seine Brille. »Ich glaube übrigens nicht«, fügte er zu O’Connor gewandt hinzu, »dass Sie hier fündig werden. Es sei denn, Sie steigen auf Bourbon um.«

»Das wäre mein Ende. Geben Sie mir ein Bier.«

»Jedenfalls bin ich Ihnen dankbar, dass Sie mich angerufen haben.« Silberman hielt die Brille prüfend gegen das Licht und setzte sie wieder auf. »Kuhn ist ein guter Freund. Diese Geschichte macht mir große Sorgen. Ich fürchte nur, ich werde Ihnen kaum weiterhelfen können.«

»Wie sagt die Polizei so schön?«, grinste O’Connor. »Jede Kleinigkeit kann weiterhelfen.«

Silberman lächelte sein freundliches, breites Lächeln.

»Nun, Zeit habe ich mitgebracht«, sagte er. »Wir können immerhin unseren Verstand bemühen. Ich wäre sowieso in zwei Stunden hier gewesen.«

»Stimmt, Sie sind ja akkreditiert. Wann kommt denn eigentlich der POTUS?«

POTUS war die geläufige Bezeichnung für den amerikanischen Präsidenten. Besonders Journalisten, die CIA und der Secret Service wussten das zu schätzen. Es ging schneller, mehrmals hintereinander POTUS zu sagen als jedes Mal President Of The United States.

»Die planmäßige Ankunft ist für zwanzig nach sieben vorgesehen«, sagte Silberman. »Bei Clinton weiß man das nie so genau. Er liebt kleine Überraschungen.« Er nahm einen Schluck von seinem Tonic Water. »Wie auch immer, er ist der Präsident. Zeigen Sie mir doch mal diese Nachricht, die Kuhn geschickt hat.«

O’Connor reichte ihm den Zettel mit der Abschritt. Silberman las sie mit gerunzelten Brauen. Seine Lippen bewegten sich ohne Ton.

»Klingt bedrohlich.«

»Ich pflichte Ihnen bei. Irgendwelche spontanen Assoziationen?«

»Warten Sie mal. Jemand schießt. Es wird geschossen, um Hilfe gerufen, und Kuhn ist in dieser Wohnung, also wird er bedroht oder ist Zeuge, wie jemand bedroht wird.«

»So weit waren wir auch schon. Was ist mit dem Rest?«

»Ich muss gestehen, das sagt mir gar nichts.«

»Mir aber schon.«

»Ach!«, staunte Silberman. »Und was?«

»Ich weiß es nicht.«

Der Korrespondent runzelte die Stirn.

»Moment. Haben Sie nicht gerade…«

»Doch! Idiotisch, was? Jedes Mal, wenn ich draufschaue, weiß ich, es ist etwas völlig Vertrautes. Wie ein Gesicht, das man hundertmal gesehen hat, ohne sich erinnern zu können, wo.« O’Connor stürzte die Hälfte seines Biers herunter und wischte sich den Schaum von der Oberlippe. »Puh, grauenhaft! Wissen Sie, Aaron, ich starre auf diese Buchstaben, und sie sagen: Warm, Liam. – Ganz warm. – Heiß! – Die Lösung aller Fragen steht auf diesem Blatt Papier, und ich kann sie nicht lesen.«

»Na ja.« Silberman drehte den Zettel zwischen seinen Fingern. Dann las er die Nachricht ein weiteres Mal. »Kuhn hat sich hier und da verschrieben. Ein Zeichen, dass er unter Stress stand.«