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»Das konnte ja nicht klappen.«

»Oh, es hätte klappen können! Es waren ja nicht mal so sehr die Serben, die am lautesten dagegen protestierten. Interveniert hat Montenegro. Aber die Vereinigten Staaten haben es damals möglicherweise für gut befunden, nicht ganz mit dem Belgrader Regime zu brechen. Wenn Sie meine Meinung hören wollen, hatte Clinton nicht das mindeste Interesse an diesem Krieg. Er ist ein großer Harmonizer, unser Willie, kein Feldherr.«

»Ich dachte, Holbrooke hätte schon letzten Sommer mit Bomben gedroht.«

»Hat er. Weil Amerika davon ausging, mit dem Bluff durchzukommen. Gelang ja auch. Wir hatten dieses schöne Abkommen, Milosevic rief ein paar Truppen zurück, und die OSZE richtete eine feine Mission im Kosovo ein. So weit, so gut.«

»Verstehe. Oder auch nicht.« O’Connor schüttelte den Kopf. »Vielleicht würden Sie mir mal was erklären, Aaron.«

»Wenn ich kann.«

»Warum hofiert man ein Arschloch wie Milosevic?«

Silberman nahm einen Schluck Bourbon und ließ ihn einige Sekunden in der Mundhöhle. »Eine schöne Frage«, sagte er. »Ich will versuchen, eine Antwort darauf zu finden. Nein, es gibt eine Antwort! Sie ist denkbar einfach. Wir hofieren ihn, weil wir so sind, wie wir sind.«

»Oh.«

Silberman lächelte.

»Wir sind westlich. Das ist überhaupt das Problem dieses ganzen Krieges. Wir können uns darüber streiten, ob wir schon früher oder überhaupt hätten eingreifen sollen, aber fest steht, dass alles, was wir getan haben, unserer westlichen Denkart entspricht. Sehen Sie, zu Beginn der Neunziger wurde das Kosovo schon auf die Tagesordnung der Verhandlungen gesetzt. Sie erinnern sich, die JugoslawienKonferenz. EU und UNO in hübscher Eintracht. Übrigens auch ein Beispiel für den Unwillen Washingtons, die europäischen Probleme zu amerikanischen zu machen. Die Parole hieß damals: ›We got no dog in this fight‹. Ende ’95 hatten wir dann die Bosnien-Konferenz.«

»Dayton.«

»Richtig. Spätestens dort ist auch dem Letzten klar geworden, dass der Krieg ins Kosovo zurückkehren würde, nur weil die Serben da vor über sechshundert Jahren eine Schlacht verloren haben. Ach was, ‘89 war das schon klar, als Milosevic die Autonomie des Kosovo aufhob! Scharen von Experten, Journalisten und Menschenrechtlern haben vorausgesagt, was jetzt passiert ist. Auch die westlichen Geheimdienste wussten das. Sie trugen dieses akademische Wissen mit sich herum, und zugleich gingen sie ihrer eigenen Mentalität auf den Leim. Wollen Sie wissen, was in Dayton passiert ist? Ein Mann trat auf, weltgewandt, jovial und kompromissbereit. Ein rational kalkulierender Staatsmann, der mit Marodeuren vom Schlage eines Karadzic oder Mladic nichts gemein hatte. Slobodan Milosevic. Sofort rastete das typische Wahrnehmungsmuster ein, das unseren westlichen

Demokratien so eigentümlich ist. Man hatte im Haufen der Fundamentalisten den Vernünftigen erkannt! Man war stolz darauf! Mit diesem Mann konnte man reden, der war zivilisiert. Wissen Sie, speziell wir Amerikaner sehen alles Fundamentalistische, was sich jenseits der Balkangrenze bewegt, als geifernden Fanatiker mit schwarzem Bart, glühenden Augen, erhobener Kalaschnikow und einem religiös bis nationalistisch verblendeten Rudiment von Verstand. Aber dieser Mann war anders. Darum haben wir ihn hofiert. Weil er sich als westlicher Staatsmann verkleidet hat. Milosevic war sein eigenes Trojanisches Pferd, und wir haben ihn aufs diplomatische Parkett gerollt, anstatt ihm rechtzeitig ein paar Backpfeifen zu verpassen und ihn gar nicht erst so weit kommen zu lassen. Dummer, dummer Westen. Dumme, dumme Psychologie.«

O’Connor lächelte. Silbermans Charakterisierung war nach seinem Geschmack. Der Korrespondent hatte Recht. Und wiederum hatte er Unrecht.

»Glauben Sie nicht, dass es gar nicht so sehr darum geht, ob Clinton den Krieg gewollt hat?«, sagte er. »Mir kommt es manchmal so vor, als habe der Westen jahrzehntelang an einem Symbol seiner selbst gebaut, und merkwürdigerweise kam dabei der Präsident der Vereinigten Staaten heraus. Ich meine, den POTUS zu töten, ist für jemanden, der dem Westen eine verpassen will, immer richtig, oder?«

Silberman schwenkte seinen Bourbon.

»Da haben Sie leider Recht. Aber da ist der Westen selbst schuld. Wer sich heute darüber beklagt, Amerika habe die Nato-Intervention dominiert, sollte sich in Erinnerung rufen, wie erbärmlich die EU in Bosnien versagt hat.« Er machte eine Pause. »Sie haben Recht, und vielleicht will ich es einfach nicht wahrhaben. Aber wenn uns die Pferde nicht durchgegangen sind und Köln-Bonn wirklich Gefahr läuft, Schauplatz eines Anschlags zu werden, dann gilt er mit einiger

Sicherheit Clinton.« Er sah auf die Uhr und verzog das Gesicht. »Und zwar in ziemlich genau zweieinhalb Stunden.«

SPEDITION

»Nicht ganz zweieinhalb Stunden«, sagte Gruschkow zu Jana. »Etwas weniger.«

Er war soeben in der Spedition erschienen, frisch und ausgeruht. Bei dieser Gelegenheit sah er zum ersten Mal den angeketteten Lektor. Er verzog das Gesicht und nahm Jana beiseite.

»Was wollen wir noch mit dem?«, fragte er.

»Wir müssen ihn nicht töten«, entgegnete Jana. »Wir müssen ja nicht jeden gleich umbringen.«

»Dafür haben Sie den Penner vor vier Monaten ziemlich gründlich abserviert. Woher die plötzlichen Skrupel?«

»Der Penner musste sein. Wir brauchten einen Test am Objekt.«

Jana sah hinüber zu dem zusammengesunkenen Lektor. Er wirkte müde und deprimiert. Aus der Entfernung sah es aus, als döse er, aber sie wusste, dass er jede Kleinigkeit um sich herum mit nervöser Aufmerksamkeit verfolgte.

»Er ist nicht dumm«, sagte sie. »Ich dachte, er sei ein Feigling, aber er hat eigentlich nur Angst vor seiner eigenen Courage. Dafür was auf dem Kasten. Ich weiß nicht, ob wir ihn noch brauchen.«

Gruschkow verzog die Mundwinkel.

»Sie wissen sehr genau, dass wir ihn nicht mehr brauchen. Sie wollen ihn nicht töten, das ist alles. Na ja. Sie sind der Boss. Gehen wir an die Arbeit.«

Er richtete eine Fernbedienung auf die Längsseite der Halle, die zum Hof hin lag. Ein metallisches Rasseln erklang, als sich die Hälften des großen Tores in Bewegung setzten und auseinander glitten.

Tageslicht fiel herein und überschwemmte die trübkalte Neonatmosphäre. Ein leichter Wind drang ins Innere. Aus einem postkartenblauen Himmel brannte die heiße Junisonne herunter. Mit Blick ins Freie sah man nun auch, dass sich die Schienen, auf denen der YAG ruhte, bis weit in den Hof hinein erstreckten und kurz vor der Mauer endeten.

Gruschkow nickte hochzufrieden.

»Könnte nicht besser sein.« Er trat hinaus ins Sonnenlicht und schaute aus verengten Lidern in den Himmel. Dann drehte er sich zu Jana um.

»In Ordnung«, rief er. »Fahren Sie das Ding ab.«

Jana trat zu der Schaltkonsole, die am rückwärtigen Ende des YAG aus dem Boden wuchs. Die Oberfläche teilten sich ein dicker grüner und ein ebensolcher roter Knopf. Sie drückte den grünen Knopf und richtete den Blick auf den YAG.

Ein Generator sprang summend an. Mit kaum wahrnehmbarem Ruckeln setzte sich die zwölf Meter lange und fast ebenso tiefe Konstruktion aus aneinander geschweißten Pritschenwagen mit dem riesigen Kasten und den beiden Starkstromaggregaten darauf in Bewegung. Die quer gestellten Räder glänzten schwarz von Öl. Sie rollten beinahe lautlos über die Schienen. Ohne jede Erschütterung glitt das monströse Gebilde aus dem Halleninnern ins Freie und näherte sich der Mauer. Reflexe von Sonnenlicht huschten über den stählernen Mantel des YAG und blendeten Jana.