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Gruschkow lief vor dem Wagen her und hob die Hand.

»Einen Augenblick noch… jetzt gleich… und stopp!«

Jana presste den Handballen auf den roten Knopf. Das Summen des Generators erstarb. Draußen wurde die Konstruktion langsamer und passierte einen Mechanismus in den Schienen. Haken sprangen hervor und klinkten sich in die Räder ein, zogen das Pritschengebilde wenige Zentimeter weiter und stoppten es an einer präzise berechneten Stelle ab. Eiserne Manschetten drückten sich von beiden Seiten gegen die Räder und arretierten sie.

Der YAG hatte seine Position erreicht. Um ihn jetzt noch aus seiner Lage zu verschieben, und wäre es nur um Millimeter gegangen, hätte es eines mittelstarken Erdbebens bedurft.

Gruschkow rannte um die Pritschen herum zu einem knapp drei Meter hohen Holzgebilde von annähernd zwei Quadratmetern Grundfläche. Bei flüchtiger Betrachtung hätte man das Ding für ein Toilettenhäuschen halten können. Er machte sich an den Kanten zu schaffen und löste mehrere Verschlüsse. Nacheinander packte er die holzgezimmerten Wände und ließ sie vorsichtig zu Boden gleiten. Übrig blieb ein nach allen Seiten offenes Gestänge, in dessen Zentrum ein silbriger Dreifuß sichtbar wurde, das exakte Pendant zu dem in der Halle. An seiner Spitze, in Höhe des Lochs in der Schmalseite des Kastens und mit vier Metern Abstand dazu, schimmerte bläulich eine runde, spiegelnde Fläche von dreiunddreißig Zentimetern Durchmesser. Sie ruhte auf einem doppelt handbreiten Metallgehäuse, im Fünfundvierzig-Grad-Winkel gekippt, so dass sie den Himmel reflektierte oder die Öffnung in dem Kasten, je nachdem, von welcher Seite man hineinschaute.

Jana ging mit langsamen Schritten aus der Halle zu Gruschkow und trat zwischen den Dreifuß und den Pritschenwagen.

»Wann starten wir die Generatoren?«, fragte sie.

»In fünf Minuten«, sagte Gruschkow gelassen. »Das reicht. Wir werden ausreichend Leistung haben.«

Sie trat bis dicht vor das Loch in der Ummantelung des YAG. Es war ziemlich genau in Höhe ihres Kopfes. Mit einem eigenartigen Gefühl sah sie hinein und gewahrte in der Dunkelheit das schimmernde Auge des Spiegelteleskops. Sein Durchmesser war nur um ein Weniges geringer als der des Spiegels auf dem Dreifuß.

Sie dachte an den Penner.

»Ich werde gleich noch die Schraubfüße an der Pritschenkonstruktion justieren«, sagte Gruschkow. »Möglicherweise fehlen uns in der Höhe ein, zwei Millimeter. Es ist zwar Erbsenzählerei, aber wir wollen ja im letzten Moment nicht schlampen.« Er sah sie an. »Und? Lampenfieber?«

»Unbekannt. Wann checken wir die Kamera durch?«

»Jetzt. Kommen Sie, wir gehen wieder rein.«

Sie gingen die Schienen entlang zurück in die Halle. Jetzt, wo der YAG nicht mehr darin stand, wirkte sie ungleich größer. Der Lektor an seinem Rohr schien auf die Größe eines Insekts geschrumpft zu sein. Er hatte den Blick an Jana und Gruschkow vorbei nach draußen gerichtet. Jana konnte die Faszination in seinen Augen sehen, die sich zu der Angst und der Niedergeschlagenheit addierte.

Unter anderen Umständen hätte er ihr leid getan. Sonja wäre vor Mitleid vergangen.

Sie betraten den Computerraum. Jedes Mal schien es Jana, als seien neue Rechner und Fernsehschirme aus den Tischen gewachsen. In den Regalen türmten sich Ordner und Stapel säuberlich geschichteter Ausdrucke. Überall erblickte man technische Gerätschaften. Jana trat zu einem der Arbeitstische und ergriff die Nikon, mit der sie bereits auf den Penner gezielt hatte.

Gruschkow schaltete eine Reihe der Geräte ein. Jana richtete die Kamera auf ihn und schaute durch den Sucher.

»Perfekt«, sagte sie.

Von Gruschkow war im Sucher nichts zu sehen. Überhaupt zeigte ihr die Nikon nichts von dem Raum, in dem sie sich aufhielten. Stattdessen sah sie einen Ausschnitt der Halle, ein Stück Wand und einen Teil der Decke. Ihre Finger umfassten den vorderen Ring des Teleobjektivs und drehten ihn langsam.

Draußen in der Halle bewegte sich zeitgleich das Objektiv unter der Decke und übermittelte digitalisierte Informationen in die Nikon. Sie drehte weiter an dem Ring und sah den Lektor im Sichtfenster erscheinen.

Sie zoomte. Der Lektor wurde größer, bis seine Schläfe den Ausschnitt des Suchers vollständig einnahm.

Jana setzte die Kamera ab. Versuchsweise drückte sie gegen den kleinen Hebel, der das Fach für die Batterien öffnete. Beim Standardmodell ließ er sich nach rechts verschieben, und die Batterienklappe öffnete sich. Die umgebaute Version hielt eine Variante bereit. Jana bewegt den Hebel leicht nach links. Aus dem Boden der Kamera schob sich ein dünnes Plättchen von der Größe einer halben Briefmarke und fiel zu Boden.

»Alles wie gehabt«, sagte Gruschkow. »Flutscht raus wie ein Neugeborenes.«

Das Plättchen war ein Mikrochip auf einem Siliziumträger. Einmal im Innern der Nikon installiert, blockierte er die üblichen Funktionen und verwandelte sie stattdessen in eine Steuereinheit, die mit einer Kamera in etwa so viel zu tun hatte wie ein Präzisionsgewehr mit einer Kinderschleuder. Mit Hilfe des Chips konnte die Nikon ein anderswo installiertes bewegliches Objektiv wie das in der Halle fernsteuern. Und mehr noch. Was dieses Objektiv sah, wo auch immer es sich befand, erschien im Sucher. Hatte die Fernsteuerung das Ziel fokussiert, musste Jana nur noch den Auslöser drücken.

Dann, unmittelbar nach dem Attentat, würde sie den Batteriehebel nach links drücken, den Chip herausfallen lassen und zertreten. Danach war die Nikon wieder eine gewöhnliche Kamera. Keine Überprüfung würde etwas anderes ergeben.

»Es ist eine Meisterleistung«, sagte Jana anerkennend.

Gruschkow zuckte die Achseln. Er strich sich über die Glatze und versuchte, einen möglichst gleichgültigen Eindruck zu machen, aber es war offensichtlich, dass er vor Stolz fast platzte.

»Schießen Sie ein schönes Foto«, sagte er.

HOLIDAY INN

O’Connor stützte den Kopf in die Handfläche und strich der Reihe nach Namen durch, die Silberman auf ein Blatt Papier geschrieben hatte.

Systematisch gingen sie noch einmal alle Teilnehmer der G-8- Runde durch. Schröder würde den Flughafen gar nicht erst betreten. Jacques Chirac war grundsätzlich gefährdet, stand aber eher auf der Abschussliste radikaler Moslems. Auch wenn die Abu Nidals dieser Welt zu allen Zeiten in Lauerstellung lagen, war ein moslemischer Anschlag zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sehr wahrscheinlich. Das aktuelle Zeitgeschehen kreiste um den Balkan.

Vor diesem Hintergrund war Tony Blair nach Clinton der zweite extrem gefährdete Staatsgast. Mehr als alle anderen hatte er in dem Konflikt die harte Linie vertreten. Wäre es nach ihm gegangen, hätte es kein Tauziehen um den Bodenkrieg gegeben. Der Hass Serbiens und auch der Unmut Russlands trafen Großbritannien besonders hart.

D’Alema umzubringen, konnte allenfalls die Neomarxisten interessieren. Über Obuchi und Chretien ließen sich keine Aussagen treffen außer der, dass es unsinnig war, einen kanadischen oder japanischen Staatsmann symbolisch in Deutschland zu ermorden.

»Wenn ein solcher Anschlag stattfindet«, erklärte Silberman, der mittlerweile auf O’Connors Portweinmarke umgestiegen war, »ist er streng symbolisch zu werten. Ansonsten gäbe es keinen plausiblen Grund, ihn unter derart schwierigen Vorzeichen durchzuführen. Clinton zum Beispiel ist grundsätzlich gut geschützt, dennoch könnten sie ihn beim Joggen hinterm White House ungleich problemloser wegpusten als hier.«