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Silberman nickte.

»Wie kann ich Sie erreichen?«

»Mobilphone.«

»Warten Sie, ich schreib’s mir auf.«

Silberman notierte die Nummer. Gemeinsam gingen sie nach draußen.

»Wissen Sie«, sagte Silberman, während sie den Parkplatz vor dem Holiday Inn überquerten, »im Grunde bin ich guten Mutes. Erstens hoffe ich immer noch, dass wir in der letzten Stunde Phantome gejagt haben. Zweitens ist Clinton bislang aus allem mit heiler Haut herausgekommen. Kein Präsident hat so viele Anschläge überlebt wie er. Er wird auch diesen jovial beiseite winken.«

»Ich wusste nicht, dass es Anschläge auf ihn gegeben hat«, sagte O’Connor verwundert.

Silberman lächelte.

»Natürlich wissen Sie es. Viele Menschen waren daran beteiligt. Der prominenteste Attentäter heißt Kenneth Starr.«

»Ach so. Der Spermatologe des Präsidenten. Ja, es gibt lustige Berufe in Amerika.«

»Wir sind politisch in einer größeren Krise, als wir selbst glauben«, sagte Silberman. »Starr ist die Frontfigur. Er wird bezahlt. Dahinter stecken der rechtsextremistische Flügel der Republikaner und die ultrarechten Ausläufer. Erzkonservative Milliardäre und Zeitungsverleger. Eine Machtclique, deren gemeinsames Interesse die Vernichtung Clintons ist, angetrieben von Hass. Sie nennen es Gerechtigkeit und Aufklärung, was sie tun. Ich nenne es einen Anschlag auf die Demokratie.«

»Sie haben Recht. Ich war immer der Meinung, der mächtigste Mann der Welt sollte guten Sex haben«, sagte O’Connor. »Ihm das zu untersagen, dürfte vor allem ein Anschlag auf seine politische Gelassenheit sein.«

»Es ist ein Anschlag auf die Amerikaner und die Sicherheit der ganzen Welt. Wussten Sie, dass Starr überhaupt nicht wegen Lewinsky eingesetzt wurde? Er hat in der Whitewater-Affäre ermittelt.«

Whitewater war der berühmteste Investment-Flop der US- Geschichte. Clinton hatte in das Immobilienprojekt während seiner Amtszeit als Gouverneur von Arkansas investiert, was ihn zur Zielscheibe der Republikaner machte. Sie warfen ihm vor, er habe seine Investitionen in betrügerischer Absicht getätigt und seine Rolle in dem dubiosen Projekt vertuscht.

»Aber die Vorwürfe erwiesen sich als unbegründet, richtig?«

»Ja. Das eigentlich Perfide an der Sache ist aber, dass Kenneth Starr, nachdem Whitewater keine Anklage hergab, in seiner Funktion als Sonderermittler bestätigt und mit noch größeren Mitteln und Möglichkeiten ausgestattet wurde. Anders gesagt, der Gegenstand seiner Arbeit war nun nicht mehr ein vorliegender Verdacht, sondern ein zu findender und notfalls herbeizukonstruierender. Es ist, als ob jemand Tag und Nacht Ihr Haus beobachtet in der Hoffnung, Sie irgendwann bei etwas Verbotenem zu erwischen.«

»Und das lässt Ihr Rechtssystem zu?«

Sie hatten die Verwaltung erreicht. O’Connor blieb stehen. Silberman sah hinüber zur Baracke des Polizeireviers.

»Es ist schade, dass wir nicht mehr Zeit zum Plaudern haben«, sagte er. »Um es kurz zu machen, Kenneth Starr hat unsere Justiz korrumpiert. Er hat sie zum Instrument der Politik gemacht und mit ihrer Hilfe den Präsidenten daran gehindert, dem wichtigsten Amt der Welt nachzukommen. Das ist es, was ich mit Anschlägen meine, und dabei geht es nicht darum, wer es wem mit der Zigarre besorgt hat. Sie hier in Europa kennen das nicht. Bei Ihnen treten sich die Parteien der Mitte auf die Füße. Rechtsextremismus lebt noch in der Isolation. Bei uns ist das anders. Unseren Demokraten steht ein wirklich rechter Flügel gegenüber, und er hat einen gefährlichen, gewaltbereiten Rand. Ich würde sagen, unsere konservativen und religiösen Fundamentalisten können dem islamischen Fundamentalismus in jeder Hinsicht die Hand reichen, sie töten Menschen, verüben Sprengstoffattentate auf Abtreibungskliniken, lynchen Andersdenkende und geben ein Heidengeld aus, um Amerika den Teufel auszutreiben. Für sie ist Clinton ein Usurpator, ein tragischer Irrtum, der die alten Werte von christlicher Erziehung, puritanischer Moral und Nationalstolz nie verinnerlicht hat, eine Halbwaise aus Arkansas aus zweifelhaften Verhältnissen, die niemals Präsident hätte werden dürfen.«

O’Connor sah Silberman nachdenklich an.

»Ich will nichts davon verteidigen«, sagte er. »Aber Clinton ist tatsächlich ein feiger Hund. Was die Menschen wütend macht, ist, dass er lügt, nicht, dass er seine Praktikantinnen vögelt.«

»Er lügt ja nicht«, sagte Silberman mit gequältem Lächeln. »Er verdreht die Tatsachen. Darin ist er viel geschickter.«

»Er hat sich immer aus allem herausgestohlen«, schnaubte O’Connor. »Das wissen sogar die dummen irischen Bauern, und die kennen gemeinhin nicht viel mehr von der Welt als das Keimverhalten ihrer Kartoffeln. So etwas macht mich wütend, Aaron, diese Verlogenheit, die offenbar zur politischen Kultur gehört. Ich bin weiß Gott einer, der die Welt mit der Gelassenheit eines Theaterkritikers zur Kenntnis nimmt. Meine größte Betroffenheit gilt dem Umstand, dass die Besetzung so schlecht gewählt ist. Aber ich bin reich. Ich bin Multimillionär. Ich kann aufstehen und gehen. Die Menschen, die Clinton gewählt haben, können das nicht, sie müssen damit leben, dass das Verhältnis ihres Präsidenten zur Wahrheit im besten Fall interessant zu nennen ist. Er war gegen den Vietnamkrieg, aber nur ein bisschen. Er hat einen Joint geraucht, aber nicht inhaliert. Er hat sich einen blasen lassen, aber er hat ihr das Ding nicht reingesteckt. Und wie Clinton sind Dutzende. Hier in Deutschland ist so viel gelogen und ausgesessen worden, dass es mich wundert, die Parteiobersten nicht geteert und gefedert zu sehen. In Irland schweigen wir unsere Probleme einfach tot, wenn wir sie nicht gerade in Blut ertränken. Überall auf der Welt genießen Sie so lange Glaubwürdigkeit, bis man Sie an die Spitze gewählt hat. Danach betrachtet man Sie als gewählten Gauner. Es gibt keine Integrität in der Politik. Wer regiert, lügt. So sehen es die Leute.«

»Und Sie stehen auf und gehen?«

»Allerdings.«

»Warum tun Sie es dann nicht auch jetzt?«

O’Connor starrte ihn an.

»Was ich meine«, sagte Silberman bedächtig, »ist nichts anderes als das, was Sie eben gesagt haben. Es stimmt, Clinton ist feige, politisch ambivalent und von persönlicher Verantwortungslosigkeit geprägt. Aber er ist auch ein guter Politiker. Und er ist ein Mensch. Wenn schon die Tatsache, dass jemand überhaupt in die Politik gehen will, ihn in den Augen seiner Mitmenschen zum potentiellen Lumpen macht, ist das in der Tat bedenklich. Es ist ein Spiegel unserer Zeit. Unsere Freunde in Deutschland mögen politische Karrieristen mit persönlichem Wohlwollen betrachten, aber die wenigsten halten Politiker grundsätzlich für glaubwürdig. Sie halten Kohl für einen Paten und Schröder für einen Emporkömmling. In Amerika ist es noch schlimmer. Wir leben mit der Verachtung und dem Zynismus, der unseren Präsidenten grundsätzlich entgegengebracht wird. Ein Drittel aller Amerikaner verachtet Clinton.« Er machte eine Pause. »Aber dieses Phänomen betrifft die ganze Welt. Wir reden über Anschläge an Flughäfen und vergessen, dass der weltweite moralische Verfall der politischen Kultur die schlimmeren Attentäter wie Starr und seine Hintermänner erst ermöglicht. Wir öffnen den Rechten und Radikalen Tür und Tor, weil die Demokratie schwach und angreifbar geworden ist. Hinter Starrs Inquisition steckt der Versuch, das Amt des Präsidenten selbst zu beschädigen.

Der Kreuzzug gegen Clinton, wie immer man ihn sehen mag, ist eine Offensive gegen einen Mann, der zweimal demokratisch gewählt wurde. Wäre er zurückgetreten, hätte das fatale Auswirkungen gehabt. Es wäre einem rechten Putsch gleichgekommen. Die Methode der persönlichen Vernichtung hätte triumphiert.«

Silberman blinzelte, nahm seine Brille ab und sah O’Connor an. Ohne die Verstärkung durch die geschliffenen Linsen wirkten seine Augen in dem runden, freundlichen Gesicht klein und wie poliert. Analytische Schärfe und das Fehlen jeglicher Sentimentalität sprachen aus seinem Blick.