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Der Mann, der da seinen Artikel ins Gerät diktierte, hatte es auf den Punkt gebracht. Jana war klar, was sich die Kölner Stadtgewaltigen wünschten. Bei allem Augenmerk auf die Protagonisten und politischen Inhalte des Gipfels erhoffte man sich vor allem die weltweite Etablierung eines Stars, und der hieß Köln.

Sie würden sich wundern.

Jana gähnte und überprüfte in einem Schminkspiegel ihr Makeup.

Cordula Malik existierte tatsächlich. Beziehungsweise, sie hatte existiert, wenn auch nur drei Lebensjahre lang. Dann waren sie und ihre Eltern bei einem Brand ums Leben gekommen, Anfang der siebziger Jahre. Mit Akribie und den richtigen Verbindungen ließ sich aus einem solchen Fall ein lebender Mensch gestalten, mit einem beruflichen und persönlichen Werdegang und einem festen Wohnsitz. Mirko hatte sich in den Besitz der Geburtsurkunde gebracht, eine gängige Methode international operierender Verbrecher und Terroristen, wenn sie unter falschem Namen in andere Länder einzureisen beabsichtigten. Eine ganze Reihe weiterer Schritte inklusive der Bestechung ehrbarer Beamter war erforderlich gewesen, um eine quicklebendige, dreißigjährige Journalistin zu erschaffen.

Cordula Malik war dem Grab entstiegen. Eine andere Frau würde dafür abtreten. Eine elegant gekleidete, gut aussehende Italienerin mit langem, rotbraunem Haar namens Laura Firidolfi, die nie zurückkehren würde. Jana empfand leichtes Bedauern. Sie hatte die erfolgreiche Geschäftsfrau gemocht. Laura Firidolfi hätte die würdige Nachfolgerin Sonja Cosics sein könne, aber die Geschichte hatte es anders gewollt.

Cordula Malik trug die Haare kurz und strohig. Vor einer Stunde hatte die Verwandlung mittels Schere stattgefunden, gleich nachdem Jana und Gruschkow die Kamera gecheckt hatten. Firidolfis teures Kostüm war einer ausgeblichenen Jeans und einem bauchfreien T- Shirt mit leichtem Blouson darüber gewichen, deren Farben die Siebziger widerspiegelten, gemäß der augenblicklichen Mode. An den Füßen trug Cordula Turnschuhe von Nike mit verstärkten Sohlen. Derart gekleidet, Augen und Lippen expressiv geschminkt, wirkte sie wie ein etwas verspätetes Girlie, nominell zu alt für den Look, in ihrer äußeren Erscheinung dennoch aufreizend genug, um als Vertreterin der Szene durchzugehen. Über ein Nabelpiercing hatte sie nachgedacht, den Gedanken jedoch verworfen und stattdessen mit Tattoostiften ein keltisches Symbol aufgetragen, das sich aus dem Hosenbund hinaufwand.

Sie sah aus wie die Bilderbuchvertreterin der Spaßgeneration. Eine Medienschlampe, wahrscheinlich furchtbar von sich eingenommen und nicht sonderlich intelligent. Mit Sicherheit die Allerletzte, der man einen Anschlag auf den Präsidenten der Vereinigten Staaten zutraute.

Die Nikon hatte sie zusammen mit einer kleinen Olympus um den Hals hängen, so, dass die Kameras nicht direkt vor ihrer Brust baumelten, sondern über der Hüfte. Ihre Kiefermuskeln spannten und entspannten sich in der Bearbeitung eines Kaugummis. Offensichtlich gelangweilt wanderte sie vor dem Exit auf und ab. Schließlich wurden die Türen geöffnet, und sie wurden nach draußen geführt.

Eine Menge Menschen war unterwegs. Das Sonnenlicht tauchte die Altstadt in warme Farben. Alles sah nach einem schönen frühsommerlichen Abend aus.

Bis auf die geschlossene Wolkendecke, die sich vom anderen Rheinufer näherte.

Regen. Das Einzige, was den Plan gefährden konnte.

Allerdings nur, wenn es wie aus Eimern schüttete. Und selbst dann hätte sie eine weitere Chance.

Dennoch, Regen war schlecht. Er würde sie möglicherweise zwingen, länger zu bleiben, als ihr lieb war. Im Zweifel musste Laura Firidolfi noch einige Tage fortbestehen. Die Verkleidung war kein Problem, aber sie hasste den Gedanken trotzdem.

Kein Regen, dachte sie. Bitte.

»Auch POTUS?«, sprach sie der junge Mann mit den Stoppelhaaren an.

Sie wandte den Kopf. Der andere war mit Kameras behängt wie sie.

»Mhm«, drückte sie zwischen den auf- und abgehenden Kiefern heraus.

»Ich auch«, sagte der Mann. »Von welchem Blatt sind Sie?«

»Kein Blatt«, nuschelte sie. »Bin frei.«

Der junge Mann streckte ihr die Hand hin.

»Peter Fetzer. Kölner EXPRESS.«

»Oh. Die Lokalmatadoren.« Sie hob die Brauen und verstaute den Kaugummi im hinteren Winkel ihrer rechten Backentasche. »Cordula Malik. Wien. Korrespondentin für alles Mögliche.«

»Sind Sie schon lange in Köln?«, fragte Fetzer.

Sie schüttelte den Kopf.

»Ist mein erster Termin«, sagte sie.

Er grinste. »Wundern Sie sich nicht, wenn Sie Bus fahren. Meist fahren wir eine ganz manierliche Strecke, aber es kann Ihnen passieren, dass der blöde Bus Sie einfach nur um die Ecke karrt. Übermorgen, heißt es, geht Clinton in den Dom.«

»Weiß schon«, sagte sie gelangweilt. »Will ich auch hin. Geile Kirche.«

»Dann viel Spaß.« Er wies dorthin, wo die Türme der Kathedrale über die Häuser der Altstadt ragten, und lachte. »Das wird die kürzeste Busfahrt Ihres Lebens.«

Sie lachte zurück und versuchte, es ein bisschen gewöhnlich klingen zu lassen. Natürlich wusste sie genau, wovon er sprach. Alle

Journalisten, die zu einem Gipfelevent wollten, mussten am Heumarkt oder einem anderen Fixpunkt den Bus besteigen, und wenn er nur zehn Meter weit fuhr. Man hatte ein Auge auf die Journalistenpools.

»Vielleicht sehen wir uns ja gleich«, sagte Jana. »Wann kommt denn der Bus?«

»Weiß nicht.« Fetzer schaute sich um und zuckte die Achseln. »Hat offenbar Verspätung. Wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann…«

»Ganz lieb. Komm schon zurecht.«

VERWALTUNG. TECHNIK

Mahder war im Begriff, sein Büro zu verlassen, als O’Connor eintrat. Der Abteilungsleiter trug einen Packen technischer Zeichnungen unter dem Arm und wirkte angespannt.

»Irgendwie macht uns die Gipfelitis alle fertig«, sagte er. »Ich bin froh, wenn es vorbei ist, aber das darf man ja nicht laut sagen, sonst springt einem Stankowski ins Gesicht.«

»Ich wollte Sie nicht aufhalten«, sagte O’Connor.

»Tun Sie nicht. Warten Sie einen Augenblick.«

Mahder ging ins Nebenzimmer. O’Connor hörte, wie er jemanden anwies, die Pläne ins alte Terminal zu bringen. Dann kehrte er mit entschuldigendem Gesichtsausdruck zurück.

»Die Arbeit geht ja weiter«, sagte er. »Oder besser gesagt, sie soll weitergehen, und zugleich dann doch wieder nicht. Meine Leute werden alle zehn Minuten kontrolliert, wenn wir rausfahren.«

»Die Technik wird kontrolliert?«

»Alle werden kontrolliert. Techniker, sonstiges Personal. Die SI kontrolliert uns, die Polizei kontrolliert die SI, der Secret Service kontrolliert die Polizei und wird wiederum von denen kontrolliert, und wenn das BKA nix zu tun hat, kontrolliert es wahrscheinlich noch sich selbst.« Er verzog das Gesicht. »Und das ist nur das amerikanische Kapitel. Dasselbe Spiel werden wir in drei Tagen erleben, wenn Jelzin kommt, dann haben wir die Kosaken am Hals, und morgen werden uns die Engländer und die Franzosen auf die Nerven gehen. Alle drehen durch. Haben Sie von Strack gehört?«