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Ach nein. Das ging ja nicht. Jedenfalls nicht so.

»Ich kann da nicht reingehen«, sagte er.

Die Stewardessen warfen einander hilflose Blicke zu und lächelten synchron. O’Connor überlegte. Wenn es gelang, das Lächeln aller Stewardessen des bekannten Universums zu synchronisieren und in einem Resonator rückzukoppeln, müsste man einen gebündelten Freundlichkeitsausstoß von unvorstellbarer Intensität erhalten! Man würde pausenlos gefragt werden, ob man noch etwas trinken wolle.

»Wir möchten Sie ganz herzlich in Köln-Bonn willkommen heißen, Dr. O’Connor«, sagte eine Stimme, die empirisch keiner der beiden Stewardessen zuzuordnen war.

Erneut veränderte O’Connors Körper seine Position. Sein Wahrnehmungsvermögen schleifte ein wenig hinterher und produzierte Bilder von seltener Rätselhaftigkeit auf der Netzhaut – auch die Masse der Stewardessen schien unendlich geworden zu sein. Dann sah er wieder klar. Ein Mann mit Litzen und Gold auf der Mütze strahlte ihn an. O’Connor beschlich der Verdacht, es müsse sich um den Piloten handeln, aber beweisen ließ sich das natürlich erst nach aufwendigen Messungen.

»Wenn Sie sich Frau Schiffer anvertrauen wollen«, sagte der mathematisch nicht nachgewiesene Pilot, »werden Sie jetzt in die Luft hansa-Lounge geführt, wo Ihr Begrüßungskomitee und ein Willkommenscocktail auf Sie warten.«

Täuschte er sich, oder hatte ihn der andere beim Wort Willkommenscocktail blöde angegrinst? Es gab keine Veranlassung, über Alkohol Witze zu machen. Nicht, wenn die unmittelbare Gefahr bestand, in einem harmlos aussehenden Gang von elektromagnetischen Kräften umgetrieben zu werden.

Es half alles nichts. O’Connor räusperte sich.

»Ich werde jetzt eine andere Wellenform annehmen«, sagte er nicht ohne Würde, drehte sich langsam um und betrat den Gang mit Todesverachtung. Es ging ein wenig abwärts, und tatsächlich wurde er, ganz wie er es vorausgesehen hatte, ein bisschen schneller. Oben und Unten machten Anstalten, die Plätze zu tauschen, beließen es jedoch bei einer leichten Krümmung des Kontinuums. Sonst tat sich nichts Bedenkliches.

»Dr. O’Connor!«

Was war jetzt schon wieder?

»Würden Sie bitte… Könnten wir wohl das Glas hier behalten?«

Er stutzte. Erst jetzt fiel ihm auf, dass seine Rechte etwas umklammert hielt. Sein Langzeitgedächtnis identifizierte den Inhalt als irischen Whisky. Das Kurzzeitgedächtnis kam hinzu, versuchte zu präzisieren, seit wann er das Glas mit sich herumschleppte, gelangte zu keinem Resultat und verzog sich wieder.

O’Connor dachte nach.

»Nein«, sagte er.

Hinter sich konnte er sie tuscheln hören. Etwas in der Art wie, um

Himmels willen, er kann doch nicht mit dem Glas, das geht doch nicht, ach was, lass ihm doch das dämliche Glas, wenn er dran hängt, ja, aber die Sicherheitsbestimmungen, und so weiter und so fort.

Ach ja, die Sicherheitsbestimmungen. Wieder drehte sich O’Connor um. In seinem ganzen Leben hatte er sich noch nicht so oft in einem fort herumgedreht wie hier.

Das Lächeln der Stewardessen war von ungetrübter Herzlichkeit. Eine von beiden betrat die Röhre und drückte ihm einen Aktenkoffer in die freie Hand.

»Den haben Sie vergessen«, sagte sie freundlich. »Ich bringe Sie jetzt zur Lounge, Dr. O’Connor. Das Glas dürfen Sie behalten.«

»Herzlich willkommen in Köln-Bonn«, wiederholte der Pilot und winkte. »Würde uns freuen, Sie mal wieder an Bord zu haben.«

Die zweite Stewardess sagte nichts und lächelte weiter, aber ihr Blick ging eigene Wege. Er sagte, Herzlich willkommen, Dr. O’Connor. Es würde uns freuen, wenn Sie draußen in einen Haufen Hundescheiße treten und auf die Fresse fallen.

Hatte er irgendwas gemacht?

»Habe ich irgendwas gemacht?«, fragte er die Stewardess, die theoretisch Frau Schiffer sein musste, weil sie ihm voraus- und er ihr hinterherging. Seit wann taten sie das? Wie lange waren sie schon in der Röhre unterwegs? Sekunden? Stunden?

Sie schüttelte den Kopf und sah ihn aus grünen Augen an, während sie unaufhaltsam der Kurve zustrebten.

»Sie haben gar nichts getan, Dr. O’Connor.«

»Lügen Sie mich nicht an«, sagte er sehr bestimmt. »Die Frau da ist ganz anderer Meinung.«

»Nun ja.« Frau Schiffer bleckte die Zähne. »Sie sind doch Physiker, stimmt’s?«

»Ja. Warum?«

Sie zuckte die Achseln.

»Na, dann werden Sie Frau Klum wohl zu rein wissenschaftlichen Zwecken in den Hintern gekniffen haben.«

Sie erreichten die Kurve. Während O’Connor noch fieberhaft überlegte, wie er darauf antworten sollte, beschrieb sein Körper eine makellose Neunzig-Grad-Drehung und folgte Frau Schiffer auf ihrem Weg zur Passkontrolle.

»Wissen Sie, was ein Teilchenbeschleuniger ist?«, rief er beglückt.

Sie sah sich zu ihm um und hob die Brauen.

»Ja. Ich schätze, so was wie Sie.«

1998. 04. DEZEMBER. LIGURIEN. TRIORA

»Es könnte tatsächlich so etwas wie ein mathematisches Exempel werden«, sagte Jana. »Ich habe oft darüber nachgedacht, ob man unsere Arbeit in Formeln ausdrücken kann. Etwas Verbindliches, das uns sagt, ob der Wahnsinn unterm Strich mehr als null ergibt.«

»Sie glauben, es ist Wahnsinn?«, fragte Mirko.

»Ja. Sie nicht?«

»Kommt drauf an. Können Sie die Person töten?«

Jana antwortete nicht sofort. Mit langsamen Schritten gingen sie durch das Passagenwerk aus mittelalterlichen Arkaden, Durchlässen und Bogengängen des Quartiere della Sambughea. Die Gasse wurde schmaler und endete vor einem halbverfallenen Haus. Im düsteren Labyrinth des ältesten Viertels von Triora war sonst niemand unterwegs um diese Zeit. Jana hatte das Dorf in den ligurischen Bergen aus mehreren Gründen vorgeschlagen. Sie hatte am Nachmittag geschäftlich in San Remo zu tun, keine dreißig Kilometer entfernt, und Triora lag auf dem Weg. Vor allem jedoch waren sie hier ungestört. Niemand interessierte sich für zwei serbisch sprechende Touristen, die offenbar der finsteren Vergangenheit des Ortes nachspürten, dem

Schrecken der dreißig Frauen, die 1587 im Auftrag der kirchlichen Inquisition und eines Kommissars aus Genua hier zu Tode gefoltert worden waren.

Mirko war in den frühen Morgenstunden auf dem Turiner Flughafen gelandet und von einem jungen Mann erwartet worden, dem er sich vereinbarungsgemäß als Signor Bi^ic vorgestellt hatte. Der Mann geleitete ihn daraufhin zu einer Mercedes-Limousine und ließ ihn auf dem Rücksitz Platz nehmen. Mirko hatte sich nicht die Mühe einer Konversation gemacht, während sie Turin verließen, ein Stück Autobahnring entlangfuhren und dann auf die A4 in Richtung Cuneo abbogen. Der Bursche war nur ein Chauffeur mit dem Auftrag, ihn zu einem bestimmten Ort zu bringen. Es überraschte Mirko keineswegs, als der Wagen wenige Kilometer vor Asti auf einen Parkstreifen fuhr, wo ihn ein anderer Mann in Empfang nahm, ein Yuppie-Typ mit elegantem Anzug, akkurat gescheiteltem Haar und Hornbrille. Die Fahrt ging weiter, diesmal in einem silbergrauen Alpha 164, schweigsam bis auf einige wenige Floskeln, die sie austauschten und deren Inhalt sich vornehmlich um die Schönheit der Landschaft und die hervorragenden Weine des Piemont drehten. Mirko war davon überzeugt, Janas legendären Finanzdirektor neben sich zu haben, mit dem er bis jetzt nur über Mittler in Kontakt getreten war, aber er stellte keine entsprechenden Fragen. Da er von Wein nicht viel verstand, versickerte die Konversation nach wenigen Kilometern und wich meditativem Schweigen.