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Natürlich, dachte O’Connor, so schlau bin ich auch. Ich habe nur keine Lust, auf das verdammte Dach hinauszuklettern.

»Wie kommt man aufs Dach, Herr Pecek?«

»Nennen Sie mich Jo. Alle nennen mich so. Bin’s nicht anders gewohnt.« Pecek sah ihn skeptisch an. »Es wäre gut zu wissen, wohin aufs Dach«, sagte er. »Das Dach ist groß.«

O’Connor ließ das Geländer los und sah nach oben. Pecek hatte Recht. Er konnte Wochen damit zubringen, auf dem Dach herumzukriechen.

Denk nach, Liam!

Der Spiegel muss so installiert sein, dass er eine schnurgerade Verbindung zu dem anderen Spiegel am Frachtflughafen ermöglicht. Es muss diesen zweiten Spiegel geben! Egal, was Mahder sagt. Paddy muss es gelungen sein, an einem der dortigen Gebäude einen weiteren Spiegel zu installieren, wie immer er das angestellt hat.

Damit kam hier nur eine Stelle in Frage.

»Dort vorne«, sagte er und zeigte in die Richtung, wo die tragende Strebe aus dem Hallenboden ins Dach mündete.

Pecek kniff die Augen zusammen. Dann zog er ein großes Taschentuch hervor und schnäuzte sich geräuschvoll. Allmählich begann er O’Connor auf die Nerven zu gehen mit seiner Behäbigkeit. War Mahder verrückt geworden? Hatte er chinesisch gesprochen, als er dem Abteilungsleiter gesagt hatte, was passieren würde?

»Da gibt’s einen Ausstieg«, sagte Pecek, während er das Taschentuch sorgfältig wieder zusammenlegte und wegsteckte. »Kommen Sie, ich zeig’s Ihnen.«

O’Connor folgte dem Techniker und zwang sich, nicht hinunterzusehen. Das Gerüst erzitterte unter jedem Schritt. Sie erreichten das Ende der Plattform, wo Längs- und Schmalwand des Terminals aneinander stießen, und O’Connor fühlte sich von leichtem Schwindel erfasst. Nicht genug dessen, dass es unter ihm sechzehn Meter abwärts ging, narrten ihn die Glasflächen und suggerierten ihm, in der leeren Luft zu stehen, nur wenige Zentimeter entfernt vom Abgrund. Er wusste, dass die Scheiben ihn schützten, aber sein Unterbewusstsein erhielt die Information, er stehe am Ende einer Planke und werde hinabstürzen.

Unwillkürlich trat er einen Schritt zurück.

Pecek grinste. Anscheinend amüsierte ihn O’Connors Höhenangst.

Er löste eine dünne Stange aus einer Halterung und drückte dagegen.

Dicht über ihnen schwang ein Rechteck von etwa vier Quadratmetern nach außen. Pecek griff über sich und zog eine Aluminiumleiter herab.

»Nach Ihnen«, sagte er.

O’Connor zögerte. Er spürte, wie ein Kribbeln seine Leistengegend durchzog.

»Warum gehen Sie nicht vor?«, sagte er. »Sie wissen ja, was wir suchen.«

Pecek schenkte ihm einen mitleidigen Blick. Dann kletterte er die Leiter hoch und durch die Luke nach außen. O’Connor sah, wie er sich aufrichtete und zu ihm herunterblickte.

»Kommen Sie nun, Doktor? Ich sehe keinen Spiegel, aber ich sehe wahrscheinlich nicht richtig hin.«

Er hat ihn getarnt, du Irrtum der Evolution, hätte O’Connor am liebsten nach oben gerufen. Mit einem tiefen Durchatmen zwang er die Furcht zurück und umfasste die Sprossen der Leiter.

»Es ist sicher hier oben«, hörte er Peceks Stimme. »Kann nichts passieren. Nach Ihnen werden noch Dutzendschaften hier rumlaufen und nach dem Rechten sehen, also seien Sie nicht so ein Hasenfuß!«

Der Techniker lachte. O’Connor biss die Zähne aufeinander und setzte den linken Fuß auf die unterste Sprosse.

Höhenangst. Fallangst.

Nichts konnte schlimmer sein. Er hatte mitunter Träume, in denen er auf der Spitze eines Turmes balancierte, einer winzigen Fläche, die ständig kleiner wurde, bis er sich nicht mehr halten konnte und kippte…

Entschlossen kletterte er nach oben.

Wind und Regen schlugen ihm ins Gesicht. Er zog sich aus der Luke und sah sich um. Hinter ihm erstreckte sich das Dach Hunderte von Meter weit. Es hatte tatsächlich etwas von einer Ziehharmonika. Oder erinnerte an ein Blatt, das man in parallelen Linien dutzendfach geknickt und dann auseinander gezogen hatte. Zwischen den erhabenen Falzen verliefen schmale stählerne Stege, auf denen man sich fortbewegen konnte, so geschickt angeordnet, dass man sie von unten nicht sah. Wer aus der Abflughalle nach oben blickte, gewahrte nur Glas.

Auf einem der Stege stand Pecek und winkte ihn heran. Sie waren direkt vor der Dachkante. Zu beiden Seiten des Winkels ging es steil abwärts. Tief unter ihnen lag das Vorfeld. Winzige Menschen bewegten sich darüber. Autos wie Modelle. O’Connor sah auf das sternförmige Gate, das ein Stück entfernt aus dem alten Terminal herauswuchs, und erschauderte. Von hier oben wirkten selbst die angedockten Jumbos wie Spielzeuge.

Nirgendwo gab es einen Schutz. Kein Geländer, nichts.

»Und?« Pecek schien bester Laune. Er trat bis dicht an die Kante und sah hinab. »Wo fangen wir an?«

»Gleich an der Ecke«, sagte O’Connor. Seine Füße schienen wie festgeschweißt. Unter Aufbietung aller Willenskraft bewegte er sich tastend zu dem Techniker und versuchte, den Abgrund zu ignorieren, aber es war beinahe unmöglich. Zu seiner Rechten ging es mindestens zwanzig Meter in die Tiefe. Schaute er nach vorne, war es nicht anders.

Pecek balancierte mühelos ein paar Schritte weiter und ging in die Hocke. Sein Oberkörper beugte sich über die Kante. O’Connor wurde schlecht vom Hinsehen.

»Kein Spiegel«, rief er.

O’Connor richtete den Blick in den Himmel und dann dorthin, wo der Super-Runway begann. Je weiter er in die Ferne schaute, desto besser ging es. Eine Maschine der Lufthansa kam herangeschwebt. Auf Höhe des Terminals war sie bereits tiefer als O’Connor.

»Versuchen Sie es direkt an der Spitze«, sagte O’Connor.

»Geht klar, Chef.«

Pecek rutschte einen Meter weiter und untersuchte das Gestänge. Seine Hände glitten über das rund gebogene Metall.

Plötzlich hielt er inne.

»He, Doc.«

»Was ist, Jo?«

»Ich weiß nicht, ob es das ist, was Sie suchen. Hier ist eine Klappe eingelassen. So was hat hier eigentlich nichts verloren.«

O’Connor fühlte, wie ihn eine Welle der Erregung erfasste. Für einen Moment vergaß er seine Angst. Mit unsicheren Schritten tastete er sich zu Pecek und ging neben ihm in die Hocke.

»Wie groß?«

»Zwei Handbreit, würde ich sagen.«

»Können Sie sie öffnen?«

Pecek beugte sich weiter vor und ließ ein Ächzen hören.

»Es… geht ein bisschen schwer«, keuchte er.

»Seien Sie um Himmels willen vorsichtig.«

Pecek keuchte noch lauter. Dann lachte er zufrieden auf.

»Was ist?«, rief O’Connor atemlos. »Was haben Sie gefunden?«

Pecek grinste ihn an. »Wie sind Sie bloß darauf gekommen, Doc? Woher konnten Sie das wissen?«

»Was ist da?«

»Am besten, Sie werfen selbst einen Blick drauf. Warten Sie.« Der Techniker erhob sich und trat einen Schritt zurück. »Robben Sie vor. Es ist zu eng für uns beide. Ich sichere Sie von hinten.«

O’Connor sog seine Lungen voller Luft. Dann ließ er sich auf Hände und Knie herunter und schob sich zentimeterweise bis zum Rand.

»Gleich können Sie’s sehen«, sagte Pecek.

Was hieß gleich, um Himmels willen? Glaubte Pecek, er hätte Flügel?

Seine Angst hielt ihn mit tausend Händen zurück. Es bereitete ihm beinahe körperliche Schmerzen, dagegen anzugehen. Er reckte den Kopf ein Stück vor und sah die schimmernde Fläche der Front senkrecht in die Tiefe stürzen. Tief unten auf dem sandigen Vorplatz, der das neue Vorfeld vom Terminal trennte, nahmen sich die Menschen wie Ameisen aus.

Sein Blick suchte das Gestänge ab.

»Ich sehe nichts«, rief er.

»Es ist in dem Rohr darunter.« Der Wind schien Peceks Worte herüberzuwehen. »Ein wenig zurückversetzt. Ein Stück noch, dann haben Sie’s. Keine Angst, ich passe auf.«