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Inzwischen hatte Clinton zu gewissen Grundsätzen zurückgefunden und sogar die Schlacht gegen die republikanische Inquisition für sich entschieden. Paradoxerweise war es gerade das von den Republikanern hochstilisierte Monicagate, aus dem Clinton gestärkt und selbstbewusst hervorgegangen war. Am Ende stand wieder der gute alte Bill aus Arkansas, ein unbändiger Optimist, der unkonventionell und an Instanzen vorbei Entscheidungen fällte und sich keinen Deut um formale Kanäle scherte. Was einerseits gut war, weil er überhaupt etwas entschied, und aus denselben Gründen schlecht, weil niemand genau wusste, mit wem sich der Präsident gerade über welches Thema unterhielt. Clinton fragte um Rat, wen er wollte. Solange er dachte, es sei der Richtige, fragte er auch den Nachtwächter oder die Putzfrau.

Entsprechend verdankte er seine Informationen über Köln wahrscheinlich auch nicht dem mühevoll zusammengestellten Expose, das eigens für ihn angelegt worden war. Er hatte wieder alle möglichen Leute gefragt. Morris hatte dies gesagt, ein anderer jenes. Clintons Bild der Wirklichkeit war wie üblich fragmentarisch, und wie üblich würde der Präsident dennoch das Beste daraus machen.

Hierin, das wussten Guterson und alle, die um den Präsidenten herum waren, lag seine eigentliche, geniale Stärke. Er würde Köln das Gefühl geben, die schönste und für ihn persönlich wichtigste Stadt der Welt zu sein. Jeder Kölner, dem er in die Augen sah, würde den Eindruck davontragen, etwas ganz Besonderes zu sein.

Nicht anders hatten wohl die Menschen in Paris empfunden, von wo die Air Force One vor zwanzig Minuten gestartet war. Nach seinem Lunch mit Chirac war der Präsident Eis essen gegangen. Clinton auf der Terrasse eines Bistros, schäkernd mit der Serviererin, dann der unprotokollarische Kopfsprung in die Menge, Hände schütteln, quatschen. Das war Clinton. Der Traum vom anfassbaren Star, der Alptraum seiner Leibwächter.

Guterson schlug die Beine übereinander und sagte geringschätzig:

»Morris war garantiert noch nie in Köln. Er hat keine Ahnung. Es wird Ihnen gefallen, Mr. President.«

»Mir gefällt das Programm«, sagte Clinton. »Schröder ist ein viel lustigerer Bursche als Kohl. Er hat den besseren Schneider und mag die Stones, und seine Frau gibt einem nicht ständig das Gefühl, auf eine Breitwandprojektion zu starren. Sehr nette Leute.«

»Sie wollen wirklich auf das Stones-Konzert?«, fragte Guterson.

»Warum nicht? Wann ist das noch gleich? Am Sonntag! Seien Sie nicht so langweilig, Norman. Immer kommen Sie mit dem ewigen Sicherheitsgezänk. Ich weiß noch nicht, ob ich hingehe, irgendwann wollten die Schröders mit Hillary und mir zum Essen–«

»Mr. President…«

»Aber ich hab Chelsea versprochen, es möglich zu machen, wenn es irgendwie klappt. Sie geht auf jeden Fall.« Der Präsident reckte die

Arme und gähnte. »Sie können das nicht begreifen, Sie haben keine Kinder.«

»Nein, Sir.«

»Wie viel Verspätung haben wir jetzt?«

»Etwa zwanzig Minuten.«

»Das ist ärgerlich, Norman. Das nächste Mal informieren Sie mich am Boden darüber, dass wir zu spät sind, und nicht erst in der Luft. Es ist Ihre Aufgabe und die des Protokollchefs, das heißt, eigentlich ist es mir egal, wessen Aufgabe es ist, jedenfalls habe ich keine Lust, mir auch noch Abflugtermine merken zu müssen.«

»Tut mir leid, Mr. President«, sagte Guterson. »Es kommt nicht mehr vor.«

Clinton lächelte versöhnlich. Auch das war bemerkenswert an ihm. Kurzen Gewittern folgte fast augenblicklich Sonnenschein. Er konnte recht deutlich werden, aber er war niemals nachtragend. Tatsächlich hatte das Protokoll es versäumt, ihn rechtzeitig über die Verspätung ins Bild zu setzen. Sicherheitschecks waren der Grund gewesen, nicht zuletzt verursacht durch Clintons übermäßig langes Bad in der Pariser Menge, aber natürlich konnte das nicht das Problem des Präsidenten sein.

Die Air Force One flog eine Kurve und ging weiter runter. Guterson schaute aus dem Fenster, aber außer einer Wolkendecke sah er nicht viel. Er mochte es, wenn Clinton während der Landung hier saß und nicht in seinen Räumlichkeiten war. Die Air Force One bot dem Präsidenten und seiner Familie eine komplett eingerichtete Suite mit einem komfortablen Schlafzimmer, Ankleidezimmer, Bad und Dusche und WC, außerdem ein voll eingerichtetes Büro. Darüber hinaus gab es ein Esszimmer für die Präsidentenfamilie und ihren Stab an Bord, das auch als Konferenzraum benutzt wurde. Möglichkeiten, sich zurückzuziehen, boten sich viele, und viele Präsidenten hatten sie genutzt. Clinton war dafür zu bodenständig.

Er hing lieber mit den Security-Leuten und der Crew herum und schwatzte.

»Wie ist das Wetter?«, fragte er beiläufig.

»Es regnet«, sagte Guterson.

»Ich will auf jeden Fall in diese Brauerei.«

Auch das war typisch. Die schnellen Themenwechsel. Clintons Verstand war rastlos, er hatte immer mehrere Sachen gleichzeitig im Kopf. Guterson war auf die Sprunghaftigkeit des Präsidenten eingestellt. Langweilig war es nie mit Clinton. Der Präsident war ein blitzschneller Denker, der aus dem Stand heraus improvisierte und ein hohes Maß an Kreativität entwickelte. War er in der richtigen Stimmung, bekam man eine Menge Spaß mit ihm. Staatsbesuche mit Clinton waren immer eine Mischung aus ernsthafter Politik und der Vorbereitung einer Studentensause inklusive dreckiger Witze, alberner Streiche und konspirativem Gejohle.

Folgerichtig hatte der Präsident zuallererst die unterhaltsamen Seiten Kölns erspürt. Als man ihm die Mentalität der Kölner auseinander setzte und ihm erzählte, in der Stadt gäbe es eine Reihe uriger Brauhäuser und ein angenehm schmeckendes Bier, war er Feuer und Flamme gewesen.

»Wir müssen so ein Ding besuchen«, hatte er gesagt und Guterson in die übliche Verzweiflung gestürzt. Wenigstens hatte er es überhaupt angekündigt. Es war schwer genug gewesen, ihm ein bisschen Rücksichtnahme auf die Menschen anzugewöhnen, die sich um seine Sicherheit zu kümmern hatten und über Spontanbesuchen in öffentlichen Gaststätten und unabgesprochenen Bädern in der Menge graue Haare bekamen. Dabei lag es dem Präsidenten fern, diese Menschen zu brüskieren. Er hatte nur einfach Präsident werden und trotzdem weiterhin so leben wollen wie der nette Bursche von nebenan, der schnell mal mit Freunden ein Bier trinken oder joggen geht, wenn ihm danach ist. Irgendwie, obwohl er den Job nun lange genug machte, konnte oder wollte Bill Clinton nicht begreifen, warum der mächtigste Mann der Welt einen eingeschränkteren Handlungsspielraum haben sollte als ein Student.

Also hatten sie Wochen vorher damit begonnen, Kölns Brauhäuser abzuklappern, um den Besuch des Präsidenten vorzubereiten. Sie checkten die Malzmühle, das Päffgen, das Brauhaus Sion und die Küppers Brauerei, schauten sich um und aßen die Speisekarten rauf und runter. Natürlich wusste Clinton, was sie taten. Dennoch schärften sie den Gastwirten ein, die Sache vertraulich zu behandeln und niemandem davon zu erzählen, dass möglicherweise irgendwann zwischen dem 17. und dem 22. Juni der Präsident der Vereinigten Staaten hereingeplatzt käme und Kölsch bestellen würde. Sie wollten Clinton nicht den Spaß verderben. Es sollte spontan wirken. Für Clinton war es ein Vergnügen, für seinen Stab ein weiteres Steinchen im Gefüge der präsidentialen Wurstigkeit. Sie wussten, dass so etwas gut in der Öffentlichkeit ankam. Wenn der Präsident plötzlich ein Kölsch trinken wollte, sollte er eben plötzlich ein Kölsch trinken gehen, je plötzlicher, je lieber.

Da unten, dachte Guterson, während die riesige Maschine tiefer und tiefer ging, scheint jedenfalls alles in Ordnung zu sein. Sie hatten keine gegenteiligen Meldungen erhalten. Er schloss für eine Sekunde die Augen. Wirklich entspannt war er nie. Als Sicherheitschef des amerikanischen Präsidenten war man nicht entspannt. Man war vielleicht gelassen, aber immer in höchster Bereitschaft. Selbst an Bord des bestausgestatteten und bestbewaffneten Passagierflugzeugs der Welt. Vier Jahre lang hatten Generäle, Sicherheitsexperten, Geheimdienstler und Ingenieure an dem vierhundert Millionen Dollar teuren Überflieger getüftelt. Die Air Force One war Regierungssitz und fliegende Festung in einem. Ausgerüstet mit Warnanlagen und Abwehrsystemen gegen radar- und hitzegelenkte Raketen. So isoliert, dass ihr Kommunikationsnetz selbst gegen elektromagnetische Störungen nach Atombombenexplosionen immun war. Vierhundert Kilometer Kabel liefen durch den Bauch der Air Force One, sechzig Antennen, Dutzende abhörsicherer Telefone, Funk und Fax verbanden das Präsidentenflugzeug mit der Außenwelt. Wenn Clinton wollte, konnte er sich aus zehntausend Metern Höhe mit dem Kommandanten eines Atom-U-Boots auf Tauchstation unterhalten. Auf neunzehn Fernsehschirmen empfing die Air Force One Bilder aus der ganzen Welt. Zehn Piloten waren immer an Bord, der Proviant reichte für zweitausend Mahlzeiten, es gab einen OP und ein Team hoch qualifizierter Ärzte, die mitflogen, wenn Clinton auf Reisen ging. Heute war außerdem eine knappe Hundertschaft Agenten des Secret Service mit an Bord. Und es gab noch ein paar Tricks, die die Air Force One auf Lager hatte und über die man nicht sprach. Entsprechend wurde draußen spekuliert, über Rettungskapseln bis hin zu nuklearer Bewaffnung. Andrews Air Force, die Home Base, hüllte sich in beredtes Schweigen, aber so oder so war klar, dass es wahrscheinlich keinen sichereren Platz in der Welt gab als dieses Flugzeug.