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Es war das Gerüst, auf das er O’Connor geschickt hatte. Wohl wissend, dass es dort oben keinen Spiegel gab. Hierin hatte der Doktor geirrt. Es hätte gar keinen dort geben können, die Höhe reichte nicht aus. Die beiden Spiegel, die Paddy und Jo unter seinem Schutz in mehreren Nächten installiert hatten, waren woanders. Niemand würde sie finden. Niemand wusste davon. Mahder hatte die Einsätze nicht gemeldet, also hatten sie nicht stattgefunden.

Alles, was noch schief gehen konnte, war, dass O’Connor auch dieses Rätsel löste.

Falls er noch Rätsel lösen konnte.

Mahder ging näher heran. Die Gestalt lag reglos auf den Pritschen. Über ihr war eine der gläsernen Dachplatten in Scherben gegangen. Wie es aussah, war O’Connor durch das Dach ins Innere gebrochen und drei Meter tief auf das Gerüst gestürzt. Das war nicht viel. Aber möglicherweise genug für eine Gehirnerschütterung, bestenfalls für einen Genickbruch.

Zeit. Sie brauchten Zeit.

Hinter sich hörte Mahder hastige Schritte. Er drehte sich um und sah mehrere Sanitäter, einen Polizisten und eine Polizistin auf sich zurennen. Instinktiv überkam ihn der Gedanke an Flucht. Er zwang sich zur Ruhe, und die Sanitäter und Beamten liefen an ihm vorbei zur Schmalseite des Terminals.

Er blickte ihnen nach und hob die Augen zur obersten Gerüstebene.

Die Gestalt bewegte sich.

O’Connors Kopf erschien über den Pritschen. Er versuchte, sich aufzurichten, und sackte wieder zurück. Die Polizisten und Sanitäter begannen, nach oben zu klettern.

Er lebte. Pecek hatte es gründlich vermasselt.

Mahder fühlte sich wie taub. Er hatte nicht die mindeste Ahnung, was er tun sollte. Mit bleischweren Beinen trat er zu der Frontverglasung und sah in die Tiefe. Auch unten war jetzt der Notarztwagen eingetroffen, schwirrten Uniformierte und Männer in weißen Overalls herum. Peceks Körper wurde auf eine Bahre gelegt, ein Tuch über ihn gezogen.

Würde Lavallier jetzt alles stoppen? Würde O’Connor mit dem Finger auf Martin Mahder zeigen, der seit vierzehn Jahren zuverlässig und ohne Makel seinen Dienst für den Flughafen verrichtet hatte, und ihn anklagen, ihm einen Killer auf den Hals geschickt zu haben?

Er sah auf die Uhr. Es mochte ein Wettlauf mit der Zeit werden, aber Jana konnte es immer noch schaffen! Sie hatten Pech gehabt. Paddy. Pecek. O’Connor. Auch, dass es regnete. Als hätte sich alles gegen sie verschworen.

Aber der Regen war nicht so stark, und hinten wurde es wieder heller.

Nur Minuten! Wenige Minuten waren alles, was Jana brauchte.

Mutlosigkeit überkam ihn. Jana mochte es schaffen, aber was würde aus ihm? Seine Rolle in dem Spiel war soeben aufgeflogen.

Er sah hinaus auf das Vorfeld.

Direkt vor seinen Augen hing ein gewaltiges Flugzeug in der Luft, so nah und tief, dass er glaubte, es mit ausgestreckter Hand berühren zu können. Unterhalb des gewaltigen weißen Rückens stand in großen Buchstaben »United States of America«. Kopf und Nase des Jumbos erstrahlten in kräftigem Blau, die Unterseite und die vier CF6-Triebwerke in hellem, freundlichen Mint. Auf dem Leitwerk prangte das Sternenbanner.

Majestätisch zog die Air Force One an Mahder vorbei und setzte ihre dreihundertfünfundsiebzig Tonnen fast behutsam auf den Super-Runway.

Mahder sah ihr nach.

Dann ging er zum Treppenschacht, erst bemüht langsam, dann immer schneller. Im Schacht begann er zu laufen, mehrere Stufen auf einmal nehmend. Er rannte aus dem Terminal, stieg in seinen Wagen und gab Gas.

Jana und ihre Leute hatten sich in sein Leben gemischt. Sie hatten ihm gar keine andere Wahl gelassen, als Verrat zu begehen. Was immer in den nächsten Minuten geschehen würde, am Ende käme ihn jemand holen. Er würde vor Gericht gestellt und wegen Beihilfe verurteilt werden.

Er hatte ein Haus und eine Familie. Im Gefängnis hätte er nichts von alledem. Also konnte er ebenso gut untertauchen und wenigstens seine Freiheit behalten.

Sie schuldeten ihm immer noch eine Million.

Er würde sie einfordern. Eine Million reichte, um den Abschied zu erleichtern.

WAGNER

Leise Sinustöne fügten sich zu einer Melodie.

Ihre Finger glitten über die Tasten des Handys, und im Display erschien O’Connors Nummer.

Zu guter Letzt hatten Sehnsucht und die Sorge um Kuhn zu einem argumenteschweren Doppel gefunden und sich angeschickt, Wagner auf unerträgliche Weise zu bedrängen, noch während sie mit den Filmleuten verhandelt hatte. Den Spielregeln war Genüge getan, und schließlich, wer würde deren Anwendung besser verstehen als O’Connor!

Sie hatte genügend Zeit verstreichen lassen. Genug, um ihre Unabhängigkeit, wenn nicht ihm, so doch sich selbst zu beweisen. Ein albernes Unterfangen, so viel war ihr klar, hinter dem sich unverändert die kleine, klamme Angst vor Zurückweisung und Enttäuschung verbarg, aber wenigstens tarnte sie sich einigermaßen respektabel im dezenten Grau der Vernunft.

Die Filmleute hatten sich als angenehme Gesprächspartner erwiesen. Natürlich ging es um Geld. Der Verlag respektive Wagner als Vertreterin der publikatorischen Interessen, hatte mit einem Scheck gewedelt und im Gegenzug gewisse Zusagen erwirkt hinsichtlich der Berücksichtigung von Neuerscheinungen. Niemand würde sich sonderlich aufregen über eine derartige Einflussnahme. Die Sendung verstand sich als neutrales Forum, aber man kaufte ja keine positiven Rezensionen, sondern lediglich die Zusage, rezensiert zu werden. Was, wie Reich-Ranickis historischer Grass-Verriss bewiesen hatte, in jedem Fall gut fürs Geschäft war.

Irgendwie passte die Art und Weise des Agreements in die Zeit. Ohnehin war nur verkäuflich, was ein Label trug, Personen des öffentlichen Lebens nicht ausgenommen.

Wagner verließ den Flachbau des Senders und trat hinaus auf den

Parkplatz, während sie wählte. Es hatte zu nieseln begonnen. Sie beschleunigte ihre Schritte. Als sie zu ihrem Golf hinüberging, erklang das Freizeichen. Sie lächelte. Jetzt, nachdem sie sich dazu durchgerungen hatte, endlich zu tun, was sie die ganze Zeit über schon hatte tun wollen, freute sie sich darauf, seine Stimme zu hören.

Es rauschte in der Leitung, dann sagte eine Frauenstimme:

»Hallo?«

Wagner stutzte und blieb stehen.

»Ich möchte gern Dr. O’Connor sprechen«, sagte sie zögernd.

Wahrscheinlich verwählt, dachte sie. Oder hatte sie seine Nummer falsch notiert? Ersteres wäre nicht schlimm, das Zweite ärgerlich.

Die Frau schwieg eine Sekunde. Dann sagte sie:

»Dr. O’Connor hatte einen Unfall. Er kann nicht mit Ihnen sprechen.«

Die Worte klangen sachlich und beinahe lapidar.

»Unfall?«, echote sie tonlos. »Was für einen Unfall?«

»Er ist gestürzt. Wer spricht denn da?«

»Wagner«, sagte sie tonlos. »Ich bin seine…«

Sie stockte. Ihre Gedanken rasten ziellos durcheinander. Paddy, Kuhn, O’Connor, der Flughafen, die Landungen, Lavallier, der Verdacht, etwas Schreckliches könne passieren, die schleichende Gewissheit, dass es bereits angefangen hatte, schon passiert war.

Er hatte einen Unfall gehabt. Was hieß das: einen Unfall gehabt?

Etwas verdickte sich in ihrer Kehle.

»Ist er…?«

»Nein«, sagte die Frau. Im Hintergrund waren andere Stimmen zu hören. Es klang, als spreche sie aus einer großen Halle zu ihr. »Dr. O’Connor ist durch ein Glasdach gebrochen. Er hat eine Reihe von Schnittverletzungen, aber offenbar nichts gebrochen.«

»Warum kann er nicht selbst mit mir sprechen?«

»Er hat das Bewusstsein verloren. Wir wissen nicht, ob es etwas

Ernstes ist. Möglicherweise Gehirnerschütterung. Ist erst vor wenigen Minuten passiert. Sind Sie eine Verwandte?«