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Nichts.

Nichts war anders, als es hätte sein sollen.

Er rieb sich die Augen. Es war 19.55 Uhr. Inzwischen war die Maschine fast zum Stillstand gekommen. Die Einweisung hatten Major Thomas Nader und ein Kollege übernommen. Nicht einmal das hatte der amerikanische Air Attache den Deutschen überlassen. Nader selbst war mit dem Messrad das Vorfeld abgeschritten und hatte die Position für das Bugrad bestimmt, und es war unerfreulich weit draußen.

Lavallier erinnerte sich an die nicht enden wollenden Diskussionen, die der Flughafen mit dem Auswärtigen Amt darüber geführt hatte, wo die Air Force One stehen sollte, wenn der Präsident ausstieg. Wäre es nach dem Secret Service gegangen, hätten die Journalisten Clinton nur aus beträchtlicher Entfernung zu Gesicht bekommen – sie wollten die Maschine gar nicht erst aufs Vorfeld rollen lassen. Am liebsten hätten sie den Präsidenten noch auf der Landebahn aussteigen lassen, eine Herausforderung für jedes Teleobjektiv. Eine Brüskierung, hatte der Flughafen eingewandt, eine grobe Missachtung der Medien, unvertretbar in der Medienstadt Köln. Was nützte die Landung des amerikanischen Präsidenten, wenn keiner ein vernünftiges Foto davon schießen konnte?

Das Tauziehen war eine Zeit lang hin- und hergegangen. Der Flughafen insistierte auf Nose in, was hieß, dass die Air Force One auf das VIP-Zelt zufahren und kurz davor stoppen sollte, um der Presse den Präsidenten möglichst hautnah zu präsentieren. Das Auswärtige Amt beharrte auf der Landebahn und ließ sich am Ende zu einem Kompromiss erweichen. Seitlich zum VIP-Zelt würde die Maschine stehen, weit genug draußen, um im Notfall mittels einer Neunzig- Grad-Drehung unverzüglich wieder auf den Runway rollen und das Weite suchen zu können, womöglich ohne gestoppt zu haben.

Immerhin hatten sie wenigstens die Japaner Nose in am heutigen Abend. Sie kamen nach Clinton, die Letzten für heute. Kein wirklicher Trost, aber einer, den man sich wichtig reden konnte.

Lavallier sah Stankowski und Knott im Gespräch mit dem Leiter SI. Brauer wirkte nicht gerade glücklich. Er hatte sechs seiner Leute mitgebracht, hinzu gesellten sich Lex mit einer zwölf Mann starken Abordnung des Secret Service und Lavalliers eigene Leute. Die Botschaftsangehörigen gingen miteinander plaudernd in Richtung Maschine. Die deutsche Abfertigungscrew, vom Sektionsleiter bis zum Oberlader überprüft, hatte die Maschine fast erreicht.

Und überall lagen die Scharfschützen. Sichtbar. Unsichtbar.

Wer wollte dem etwas entgegensetzen, was sie nicht schon längst bedacht hatten?

Vor allem – was?

Lavallier fiel nichts ein. Er seufzte und hoffte, dass es anderen ebenso gegangen war.

O’CONNOR

Die blaue Fronttür der Air Force One schwang auf. Zeitgleich rollte die Gangway heran. Der oberste Absatz der fahrbaren Treppe schmiegte sich mit metallischem Poltern an den Rumpf des Jumbos, dann entstieg der Maschine ein Sicherheitsbeamter, warf einen Blick in die Runde und gab ein Zeichen nach drinnen.

Bill Clinton erschien in der dunklen Öffnung.

Der Präsident trug das gewinnende Lächeln im Gesicht, dem die Republikaner zwei Wahlkämpfe lang nichts hatten entgegensetzen können als Häme und Hass. Er hob den rechten Arm hoch in die Luft und winkte den Menschen auf dem Rollfeld zu, lächelte weiter, während der Wind durch seinen Haarschopf fuhr. Die Bewegungen seines Arms und seiner Finger wurden zusehends langsamer, als habe sich die Luft um ihn herum sirupartig verdickt, wirkten siegessicher und gequält zugleich.

Die Umstehenden hielten den Atem an.

Clintons Lächeln bekam etwas Verzerrtes. Schmerz lag plötzlich darin. Immer ungestümer zerrten die Böen an den weißen Haaren, rissen sie nach allen Seiten, bis sie zu flackern schienen. Der Schopf färbte sich rötlich. Feuer züngelte aus Clintons Kopfhaut empor, aber der Präsident lächelte tapfer weiter. Auf seiner Gesichtshaut bildeten sich schwarze Blasen. Im nächsten Moment schossen grelle Flammen aus Mund, Nase und Augen, und immer noch winkte die brennende Gestalt wie in extremer Zeitlupe.

Dann begann sie zu schreien.

Es war ein unirdisches, hohles Schreien, als vergehe in dem Inferno nicht ein Mensch, sondern etwas anderes. Schreiend, brennend und winkend begann der Präsident, die Gangway herabzuschreiten. Die Hitze, die von ihm ausging, fegte über das ganze Vorfeld hinweg, setzte die Zelte in Brand, Menschen, Hallen und Hangars, Fahrzeuge und Flugzeuge.

Dann explodierte er.

Sein Körper flog in tausend Stücken auseinander, und O’Connor schoss hoch, riss die Augen auf und starrte in das Gesicht eines sehr hübschen Polizisten.

»Der YAG«, sagte er.

Das Schreien erstarb. Es war überhaupt kein Schreien gewesen, sondern das Dröhnen von Düsentriebwerken, das sich rasch entfernte.

»Dr. O’Connor.« Der Polizist beugte sich vor. »Können Sie mich hören?«

Er trug eine schwarze Lederjacke und hatte kurze schwarze Haare. O’Connors Blick klärte sich, und der Polizist verwandelte sich in eine Polizistin.

»He! Sind Sie in Ordnung?«

O’Connor streckte eine Hand nach ihr aus. Sie ergriff seinen Arm. Mühsam zog er sich hoch und kam unsicher auf die Beine. Sein Rücken schmerzte, als habe man ihn stundenlang mit Knüppeln verdroschen.

Alles fiel ihm wieder ein.

»Wo ist Lavallier?«, stöhnte er. »Ich muss mit ihm reden, schnell!«

»Lavallier?« Die Polizistin runzelte die Stirn. »Er ist draußen auf dem Vorfeld. Was wollen Sie denn jetzt von Lavallier?«

O’Connor ließ ihren Arm los. Jetzt bemerkte er weitere Leute, Bauarbeiter, Sanitäter und einen zweiten Polizisten. Sie standen oder knieten um ihn herum und trugen alle dieselbe Mischung aus Ratlosigkeit und Bestürzung im Gesicht.

»Nur die Ruhe.« Einer der Sanitäter legte ihm besänftigend die Hand auf die Schulter. »Erst mal werden wir Sie verarzten, okay?«

»Kommen Sie um Himmels willen nicht auf die Idee, mich zu verarzten!« O’Connor schüttelte ihn ab. »Jedes Mal, wenn ich bisher zu einem Arzt gegangen bin, war ich hinterher drei Wochen krank.« Er packte das Geländer und trat einen Schritt vor. Sein Blick fiel in die Tiefe. Sofort begann sich alles um ihn herum zu drehen. Hastig stolperte er zurück und schaute auf seine Hände.

Aus mehreren Schnittwunden drang Blut. Hier und da hingen Mullbinden herunter. Der Sanitäter hatte offenbar angefangen, ihn zu verbinden.

»Wie viel Uhr ist es?«, keuchte er.

»Es ist acht«, sagte die Polizistin. »Warum wollen Sie das wissen?«

Acht Uhr!

O’Connor brauchte einen Moment, um zu begreifen. Dann drehte er sich ruckartig um und schaute über das alte Terminal hinweg in Richtung des Frachtflughafens. Sein Magen kramp fte sich zusammen.

»Mein Gott«, flüsterte er.

»Dr. O’Connor!«

Er wandte ihr den Kopf wieder zu.

»Sie sind doch Dr. O’Connor?«

»Clinton«, sagte er beinahe flehentlich.

»Ja, klar.« Der Sanitäter begann zu grinsen. »Und ich bin Madeleine Albright. Wollen Sie jetzt bitte–«

»Er darf nicht aussteigen, hören Sie!« O’Connor sah hilfesuchend von einem zum andern, aber sie starrten ihn nur verständnislos an. »Er darf auf keinen Fall seine Maschine verlassen!« Unter Schmerzen begann er, auf die Leiter zuzuhumpeln, die nach unten führte. Die Polizistin stellte sich ihm in den Weg.

»Bill Clinton?«

»Ja, zum Teufel!«, explodierte O’Connor. »Verdammt, rede ich in Rätseln? Warum gehen Sie mir nicht aus dem Weg, wenn Sie schon nichts begreifen?«

Er packte sie bei den Schultern, um sie beiseite zu schieben. Im nächsten Moment fühlte er sich selbst im Klammergriff. Blitzschnell hatte sie den Arm um seinen Hals geschlungen und ihn gegen das Gitter gedrückt.

»Vorsicht, Freundchen«, sagte sie warnend. »Wir wollen doch hier keinen Aufstand machen. Erklären Sie mir lieber, was auf dem Dach los gewesen ist. Da unten liegt einer, der ist mausetot! Was habt ihr da oben getrieben?«