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Er hatte wenig Neigung verspürt zu erfahren, an welchen Ort der andere ihn bringen würde. Es war jedes Mal das Gleiche. Irgendwo hinfahren oder hingefahren werden, wo sich die Hühner gute Nacht sagten. Mitunter waren es mühselige Fahrten und freudlose Ziele wie die verfallene Klosterkirche, dann wieder gut situierte Restaurants oder Theaterfoyers. Am häufigsten hatte man ihn in Hotelzimmer zitiert. Mirkos einzige Hoffnung galt der Aussicht, im Anschluss an das folgende Gespräch einen Teller Pasta zu bekommen. Mirko liebte Pasta. Er litt schrecklichen Hunger, weil er – wenngleich weit davon entfernt, ein Gourmet zu sein – den Flugzeugfraß wie immer nicht hinunterbekommen hatte.

Er sah aus dem Fenster und erfreute sich an der Landschaft.

Am späten Vormittag erreichten sie Triora. Der junge Mann ließ ihn aussteigen und erklärte ihm den Weg durch die Gassen zur Bibliothek. Sie war nur im August geöffnet. Es spielte keine Rolle. Niemandem ging es an diesem Tag um Bücher oder Schriften.

Hier war es, wo Mirko zum ersten Mal mit Jana zusammentraf.

Im Allgemeinen pflegte er sich keine Vorstellung von anderen Leuten zu machen, bevor er sie nicht persönlich in Augenschein genommen hatte. Es war spekulativ und lohnte nicht die Mühe der Imagination. Nach wie vor war der Markt jedoch von Männern dominiert, und so war selbst Mirko letztlich dem Reiz erlegen, Jana a priori Gesicht und Statur zu geben. Viel war ihm nicht dazu eingefallen, allenfalls jemand mit den äußerlichen Attributen einer Sigourney Weaver, hochgewachsen und kantig, vielleicht nicht so attraktiv, aber durchaus in der Lage, sich nötigenfalls mit dem Teufel oder einem Dutzend Aliens anzulegen.

Die mittelgroße Frau mit den ansprechenden Zügen und dunklen Augen, gut aussehend und zugleich jemand, an dem man in der Menge vorbeiging, erschien ihm auf den ersten Blick unpassend. Sie trug das rotbraune Haar schulterlang und gewellt. Ihre Kleidung war elegant bis unauffällig, ihre Stimme weder laut noch leise. Einen Moment lang war Mirko enttäuscht, bis er ihre Körperspannung gewahrte und begriff, dass er auf eine Hülle blickte, und er erkannte die Maschinerie der Präzision und das Chamäleon in ihr. Hier und jetzt sah er nur, was Jana ihn sehen lassen wollte. Einen Menschen, an den man sich nicht erinnerte. Morgen mochte sie die Pennerin an der Straßenecke sein, am selben Abend der glamouröse Mittelpunkt einer Dinnerparty. Jede Bewegung, als sie einen Schritt auf ihn zumachte, signalisierte ihm, dass die Frau mit dem Decknamen Jana alles und jeden ihrer Kontrolle unterwerfen würde, wenn es drauf ankam.

Sie gaben einander die Hand und begaben sich auf einen harmlosen Spaziergang durch die düstere Geschichte des Ortes.

Mittlerweile hatte sich das mittelalterliche Grauen der »Hexenhochburg« zur Sehenswürdigkeit gewandelt. Sie passierten die Cabotina, eine Ruine, die den angeblichen Hexen als Treffpunkt gedient hatte. Trioras finstere Vergangenheit übte einen morbiden Reiz auf Mirko aus. Nichts in dem Geflecht aus überbauten Gängen, das sie durchquerten, ließ die helle Leichtigkeit der Riviera erahnen, die nur eine halbe Autostunde entfernt lag. Im Dezember waren die ligurischen Berge in Dunst gepackt, der selten einen Blick auf die blasse Scheibe der winterlichen Sonne freigab. In die Hohlwege fand das spärliche Licht so gut wie gar nicht, sie schlossen die Gegenwart aus und jede Freundlichkeit und Wärme.

Janas Silhouette verschmolz mit den Schatten, bis die Häuserkaskade nach einer Biegung jäh abbrach und sie hinaustraten auf eine verborgene Terrasse. Mirko folgte ihr ohne Hast. Flechten, Moose und wilder Wein überwucherten das Mauerwerk der Brüstung. Es roch nach modrigem Stein. Einige Meter weiter endete eine eingestürzte Treppe im Nichts, dahinter ging es steil abwärts. Der Platz ruhte auf den Resten der mittelalterlichen Befestigungsanlagen, jenseits derer sich der Blick ins Tal und auf das verhangene Graugrün der Berge öffnete.

Mirko genoss die Stille. Kein Platz schien geeigneter, um in Ruhe über den Tod zu sprechen. Es gab nicht vieles, was ihn wirklich berührte, aber Stille gehörte dazu. Sie war ein Luxus und umso schöner, als man sie kaufen konnte. Insgeheim war er Jana dankbar, dass sie ihn hierher geführt hatte, wenngleich solche Empfindungen für den Inhalt ihrer Zusammenkunft ohne Belang waren. Er beschloss, das kleine Gefühl des Friedens in sich zu bergen und beizeiten abzurufen, wenn ihm danach war.

»Können Sie es?«, wiederholte er seine Frage.

»Man kann alles, wenn man nur will«, sagte Jana gleichmütig.

»Ja, aber können Sie es? Unter diesen Umständen?«

»Die Aufgabe ist in der Tat sehr reizvoll«, erwiderte sie. »Ich würde sagen, die Bedingungen treiben die Wahrscheinlichkeit gegen null. Andererseits wäre der Effekt gewaltig. Kein Zeitpunkt könnte besser gewählt sein. Die Frage ist, ob es sich dafür lohnt, einen Fehlschlag zu riskieren.«

»Über Fehlschläge wollte ich eigentlich nicht mit Ihnen reden.«

»Das ist mir schon klar.« Sie sah ihn prüfend an. »Kommen Sie, Mirko. Sie wissen ebenso gut wie ich, was Ihre Auftraggeber da von uns verlangen. Ich habe Ihnen meinen Preis gesagt…«

»Und ich habe ihn weitergegeben.«

»…aber damit wird es nicht getan sein. Und garantieren kann ich schon gar nichts.«

Mirko schüttelte den Kopf.

»Ich erwarte keine Garantie.« Er ging bis nah an die Brüstung und sah in die Tiefe. »Nicht dafür, dass es gelingt. Ich will eine Garantie dafür, dass Sie es können.«

Jana trat neben ihn.

»Was, wenn ich Ihnen diese Garantie gebe?«

»Dann sind wir im Geschäft. Die Leute, die mich beauftragt haben, gehen davon aus, dass Sie sich die Sache sehr genau überlegen. Ich habe ihnen gesagt, dass Sie es unter fünfundzwanzig Millionen nicht machen. Das haben sie geschluckt. Sie denken nun, wir müssten alles unternehmen, um Sie für das Projekt zu gewinnen, obwohl ihnen dabei nicht ganz geheuer ist. Wie sehr Sie selbst an den fünfundzwanzig Millionen interessiert sind, habe ich natürlich vergessen zu erwähnen.«

»Warum wollen die gerade mich?«

»»Ich will Sie. Weil Sie die Beste sind. Ich sage das widerstrebend, es festigt Ihre Position und damit den Preis, aber so ist es nun mal.«

»Es gibt andere Spezialisten.«

»Nicht für den Job. Wir brauchen jemanden, der auf ganz neue Ideen kommt. Auf etwas derart Abwegiges, dass niemand damit rechnen wird.« Mirko zögerte. »Für all das gäbe es sicher noch ein paar andere. Aber es kommt etwas hinzu, das meinen Auftraggebern sehr wichtig ist.«

»Was?«

»Sie sind Serbin.«

Janas Gesicht blieb reglos.

»Ich bin neutral«, sagte sie schließlich.

Mirko rupfte Moos aus den Ritzen der grob gefügten Steinmauer, zerrieb es zwischen seinen Fingern und roch daran. Der Duft hatte etwas Beruhigendes.

»Sie sind nicht neutral«, sagte er und sah Jana direkt in die Augen. Sie wich seinem Blick nicht aus. Durch nichts ließ sie erkennen, dass er ihren wunden Punkt getroffen hatte, aber Mirko ließ sich nicht täuschen. »Ihre Neutralität beschränkt sich auf Ihre Tätigkeit der freien Mitarbeit, wenn reiche Leute ein Problem zu lösen haben. Darin sind Sie kaum zu schlagen. Aber ich bin selbst Serbe, Jana. Ich weiß, dass Sie sich etwas anderes für unser Land vorstellen. Wenn Sie die impertinente Einmischung in unsere Geschichte ebenso satt haben wie ich, dann sind Sie nicht neutral.«

Es war ein Schuss ins Blaue. Janas Gesicht zeigte immer noch keine Regung. Sie wandte sich ab und ging ein paar Schritte von der Mauer weg.

Mirko wartete. Er war sicher, dass der Stachel ins Fleisch gedrungen war. Sie mochte sich selbst verleugnen, jeden Tag aufs Neue.

Aber nicht ihr Land. Er konnte sich nicht so sehr getäuscht haben!

»Wer sind Ihre Auftraggeber?«, fragte sie.

»Das Trojanische Pferd ist mein Auftraggeber. Fragen Sie mich nicht, wer drin sitzt.«