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Die hochgewachsene Gestalt Bill Clintons war deutlich in der offenen Tür zu erkennen.

Blitzschnell zoomte sie auf den Kopf des Präsidenten. In wenigen Sekunden würde es vorbei sein. Sie drehte weiter an dem Tele, und das Objektiv im Gestänge veränderte seine Position um weitere drei Grad.

Lavallier ahnte den Lichtreflex mehr, als dass er ihn sah. Im Moment, als er zu Lex hinüberlaufen wollte, geschah alles gleichzeitig. Clinton erschien in der Türöffnung, und zugleich blitzte oben am Gestänge der Lärmschutzhalle etwas für den Bruchteil einer Sekunde im Sonnenlicht auf.

Lavallier wirbelte herum und starrte in die Höhe.

Da war es!

An der Ecke, dort, wo sich das Gestänge am äußeren Rand entlangzog. Etwas von der Größe einer Handfläche. Dunkler als das umgebende Metall.

Es bewegte sich.

Später wusste er nicht mehr genau, was er in das Funkgerät ge- schrien hatte, während die Diplomaten ans untere Ende der Treppe traten. Niemand achtete auf ihn. Alle Blicke waren Bill Clinton zugewandt. Nur Lavallier, O’Connor und die Polizeimeisterin ahnten in diesem Moment, als die Sonne auf das Vorfeld schien und dem Präsidenten der Vereinigten Staaten einen Bilderbuchempfang bereitete, dass die nächste Eiszeit fast schon angebrochen war.

»Abschießen!« war alles, woran er sich erinnerte.

Lex, der Lavallier am nächsten stand, hörte als Einziger, wie der Hauptkommissar etwas in sein Funkgerät schrie. Er konnte nicht verstehen, was es war, aber ein Blick reichte ihm. Lavalliers Körperhaltung war angespannt, sein Gesicht verzerrt, sein Blick zur Lärmschutzhalle gerichtet.

Lex runzelte die Stirn. Er konnte sich irren.

Aber möglicherweise gab es gerade ein Problem.

Lavalliers Worte erreichten die Scharfschützen auf den Gangways, auf den Dächern der Frachthallen, auf dem Dach des UPS-Gebäudes.

Einige der Männer fühlten sich hilflos und wie gelähmt, während sie durch ihre Zielfernrohre fieberhaft das Gestänge absuchten. In ihrer Hast übersahen sie die winzige schimmernde Glasplatte in der Öffnung. Andere suchten zu tief unten, wieder andere zu weit rechts oder an ganz verkehrten Stellen.

Es war ein neunzehnjähriger Spezialist, der das Ding im Gestänge als Erster sah. Der Mann lag flach auf dem Dach des UPS-Gebäudes, gleich unterhalb des Spiegels im Belüftungsrohr. Er hatte sich in seiner Ausbildung durch besondere Treffgenauigkeit und Kaltblütigkeit hervorgetan, ein ruhiger, zurückhaltender Zeitgenosse, dem seine Kameraden ein hohes Maß an Fairness und einen eklatanten Mangel an Phantasie bescheinigten. Er war weit davon entfernt, einen Augenblick wie diesen herbeizusehnen, ebenso wenig wie er ihn verwünschte. Weder empfand er Angst danebenzuschießen noch Befriedigung oder gar ein Gefühl des Triumphs, das Objekt entdeckt zu haben. Er kannte die Entfernung zur Lärmschutzhalle – etwas weniger als ein halber Kilometer –, war sich der Konstanten und Variablen bewusst, die auf sein Geschoss einwirken würden, Gravitation, Drallabweichungen, Seitenwind, wusste, wo das Projektil die Visierlinie zum ersten und zum zweiten Mal schneiden und wo es auftreffen würde.

Ruhig hielt er das Gewehr im Anschlag, nahm das Ziel auf und visierte.

Jetzt.

Die Spitze ihres Zeigefingers ruhte auf dem Auslöser. Clinton trug das Fadenkreuz mitten auf der Stirn. Jana konzentrierte sich.

Dann entschied sie sich anders und fokussierte den Punkt exakt zwischen den Augen des Präsidenten, auf einer Achse mit seinen Pupillen.

So gefiel es ihr besser.

Mit sanftem Druck löste sie den Impuls aus.

Und der Soldat schoss.

Er drückte den Abzug eine halbe Sekunde früher durch, als Janas Finger den Auslöser betätigte. Das Projektil verließ den Lauf des halbautomatischen Präzisionsgewehrs und raste mit einer Geschwindigkeit von achthundert Metern in der Sekunde auf das Spiegelding zu.

Und dennoch kroch es, verglichen mit der Geschwindigkeit des Lichtimpulses, der Bill Clinton töten sollte.

Die Chips in Janas Nikon schickten ein Radiosignal in die Spedition, das den YAG aktivierte.

In dem riesigen metallenen Kasten vollzog sich in unvorstellbar kurzer Zeit eine komplexe Abfolge von Funktionen. Stoßartig entluden sich die beiden 20-KVA-Starkstromaggregate und ließen mehrere Tausend daumennagelgroße Diodenlaser synchron erstrahlen und einen Lichtimpuls in einen Resonator schicken.

Der Resonator war der eigentliche Neodym-YAG. YAG stand für Yttrium-Aluminium-Granat. Ein röhrenförmiger Kristall von einigen Metern Länge, versetzt mit Neodym-Atomen, dessen Enden planparallel geschliffen und nach innen verspiegelt waren. Zwischen diesen Spiegeln baute sich im Moment, da Jana den Auslöser betätigte und die Diodenlaser elektromagnetische Energie in den Kristall pumpten, eine Lichtwelle auf, schoss zwischen den Spiegeln hin und her und verstärkte sich mit jedem Durchgang, bis das System die Welle emittierte und in den ersten von drei Verstärkern schickte.

Dort schaukelte sich die Welle weiter auf, synchronisierte sich, traf auf einen weiteren Spiegel und wurde im rechten Winkel in den zweiten Verstärker geschickt, verstärkte sich erneut, gelangte in den dritten Verstärker und trat aus diesem in ein kleines Spiegelteleskop von dreißig Zentimetern Durchmesser, das sie fokussierte und durch das Loch in der Schmalseite des Kastens nach draußen schickte. Zu diesem Zeitpunkt betrug die Frequenz des Laser 1,6 µm. Der Strahl war damit für das menschliche Auge unsichtbar, das eben noch in der Lage war, 0,75 µm als sichtbares Licht im roten Bereich wahrzunehmen.

Aber selbst im sichtbaren Spektrum hätte man die Welle nicht gesehen, denn der YAG erzeugte keinen kontinuierlichen Strahl, sondern einen ultrakurzen Impuls.

Der vielfach gebündelte Lichtstoß, der den Kasten verließ, dauerte nur eine 100 000stel Sekunde, aber seine Leistung betrug ein GigaWatt! Der Impuls reichte, um dreißig Kubikzentimeter Wasser explosionsartig verdampfen zu lassen. Oder dreißig Kubikzentimeter menschliches Gewebe, das zum überwiegenden Teil aus Wasser bestand. Es würde explosionsartig aufgebläht werden von rund vierzig Kubikmetern schockartig entstehendem Wasserdampf – mehr als genug, um jede bildende und umgebende Struktur augenblicklich in Fetzen zu reißen.

Der Impuls wurde von dem Spiegel auf dem Dreifuß eingefangen, der mit einer Kamera gekoppelt und auf winzigen Piezomotoren gelagert war, ein System, das man als adaptive Optik bezeichnete. Im Moment des Ausstoßes maß es über die komplette Entfernung bis zum Zielsystem an der Lärmschutzhalle die Partikelverunreinigungen in der Atmosphäre und schickte die Informationen zurück. Blitzartig justierten die Motoren die Oberfläche des Spiegels, indem sie ihn auf eine Weise verbogen, dass der Impuls unterwegs nicht abgelenkt werden konnte.

Die Welle raste aus dem Innenhof hinaus und hoch in die Luft zu einem zweiten Spiegel, der wenige hundert Meter weiter an der Spitze eines Strommasts befestigt war, wurde von diesem reflektiert und auf seine drei Kilometer lange Reise über die umliegenden Vororte, Wiesen und Wäldchen zum UPS-Gebäude geschickt. Kein Regentropfen zerstreute die synchronisierte Welle, in keinem Dunst verlor sich ihre geballte Kraft. Konisch verengt traf sie auf den Spiegel am Ende des Belüftungsrohrs und bewegte sich von dort weiter zur Lärmschutzhalle.

Das alles vom Moment an, da Jana den Auslöser der Nikon gedrückt hatte, vollzog sich mit 300 000 Sekundenkilometern, in Lichtgeschwindigkeit also. Das Projektil des Scharfschützen und der mörderische Lichtimpuls lieferten sich auf den letzten paar hundert Metern zur Lärmschutzhalle sozusagen ein Rennen. Und nur die Tatsache, dass Jana die Position des Fadenkreuzes in letzter Sekunde nach unten verschoben und dadurch Zeit verloren hatte, rettete dem Präsidenten der Vereinigten Staaten das Leben.