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Das Projektil schlug in das Drehgelenk des Objektivs ein, als der Impuls auf den vorgelagerten Spiegel traf. Es reichte, um den Mechanismus zu zerstören und den Spiegel nach oben zu verbiegen. Anstatt auf Clintons Kopf zu treffen, wurde der Impuls steil in die Höhe reflektiert.

Sechzehnhundert Meter über dem Erdboden traf er mitten in einen Vogelschwarm.

Das Tier, in dessen Brust er sich bohrte, überlebte nicht annähernd lange genug, um schreien zu können. Die Wassermoleküle im Körper des Vogels verwandelten sich binnen eines Sekundenbruchteils in Gas und blähten den Organismus um ein Vielfaches auf. Sehnen und Fasern zerrissen. Der ganze Körper explodierte und schleuderte Fetzen von Gewebe, Federn und Blutpartikel in den Schwarm.

Die Vögel, die dem Geschehen am nächsten waren, erlitten einen Schock. Sie kreischten und schrien, verloren für kurze Zeit die Orientierung und fielen hinter die Formation zurück.

Dann beruhigten sie sich. Ihr Gedächtnis tilgte den bewussten Teil der Erinnerung und legte den Rest unter Erfahrung ab.

Mit kraftvollen Flügelschlägen schlossen sie wieder auf.

PHASE 4

JANA

Ihr erster Eindruck war, dass etwas in der Bildübermittlung nicht stimmte. Im Moment, als sie den Auslöser betätigt hatte, war der Präsident aus dem Sucher verschwunden. Ein Defekt vielleicht, verursacht durch den Impuls, nur dass die Tests keine derartigen Probleme ergeben hatten.

Dann begriff sie, dass die blassblaue Fläche vor ihrem rechten Auge der Himmel war. Fassungslos drehte sie am vorderen Ring des Teleobjektivs, aber Clinton tauchte nicht wieder auf. Die Vorstellung, das System könnte versagt haben, brachte Jana fast um den Verstand. Sie musste die Kiefer aufeinander pressen, um nicht laut loszufluchen.

In der nächsten Sekunde endete die Übertragung vollständig.

Mit einem Blick über die Kamera sah sie, dass der Präsident keine Anstalten machte, die Treppe herunterzugehen. Wahnsinnig vor Wut drückte sie erneut auf den Auslöser. Die Akkus, die den YAG speisten, hielten genügend Energie für einen zweiten Schuss bereit, aber nichts geschah. Falls die tödliche Ladung Licht den YAG überhaupt verlassen hatte, war sie wirkungslos verpufft.

Clinton verschwand wieder im Innern der Air Force One.

Es war vorbei.

Mit einer schnellen Bewegung ihres linken Zeigefingers legte Jana den kleinen Hebel für das Batteriefach um. Die Chip-Einheit glitt aus der Nikon und fiel zu Boden. Jana zertrat sie. Die Nikon war wieder eine ganz normale Kamera. Jana richtete das Tele auf die vordere obere Ecke der Lärmschutzhalle und zoomte, bis sie den zerstörten Mechanismus erkennen konnte.

Das Objektiv auf seinem Schlitten war nur noch ein splittriger Klumpen. Der Plan war aufgeflogen. Sie hatte keinen Schuss gehört, vermutlich hatten sie Schalldämpfer benutzt, aber fest stand, dass die Scharfschützen ihren Job gemacht hatten.

Es half alles nichts. Ab jetzt würde Cordula Malik tun, was jeder um sie herum tat. Warten und Fotos machen.

LAVALLIER

»Abgeschossen.«

Dreimal kurz hintereinander war das Wort aus dem Funkgerät gedrungen. Vor Lavalliers geistigem Auge wurde es in goldene Lettern gegossen, auf eine polierte Marmorplatte verfügt und an der Tür zu seinem Büro aufgestellt. Es war das schönste Wort der Welt. Es war schöner als »Ich liebe dich« und alles, was Lavallier je in seinem Leben gehört hatte.

Zumindest in diesem Augenblick.

Ihm schien, als hätte er den Befehl zum Abschuss vor Stunden gegeben. Tatsächlich konnten allenfalls einige Sekunden vergangen sein. Den Blick über die Schulter zur Lärmschutzhalle gerichtet, das Funkgerät mit der Rechten umklammert, ging er hinüber zu Lex. »Wie hat das Ding ausgesehen?«, fragte er in das Gerät.

»Komisch«, sagte einer der Scharfschützen über Funk. »Wie ein Kameraobjektiv. Ich habe mehrere Male reingeschossen. Ist zu nichts mehr gut.«

»Sucht weiter«, sagte Lavallier in das Gerät.

Clinton war nirgendwo zu sehen. Lavallier wusste nicht recht, ob er dem Frieden trauen konnte.

Noch konnte er höchsten Alarm geben. Was dann passieren würde, war ihm klar. Ungeachtet dessen, ob tatsächlich noch konkrete Gefahr bestand oder nicht, würde der Information unverzüglich der totale Abbruch folgen. Die Sicherheitsleute würden augenblicklich die Türen schließen lassen.

Die Air Force One würde das Rollfeld verlassen und möglicherweise ohne weitere Rücksprachen zu einem anderen Flughafen starten. Das Chaos wäre perfekt.

Es war seine Entscheidung.

Lex sah zu ihm herüber und runzelte die Stirn.

»Was ist denn los?«, fragte er leise.

Lavallier sah irritiert zur Gangway.

»Wo ist Clinton?«

»Drinnen. Ich habe Sie beobachtet, das hat mir nicht gefallen. Ich habe Guterson das Zeichen gegeben, ihn wieder reinzuschicken.«

»Scheiße«, sagte Lavallier, ohne zu wissen, ob er es aus Wut oder Erleichterung sagte.

»Keine Angst«, beruhigte ihn Lex. »Erst mal ist er nur wieder drinnen. Keiner denkt was Böses, ich habe einfach nur signalisiert, dass wir das Okay aussetzen. Gibt es ein Problem?«

Lavallier rang nach Worten. Er wollte kein Chaos entfesseln, aber O’Connor hatte von mehreren Spiegeln gesprochen. Unwillkürlich blickte er auf das Funkgerät, als könne er ihm die Lösung entlocken.

»Eric«, sagte Lex noch einmal. »Was ist los?«

Und die Lösung kam.

Es knackte erneut, dann hörte er eine andere Stimme:

»Noch einer, abgeschossen. UPS-Gebäude, oben an einem der Rohre.«

»Sucht den Tower ab«, sagte Lavallier.

Aber am Tower würden sie nichts finden, dachte er grimmig. Kein verdeckter Einsatz war dort möglich gewesen. Wenn es einen einzigen Platz auf diesem ganzen verdammten Flughafen gab, an dem Clohessy und seine Bande nichts hatten anstellen können, dann war es der Tower.

Oder auch nicht. Woran sollte man noch glauben nach einem Tag wie diesem?

»Das komplette Gelände sperren«, sagte er ins Funkgerät. »Sofort. Pressebereich, alles. Keiner kommt mehr rein und raus. Das Protokoll läuft weiter, Clinton wird den Flughafen wie geplant verlassen.« Er machte eine Pause, dann sagte er noch einmaclass="underline" »Es besteht kein Grund zur Beunruhigung. Alles läuft weiter wie geplant.«

SPEDITION

Mit offenem Mund starrte Maxim Gruschkow auf den Bildschirm.

Er wusste, dass Jana den Laser zweimal gezündet hatte. Die Akkus hatten sich hörbar entladen. Auf dem Bildschirm seines Laptops waren die Impulse als heftige Ausschläge zu sehen gewesen. Weil das Spiegelsystem die Daten der Impulsbahnen umgehend zurückspielte, wusste Gruschkow auch, dass der erste Ausstoß vom Zielspiegel in viel zu steilem Winkel und der zweite gar nicht mehr reflektiert worden war.

Allein diese Daten boten Anlass zu Bestürzung. Aber der Laptop zeigte außerdem das Bild, das Jana in ihrer Kamera sah. Oder gesehen hatte, denn es gab kein Bild mehr.

Damit war das Scheitern zur Gewissheit geworden. Hätte Jana den Präsidenten getroffen, wäre sein Tod zu sehen gewesen – zwangsläufig, denn das Spiegelobjektiv im Gestänge der Lärmschutzhalle war ja zugleich das Zielfernrohr. Und tatsächlich war Clinton auch zu sehen gewesen. Wie auf dem Präsentierteller hatte er dagestanden. Mit einem Fadenkreuz auf der Stirn, das auf die Nasenwurzel gerutscht war, bevor Jana den Auslöser betätigt hatte.

Plötzlich eine diffuse Fläche.

Dann Bildausfall.