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»Sind Sie sicher?«

»Ja. Ach, und Lavallier, damit Ihnen nicht langweilig wird – Sie haben einen Verräter.«

»Und?«, fragte Lex.

LAVALLIER

Lavallier seufzte und sah hinüber zur Gangway.

»Lassen Sie ihn aussteigen.«

»Was war los?«

»Möglicherweise ein Zwischenfall. Keine Ahnung. Definitiv haben wir es verhindert.«

»Ein Attentat?« Lex schnappte nach Luft. »Und Sie erwarten, dass ich Bill Clinton aussteigen lasse?«

Lavalliers Blick wanderte zum VIP-Zelt. Er konnte O’Connor dort sehen. Der Physiker mochte ein verdammter Idiot sein, aber merkwürdigerweise hatte Lavallier das Gefühl, sich auf seine Aussage mehr als verlassen zu können.

»Es ist vorbei«, sagte er zu Lex. »Geben Sie den Leuten ihren Präsidenten. Wir treffen uns am VIP-Zelt, in Ordnung?«

Lex verzog die Augenbrauen.

»Wenn ich ja nicht so grenzenloses Vertrauen in Sie hätte…«, sagte er gedehnt. Dann gab er die Anweisung, und der Sicherheitsmann oben auf der Gangway winkte Bill Clinton das zweite Mal an diesem Tag vor die Öffentlichkeit.

Erst jetzt wurde Lavallier bewusst, dass er in Schweiß gebadet war. Er fuhr sich über Stirn und Augen. Seine Handfläche wurde noch nasser, als sie ohnehin schon war. Schnell wischte er sie an der Hose ab. Auf der Empore der Gangway erschien der Präsident mit mürrischer Miene. Ohne sich mit Winken aufzuhalten, schritt er zügig die Stufen zum roten Teppich herunter.

Lavallier überlegte, was die Presse mitbekommen hatte von dem Vorfall. Die Schalldämpfer hatten die Schüsse verschluckt, die Einschläge in der Lärmschutzhalle durften im Lärm untergegangen sein, den die Journalisten bei Clintons Erscheinen selbst veranstaltet hatten. Möglicherweise hatte der eine oder andere etwas zu hören geglaubt, aber Geräusche ließen sich im Nachhinein erklären.

Wie immer das Nachhinein aussehen mochte.

Es konnte immer noch geschehen, dass er Clinton die Hand schüttelte. Vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse würde es eine völlig neue Bedeutung bekommen. Eine existentielle sozusagen. Eine unausgesprochene Gratulation zu einem neu geschenkten Leben.

Lavallier zögerte.

Dann entschied er sich anders. Er hatte zu tun. Seine Hände waren ohnehin zu feucht nach dem ganzen Theater. Ein Händedruck mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten sollte frei sein von den Absonderungen ausgestandener Ängste.

Während Clinton über den roten Teppich und zwischen den starr aufgereihten Spalieren der Infanterie hindurchschritt, eilte Lavallier zum VIP-Zelt.

KOLONNE

Norman Guterson stellte sich eine lange Reihe von Fragen. Sie war noch länger als die Wagenschlange, die beim Eintreffen der Air Force One zweireihig auf das Vorfeld gerollt war.

Alles war voller Menschen. Die Fahrer und sonstigen Insassen der Kolonne waren ausgestiegen und sahen zu ihnen herüber, durchsetzt von den Agenten aus der Maschine und Einheiten des erweiterten Personenschutzes mit ihren Panzerwesten und MPs. Etwa dreißig Diplomaten umstanden das Ende des roten Teppichs. Zivile und uniformierte Sicherheitsleute hielten sich unterhalb des Heckbereichs der Maschine auf, weitere Polizisten flankierten die Absperrungen, hinter denen sich die Journalisten drängten. Nicht viel ließ darauf schließen, das etwas Unvorhergesehenes stattgefunden hatte oder noch zu erwarten war, sah man davon ab, dass Clinton mit einiger Verzögerung und erst bei seinem zweiten Erscheinen ausgestiegen war.

Lex’ Signal konnte alles oder nichts bedeutet haben. Lex hatte ihm lediglich signalisiert, den Präsidenten noch nicht aussteigen zu lassen. Möglicherweise wegen einer Lappalie, einer fehlenden Rückbestätigung, dass alles in Ordnung war. So was kam vor.

Dennoch ahnte Guterson, dass nichts anderes der Grund gewesen sein konnte als der Attentatsfall. Er hatte ein Gespür für derlei Situationen entwickelt. Wahre Gefahr offenbarte sich nicht augenfällig. Während er vor Clinton herging, legte er erhöhte Wachsamkeit an den Tag. Sein Hirn verarbeitete die Informationen, die ihm seine Sinne lieferten, in Hochgeschwindigkeit. Er studierte Gesichter, Bewegungen, Fahrzeuge, Fassaden. Was immer zu der Verzögerung geführt hatte, Lex war einem Verdacht gefolgt und auf Nummer Sicher gegangen.

Wie es aussah, hatte sich die Sache erledigt. Schon drei Minuten später hatte er den Präsidenten endgültig herauswinken können, kein nennenswerter Zeitverzug angesichts des Umstands, dass Clinton ohnehin zwanzig Minuten auf sich hatte warten lassen. Selbst sein plötzliches Auftauchen und Verschwinden würde sich erklären lassen. Die Frage war immer, was man wie erklärt haben wollte. Und was überhaupt passiert war.

Und natürlich am Ende, ob überhaupt etwas passiert war.

Guterson wusste, dass Clinton ziemlich sauer auf ihn war. Der Präsident hasste Schlampereien in der Sicherheit. Clinton wollte auf seine außerprotokollarischen Alleingänge nicht verzichten, aber ihm war auch bewusst, dass er sich das Bad in der Menge nur erlauben konnte, wenn die Security ohne jede Panne funktionierte. Und Guterson hatte ihn heute zurückgeschickt, nachdem er schon fast draußen gewesen war.

Es würde ein Donnerwetter geben.

Er stellte sich seitwärts und wartete. Mehrere seiner Leute gingen in kurzem Abstand hinter dem Präsidenten her, andere hatten beidseitig der Gangway Posten bezogen. Clinton schüttelte dem Chef des deutschen Protokolls die Hand, wechselte lächelnd ein paar Worte mit ihm, entschuldigte sich für die Verzögerung, begrüßte dann nacheinander den Bonner US-Botschafter und seine Frau, die anwesenden Offiziere und ein paar weitere Diplomaten. Es geschah für Clintons Verhältnisse außergewöhnlich knapp. Dann war die Begrüßung zu Ende, und das Lächeln wurde wieder ausgeknipst. Der Präsident sah hinüber zu Guterson und winkte ihn mit einer knappen Geste zu sich heran.

»Was sollte das eben?«, zischte er. »Dieses Raus und Rein.«

»Ich weiß es noch nicht«, sagte Guterson betreten.

»Klären Sie das. Umgehend! Sie sind für meine Sicherheit verantwortlich, Norman, machen Sie verdammt noch mal Ihren Job.«

»Natürlich!«

»Das war für heute Ihre letzte Panne.«

Clintons Miene blieb unbeweglich, während er Guterson zusammenstauchte. Er mochte nicht eben als Inbegriff guter Laune erscheinen in diesen Sekunden, aber solange das Auge eines Menschen oder einer Kamera auf ihn gerichtet war, verlor er niemals die Fassung oder zeigte auch nur ansatzweise Verunsicherung. Schon ‘78 in Arkansas, als Clinton mit zweiunddreißig Jahren jüngster Gouverneur der Vereinigten Staaten seit über vier Jahrzehnten geworden war, hatte er seine Lektion im Rollenspiel perfekt gelernt. Noch im Angesicht des Weltuntergangs vermochte er Menschen das Gefühl zu geben, es sei alles in bester Ordnung, abgesehen vielleicht von seinem persönlichen Armageddon vor den Untersuchungsausschüssen. Selbst Kenneth Starr hatte er vergleichsweise souverän aufklatschen lassen. Die Kehrseite der enormen Selbstbeherrschung war, dass sie ihm half, aufrechten Gesichts die Unwahrheit zu sagen. Clinton einer Lüge zu überführen, war ein kräftezehrender Faktenjob und darum auch so schwierig. An der Nase war sie ihm jedenfalls nicht anzusehen.

Guterson nickte, erspähte Graham Lex, der vom Heck der Maschine herangetreten war, und ging zu ihm hinüber. Einige Sekunden lang sprach er leise mit dem Bereichsleiter. Dann ging er weiter zur Kolonne. Türen wurden geöffnet, schlugen zu, als sich die Hundertschaft Agenten und die Besatzung in ihre Fahrzeuge verdrückten. Clinton stieg soeben in seine Limousine. Schon am Vortag hatte eine US-Galaxy-Maschine drei gepanzerte, überlange Lincolns eingeflogen. Sie brachten alles in doppelter und dreifacher Ausfertigung mit, wenn sie auf Reisen gingen. Soeben war, wie Guterson wusste, auch die Spare-Maschine gelandet, eine 707 mit nahezu derselben Ausstattung wie die Air Force One, Clintons Ersatzflieger für alle Fälle. Sie ließen es nicht drauf ankommen. Zufälle konnten nett sein, wenn einem unvermittelt alte Schulkameraden oder die Frau fürs Leben über den Weg liefen. In der Politik hatten sie nichts zu suchen.