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»Wir sind hier in Italien, Mirko. Es gilt das gesprochene Wort.«

»Also sind wir uns einig?«

»Es wäre unsinnig, wenn sich Leute wie wir in die Haare geraten«, sagte Jana gelassen. »So etwas endet immer unerfreulich. Sie haben mir zwar eben einen Grund geliefert, Sie irgendwo in diesen schönen Bergen zu verscharren.«

»Ich weiß.«

»Aber ich mag Ihre Offenheit. Außerdem glaube ich kaum, dass ich so einfach zum Verscharren käme.« Sie nickte ihm zu. »Goliath gegen Goliath. Einverstanden bis dahin, Mirko.«

»Gut. Noch etwas. Falls Sie sich für uns entscheiden, werden wir die Operation gemeinsam in Angriff nehmen. Das heißt, Sie und ich. Ich werde mich Ihnen und Ihrem Kommando zwar unterordnen und

Ihnen zuarbeiten. Aber ich werde mit von der Partie sein.«

»Auf Wunsch Ihrer Auftraggeber?«

»So ist es.«

»Verstehe. Nichts dagegen, solange Sie Ihren Job machen.« Janas Augen verengten sich, während sie mit gleicher Ruhe weitersprach. »Sollte ich allerdings auch nur die geringsten Anzeichen dafür sehen, dass Ihnen die Sache über den Kopf wächst, behalte ich mir vor, Sie erstens rauszuschmeißen und zweitens die Operation abzublasen. Das sind meine Bedingungen, Mirko. D‘accordo?«

»Voll und ganz.«

»Sie unterstehen meinem Kommando. Sie tun, was ich Ihnen sage. Und Sie werden mich bitteschön beeindrucken.«

Mirko neigte den Kopf.

»Ich denke«, sagte er, »das dürfte sich machen lassen.«

Nachdem Mirko gegangen war, nahm Jana im Ort ein leichtes Mittagessen zu sich. Sie saß an einem wackligen Holztisch mit rotweiß karierter Decke, aß panini und hausgemachte Kleinigkeiten und genoss den atemberaubenden Blick in die einhundertzwanzig Meter tiefe Loreto-Schlucht. Mehrfach telefonierte sie über Handy mit La Morra und San Remo und verrichtete die Arbeit von Laura Firidolfi, während Ricardo den Mann namens Mirko zurück nach Turin fuhr.

Einerseits empfand sie eine gewisse Bewunderung. Mirko musste über eine beachtliche Kenntnis der Szene verfügen. Zugleich war es eben dieser Umstand, der sie beunruhigte. Niemand außer einer Hand voll Vertrauter kannte die wahre Identität von Laura Firidolfi. Wiederum hatte keiner ihrer bisherigen Auftraggeber je Kenntnis von der bürgerlichen Existenz Janas gehabt. Ricardo verkörperte die Schnittstelle über eine Reihe toter Briefkästen und Mittelsmänner. Allein den Weg einer Anfrage bis zu ihm zurückzuverfolgen, war beinahe unmöglich, geschweige denn Jana als Laura Firidolfi oder Sonja Cosic zu identifizieren.

Mirkos Bedingungen hingegen hatten sie nicht sonderlich überrascht. Es war üblich, dem Wunsch eines Kollegen nach Anonymität Respekt zu zollen. Die terroristische Szene unterschied sich insoweit von der rein kriminellen, als sie Kooperation über Zwistigkeiten stellte. Das geschah aus Eigeninteresse, nicht aus Ehrbarkeit. Terroristen lernten voneinander. Sie schätzten die Zusammenarbeit, sofern sie nicht – wie in den religiösen Lagern – auf zwei grundsätzlich verschiedenen Seiten standen.

Eine Ausnahme bildeten die Professionals. Wer ausschließlich für Geld arbeitete, war mehr als jeder andere darauf angewiesen, unerkannt zu bleiben. Auftragsattentäter hinterließen keine Bekennerschreiben. Sie verspürten nicht den Drang des Outings. Sie hatten keine Botschaften für die Welt, sondern Nummernkonten. Jana schätzte, dass Mirko, so patriotisch er sich geben mochte, dem professionellen Lager zuzurechnen war. Wenn seine Auftraggeber, wie er angedeutet hatte, in den Machtzentren Serbiens zu finden waren, musste er ihre nationalistischen Motive darum noch lange nicht teilen. Auch und gerade als Neutraler leistete er ihnen wertvolle Dienste. Jana selbst war dafür ein ideales Beispiel.

Ein anderes war Slobodan Milosevic. Er vertrat den Nationalismus nicht, sondern bediente sich seiner, ein ehemals kommunistischer Betonkopf mit einem todsicheren Gespür für Trends. Gerade weil er sich das Mäntelchen der neuen Gesinnung so lose umgeschwungen hatte, stand es ihm besonders gut. Die richtige Inszenierung schien oft wahrhaftiger als die Wahrheit.

Es war offensichtlich, dass Mirkos Hintermänner tatsächlich nach Patrioten suchten, und ebenso, dass Mirko ihre – Janas – Geschichte kannte, seit sie sich dem patriotischen Geist verschrieben hatte. Sie hatten ihn eingeschaltet, um jemanden wie sie zu finden, eine Person, die beides war, Idealist und Profi. Betrachtete man es in diesem Licht, gab es zu Jana tatsächlich keine Alternative.

Sie winkte den Ober heran und bestellte einen Grappa. Bis das Glas mit der schwach gelblichen Flüssigkeit vor ihr stand, schaltete sie ihr Gehirn auf standby und betrachtete die Landschaft. Die Fähigkeit, jegliches Denken nach Belieben auszusetzen, gehörte zu den angenehmen Dingen, wenn man Arbeiten wie Jana verrichtete. Irgendwo über ihr sang ein Vogel. Im Hintergrund klapperten Bestecke, als der Ober die Schubladen des Schränkchens neben der Theke einräumte.

Sie trank den Grappa, zuerst in kontrollierten kleinen Schlucken, dann folgte sie einer Laune und kippte den Rest in einem Schwung hinterher.

Sie begann erneut zu überlegen.

Der jugoslawische Geheimdienst unterstand direkt der Belgrader Regierung. Ihm war eine derartige Operation, wie Mirko sie ihr angetragen hatte, am ehesten zuzutrauen. Sie hatte nie mit den Geheimdienstleuten zu tun gehabt. Die Paramilitärs gehörten nicht wirklich dazu, sie waren Söldner und Schergen. Auch mit dem innersten Zirkel, Verteidigungsminister Pavle Bulatovc etwa oder dem Wirrkopf Vuk Draskovic, dessen politischer Variantenreichtum die absonderlichsten Blüten trieb, war sie nie zusammengetroffen. Mirko hatte unterstellt, sie sei nicht in die höchsten Kreise vorgedrungen, und es stimmte. Tatsächlich hatte es nie irgendwelche Anweisungen an die Milizen gegeben, die sich ins Regierungsquartier zurückverfolgen ließen. Sie wusste, dass Milosevic Arkan und seine Horden insgeheim befehligte und deren Tun nicht nur billigte, sondern maßgeblich initiierte, dennoch schien ein Universum die beiden zu trennen, ein unüberbrückbarer Raum. Belgrad war klug genug, sich keine Blöße zu geben.

Das Dumme war, dass Mirko mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit jeden Gedanken, den Jana in diesem Moment dachte, einkalkuliert und provoziert hatte. Er hatte gewollt, dass sie ins Grübeln kam. Ihr Denken zu manipulieren, war eine Anmaßung, die Jana verstimmte, wenngleich die Möglichkeit bestand, dass Mirko lediglich versucht hatte, offener zu sein, als er es eigentlich durfte.

Er hatte Russland erwähnt.

Die Russen sympathisierten mit Belgrad. Mirko hatte seine Bemerkung über die russische Position nicht ohne Hintergedanken fallen lassen. Es gab eine Menge einzelner alter Männer dort, die nicht Boris Jelzin hießen und die Macht in Händen hielten. Die roten Bosse vertraten alle möglichen Interessen, aber von einer weltpolitischen Verschwörung waren sie weit entfernt. Russland hatte den Terrorismus kriminalisiert und das Verbrechen dafür salonfähig gemacht. Die Grauzone zwischen Legalität und Illegalität barg den wahren Machtbereich des Riesenreichs, und diese Macht fußte auf dem globalen Geldfluss. Von Russland mochte einiges Säbelrasseln zu erwarten sein, wenn die Nato ihre Drohungen gegen Jugoslawien wahr machte, aber zu guter Letzt würden die harten Worte unter der Watte westlicher Kredite ihre Konturen verlieren.

Andererseits gab es keinen Zweifel daran, dass gewisse russische Kreise Kriege und Konflikte geradezu herbeisehnten.

Mirko plaudert über die Russen, also deutet er an, Moskau habe seine Finger im Spiel. Ihm musste klar gewesen sein, dass das ein bisschen platt klang. Warum hatte er es dann gesagt? Warum hatte er überhaupt Andeutungen gemacht? Hatten seine Hintermänner Angst, sie könnte nein sagen?