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Kuhn kicherte.

»Hast du wenigstens bekommen, was du gewollt hast?«

Sie zögerte. Dann wandte sie sich ab und ging weiter in den hinteren Bereich der Halle.

Im selben Moment explodierte die Tür.

60 SEKUNDEN

Der Lauf der Zeit verlangsamte sich.

Im Blitz der Detonation erschienen Jana, Gruschkow, Silberman, O’Connor und Kuhn wie Figuren auf einem Foto. Der Knall hallte in Wagners Schädel wider, dann kippte seine Frequenz nach unten weg und verwandelte sich in hohles, dumpfes Dröhnen. Die Bruchstücke der Tür flogen nicht in den Raum, sondern schoben sich herein, kamen inmitten von Skulpturen aus feurigem Rauch herangekrochen, schwarz und zerdehnt.

Alles stagnierte für die Dauer einer hundertstel Sekunde.

Stillstand.

Dann hatte Wagners Rezeptionsvermögen die Realität wieder eingeholt, und die Ereignisse vollzogen sich umso schneller. Es krachte, splitterte, barst. Kuhn bäumte sich auf und rutschte neben sie. Stimmen schrien durcheinander, Teile der Tür prasselten zu Boden. Von einem Augenblick auf den anderen brach die Hölle los.

Mit aufgerissenen Augen sah sie die Männer aus dem Rauch auftauchen und mit erhobenen Waffen in die Halle stürmen.

Wir werden befreit, dachte sie. Sie holen uns hier raus.

Sie sprang auf.

Der vorderste Eindringling hatte O’Connors Bild genau vor Augen. Er sah den Doktor zu sich herüberstarren, und sein inneres Programm sonderte ihn ohne Zeitverzug aus, ebenso den angeketteten Mann, der am Boden lag. Der Agent wusste, dass er auf jede andere Person schießen konnte, weil jede andere Person entweder Jana, Gruschkow oder Mahder war.

Er brachte die Waffe in Anschlag.

Und stockte.

Verwirrung bemächtigte sich seiner. Der Raum war voller Leute. Eine Frau schien aus dem Boden zu wachsen. O’Connor stand seitlich vor ihr, neben ihm ein weiterer Mann, ein Schwarzer, der entsetzt zurückwich.

Irgendwo dahinter Gruschkow und Jana.

Die langjährige Ausbildung des Secret Service, Jahre unerbittlichen Trainings, in denen neben seinen körperlichen auch seine geistigen Fähigkeiten, seine Sinneswahrnehmung und sein Reaktionsvermögen geschult worden waren, befähigten ihn zu einer blitzartigen Analyse, noch während er durch die Rauchschwaden weiterlief. Die unbekannten Personen konnten Geiseln sein. Mit Sicherheit gehörten sie nicht zu Janas Kommando. Ganz gleich, wer sie waren, er durfte sie auf keinen Fall treffen, aber es wurde unweigerlich geschehen, wenn er jetzt schoss, weil sie ihm den Blick verstellten.

Einen Herzschlag lang fühlte er sich hilflos und überfordert, dann sprang er zur Seite, um bessere Sicht zu erlangen.

Der kaum messbare Moment des Zögerns besiegelte sein Schicksal.

Jana wirbelte herum, noch während die Trümmer der Detonation umhersausten. Sie sah den Agenten mit ausgestrecktem Arm seitlich von O’Connor auftauchen, während Silberman mit panischem Blick an ihr vorbeirannte, und feuerte mehrmals schnell hintereinander.

Der Agent prallte mit zerfetzter Brust zurück und stürzte in den Rauch. Zwei weitere Männer erschienen und liefen in die Halle hinein. Das Donnern ihrer Waffen wurde von den Wänden zurückgeworfen und zu einem rollenden Echo verstärkt, durchbrochen vom schrapnellartigen Zischen der Einschläge.

Jana vollführte einen Satz. Ohne im Feuern innezuhalten, hechtete sie zu dem Schaltkasten in der Mitte der Halle und schlug mit der freien Hand auf den grünen Knopf.

Von der gegenüberliegenden Wand erklang dumpfes Grollen.

Langsam setzte sich der tonnenschwere Untersatz des YAG in Bewegung.

Gruschkow reagierte bei weitem langsamer als Jana. Er war im Schießen nicht geübt. Seine Schnelligkeit lag im Programmieren und Knacken von Codes, seine Gedanken eilten den meisten Menschen davon, aber dieser Situation war er nicht gewachsen. Es war sein Glück und sein Verhängnis zugleich, dass O’Connor und die Frau, die vor seinen Augen aufsprang, den Agenten die Sicht nahmen. Er sah den ersten der Angreifer fallen, riss die Frau zu sich heran und hob die Waffe.

Etwas prallte schmerzhaft gegen seinen Unterarm. Die Pistole entglitt seinen Fingern.

Der zweite Agent rannte auf Gruschkow zu und versuchte, den Russen ins Visier zu nehmen. Vor seinen Augen spielte sich ein heilloses Durcheinander ab. Jana schien durch die Halle zu fliegen, während Gruschkow plötzlich Mittelpunkt eines Getümmels war. Einen Moment lang hielt der Russe die große Frau als lebenden Schutzschild vor sich, dann wurde er von O’Connor attackiert.

Unmöglich, Gruschkow zu treffen.

Der Agent fuhr herum und zielte auf Jana.

Sie sah es aus den Augenwinkeln, pirouettierte um den Schaltkasten herum und drückte ab. Der Agent schrie auf und schlug in vollem Lauf hin, dann spürte sie einen brennenden Schmerz am rechten Oberarm.

Sie war getroffen worden!

Ein Streifschuss. Es war nur oberflächlich. Sie rannte weiter.

O’Connor holte aus.

Er hatte nicht die mindeste Ahnung, wer die Eindringlinge waren, aber sie schossen auf die Terroristen, also konnten sie keine Gegner sein. Nachdem es ihm gelungen war, Gruschkow die Waffe aus der Hand zu schlagen, flog seine Faust ein weiteres Mal heran. Er war im

Prügeln nicht unerfahren. Der Schlag hätte dem Russen das Nasenbein zertrümmert, aber diesmal war Gruschkow schneller. Er stieß Wagner von sich weg und begann, mit langen Schritten von ihnen fortzulaufen.

O’Connor kam ins Wanken, als sie gegen ihn fiel. Jemand schrie. Es war einer der Männer, die zur Befreiung gekommen waren. Er wälzte sich am Boden und schoss wahllos um sich.

Befreiung? Was zum Teufel war das für eine Befreiung?

Etwas pfiff dicht an seinem Ohr vorbei.

»Kuhn«, heulte Wagner auf. »Wir müssen Kuhn–«

Er packte sie bei den Schultern und begann, mit ihr nach hinten zu laufen.

»Kuhn!«

»Nein!«

Silberman hatte gelernt, dass es keine Feigheit war, die Flucht zu ergreifen, wenn die Kugeln flogen. Dennoch rannte sein schlechtes Gewissen mit. Fürchterliche Angst hielt ihn gepackt, und zugleich schalt er sich einen Narren, nicht überlegter und mutiger zu handeln. Er war Kriegsberichterstatter gewesen. Er hatte so etwas schon mehrfach erlebt.

Nein, Unsinn! Er hatte so etwas noch nie erlebt.

Die Kugeln waren in sicherem Abstand geflogen in Bosnien, die Raketen am Horizont eingeschlagen in Kuwait. Sie hatten gefilmt, was man filmen konnte, ohne jeden Augenblick befürchten zu müssen, Opfer eines Krieges zu werden, den andere gegeneinander führten. Sie waren auch nie weggelaufen, sondern hatten allenfalls überstürzt die Zelte abgebrochen, und immer hatte ein Wagen bereitgestanden, um sie aus der Gefahrenzone zu bringen.

Nie zuvor war er mit einem halben Dutzend Menschen in einer Halle eingesperrt gewesen, die wie die Wahnsinnigen aufeinander schossen. Die Eindringlinge sahen aus wie Agenten des Secret Service, aber sie trugen nicht eben dazu bei, die Atmosphäre erträglicher zu machen.

Es war entschieden zu viel für seinen Geschmack, was in diesen Sekunden passierte.

Er musste raus hier!

Er hastete auf die Türen zu, die er schon beim Eintreten bemerkt hatte. Offenbar führten sie zu Räumen im hinteren Teil der Halle. Ein Rumpeln und Poltern mischte sich plötzlich in das Schreien und Schießen. Mit halbem Blick sah er das riesige Ding näher kommen, das an der Längswand gestanden hatte, lief weiter, riss eine der Türen auf und stolperte in den dahinter liegenden Raum.

Der Zusammenprall warf ihn zurück.

Entsetzt registrierte er, dass er mit jemandem zusammengestoßen war. Ein Mann starrte ihn verdattert an, taumelte. Er trug einen dunklen Anzug wie die anderen Angreifer und eine Pistole. Hinter ihm zeichnete sich das Karree eines Fensters ab. Auch diesmal erkannte Silberman die Kluft des Secret Service. Es war ihm gleich. Ohne nachzudenken drängte er weiter vorwärts, versuchte, den Mann zur Seite zu schieben, um zum Fenster zu gelangen.