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Es war ein Spiel. So viel wirklicher als das Leben. Nur, dass er den Einsatz diesmal nicht erhöhen konnte.

Kuhn sah ihn an.

»Ich will hier nicht verrecken«, sagte er.

Wurden Prominente aufgebahrt? Vor aller Augen? Wie grauenhaft. Was sollte er anziehen? Sie würden die falsche Krawatte zum Anzug aussuchen, den Ton des Hemdes verfehlen. Alles würde hinten und vorne nicht stimmen. Er würde sich noch im Tode unsterblich blamieren.

»Nein«, flüsterte O’Connor. »Ich auch nicht.«

MIRKO

Auge in Auge, unfähig zum Handeln.

Keiner von ihnen konnte gewinnen, so wie sie da standen. Sie waren einander ebenbürtig, beide gleich gut, gleich schnell. Wer immer zuerst schoss, würde vom anderen getroffen werden. Sie würden beide sterben, versetzt um ein Minimum an Lebenszeit.

Es lohnte nicht.

Mirko sprang zurück hinter den YAG, gleichzeitig verschwand Jana auf der anderen Seite. Das tonnenschwere Gerät rollte gemächlich auf ihn zu. Mirko trat einen Schritt zurück, und der YAG kam mit dem Geräusch eines Gongschlags zum Stehen.

Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie viel Lärm das Ding gemacht hatte. In der plötzlich eintretenden Stille war nur das unterdrückte Stöhnen des Agenten zu hören, der langsam auf das Loch zukroch, wo die Tür gewesen war, den blutigen Stumpf mit der anderen Hand umklammert. Er hatte es geschafft, Gruschkows Körper wegzustemmen. Mirko schenkte ihm keine Beachtung. Er stand vor der mächtigen Flanke des Lasers und versuchte, irgendein Geräusch auszumachen, das Janas Position verriet.

Aber Jana war wie er. Sie machte keine Geräusche. Er musste sich auf seine Intuition verlassen, und die besagte nur, dass sie rechts, links, oben oder unten auftauchen konnte.

Schnell ließ er sich zu Boden fallen und sprang sofort wieder auf. Der kurze Moment hatte gereicht, um unter dem Pritschenwagen hindurchzusehen. Janas Füße hätten dort irgendwo sein müssen, aber da war nichts. Augenblicklich begriff er, was sie vorhatte. Ohne Verzug feuerte er über die Kante des YAG hinweg, während er rückwärts durch die Halle lief. Mit zunehmender Entfernung von dem Laser sah er Jana darauf liegen – eine Sekunde später, und sie hätte ihn gehabt. Er feuerte mit solcher Frequenz, dass ihr nichts anderes übrig blieb, als sich mit einem Sprung jenseits des YAG in Sicherheit zu bringen, dann war er aus der Halle heraus und im Innenhof.

JANA

Sie hörte Mirko entkommen und widerstand dem Impuls, ihm hinterherzulaufen. Er würde sie erwischen, sobald sie die Halle verließ. Draußen war er in der besseren Position.

Jana schenkte dem Streifschuss an ihrem Oberarm keine weitere Beachtung. Ohne den Griff um die Pistole zu lockern, trat sie hinter dem YAG hervor. Die Halle bot einen schrecklichen Anblick. Innerhalb einer Minute war ein Sturm der Vernichtung hindurchgefegt. Gruschkow war tot. Im vorderen Bereich lagen Mahder und die erschossenen Agenten. An der Wand gewahrte sie O’Connor, der sich langsam aufrichtete, ebenso wie der Schwarze weiter hinten. Kuhn versuchte, sich gleichfalls hochzustemmen, und knickte wieder ein. Von der Frau war nichts zu sehen.

Jana steckte die Walther PP zurück in ihren Gürtel und schob ein neues Magazin in die Glock. Sie sah zu dem Büro hinüber, durch das Mirko eingedrungen war. Es stand offen. Mit schnellen Schritten war sie dort und zog die Tür zu. Mirko konnte auf die Idee verfallen, ein zweites Mal das Fenster zu benutzen. Sie rechnete nicht wirklich mit einem solchen Dacapo, aber sie hatte auch nicht damit gerechnet, dass er ein doppeltes Spiel trieb.

Irgendwie musste sie den Ausgang blockieren.

Sie stieß die Tür zum Computerraum auf und sah sich Kika Wagner gegenüber.

»Raus«, fuhr sie die Frau an. »Zu den anderen.« Dann kam ihr eine Idee. Während sie versuchte, alles gleichzeitig im Blick zu behalten, Wagner, O‘Connor und den gesprengten Eingang, gab sie der Frau den Befehl, einen Stuhl mit herauszubringen und den Zugang zum Büro zu blockieren.

Ihr Blick fiel auf den langen Holztisch.

»O’Connor!«

Er sah zu ihr herüber und rappelte sich hoch. Mit seinen weiß bandagierten Händen glich er auf bizarre Weise einem Butler. Sie fragte sich, ob er in der Lage war zuzupacken, aber er hatte auch die Absperrung des GEW-Geländes hinaufklettern können. Ohne die Türöffnung aus den Augen zu lassen, ging sie zu dem Schwarzen und zerrte ihn hoch. Der Mann ließ einen Schmerzenslaut hören. Sie bemerkte Blut auf seinem Oberschenkel und sah, dass er angeschossen worden war. Eigentlich ein Wunder, dass überhaupt jemand in der Halle überlebt hatte bei Hunderten herumpfeifender Projektile.

»Ihr beide«, sagte sie barsch, »du und O’Connor. Rüber zu dem Tisch.«

Der Schwarze blinzelte verständnislos mit schmerzverzerrter Miene. Sie wiederholte die Anordnung auf Englisch. Diesmal reagierte er, aber er humpelte auf O’Connor zu.

»Stopp!«

Er verharrte.

»Zum Tisch, habe ich gesagt«, schrie Jana. »Schnappt euch das Ding und verstellt die Tür damit. Los, beeilt euch.«

»Er ist verletzt«, sagte O’Connor. Sein Brustkorb hob und senkte sich. Er funkelte Jana zornig an.

»Dann mach es allein!«

Den Blick unverwandt auf Jana gerichtet, machte sich der Physiker an dem Tisch zu schaffen und begann, ihn über den Hallenboden zu schleifen. Das Geräusch war enervierend. Sie sah abwechselnd zu ihm und Wagner. Die Frau hatte den Stuhl unter der Klinke verkeilt und kam langsam herüber.

»Hilf ihm«, sagte Jana.

Wagner gehorchte. Zu zweit schafften sie es schneller. Aus irgendeinem Grund schätzte Jana, dass Mirko nicht auf die Frau oder O’Connor schießen würde. Noch nicht. Er hatte es ganz klar auf das Kommando abgesehen, aber ganz offensichtlich war ihm ebenso wenig an der Befreiung der Geiseln gelegen. Welche Pläne auch immer er verfolgte, er würde an allen Verrat üben, die noch in diesem Raum waren.

Voller Bitterkeit machte sie sich klar, dass das Trojanische Pferd zu keiner Zeit beabsichtigt hatte, das Kommando entkommen zu lassen. In ohnmächtiger Wut presste sie die Kiefer aufeinander. Nie zuvor in ihrem Leben war sie auf so perfide Weise getäuscht worden. Nie hatte sie sich selbst so schrecklich getäuscht! Wie eine Fata Morgana manifestierte sich die Zukunft vor ihr, das andere Leben, friedlich, unspektakulär, möglicherweise langweilig – aber was hätte sie alles gegeben für ein bisschen Langeweile am richtigen Ort! –, und verging, als hätte es die Vision niemals gegeben. Alles schien verloren. So kurz vor dem Ziel war sie ihrem Frieden ferner denn je, gefangen in dieser Halle, umdünstet von Blut und Angst. Übel konnte einem werden. Sie hasste Massaker. Massaker hatten nichts gemein mit einem sauber ausgeführten Mord, einer professionellen Tötung. Sie hatte die Gemetzel an den Krajina-Serben gehasst, an den Bosniern, an den Kosovaren, die Menschenverachtung eines Karadzic, die willkürlichen Hinrichtungsorgien von Arkan, all die Überfälle auf Bauernhäuser in der Nacht, das Hervorzerren von Menschen, das dumpfe Johlen der Horde, wenn Dutzende von Frauen und Kindern in Gruben gestoßen und Handgranaten hinterhergeworfen wurden, die Geräusche menschlichen Leids. Niemand, den sie je getötet hatte, hatte leiden müssen. Selbst der amerikanische Präsident, dessen Arroganz sich wie Säure ins Herz des Balkans gefressen hatte, der Mann, dem in wenigen Wochen gelungen war, was der monströse Apparat kommunistischer Propaganda in einem halben Jahrhundert nicht hatte zuwege bringen können, nämlich den Hass der Serben auf Amerika zu entfachen, sogar er wäre einen gnädigen, schnellen Tod gestorben, er hätte einfach aufgehört zu existieren, ein Symbol der Macht in diesem und des Scheiterns im nächsten Moment.