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Ungeduldig sah sie zu, wie Wagner und O’Connor den Tisch vor die geschwärzte Öffnung wuchteten und zurückkehrten. Silberman war auf Händen und Knien zu Kuhn gekrochen und redete leise mit dem Lektor.

Was, wenn das Attentat gelungen wäre? Hätten Mirkos Männer auch dann die Spedition gestürmt? Wollte das Trojanische Pferd auf diese Weise alle Spuren tilgen? Aber dann stellten sie es grundverkehrt an, denn so legten sie die Spuren erst recht, die unweigerlich nach Belgrad führen würden oder nach Moskau. Man würde die Leichen identifizieren und herausfinden, wer sie waren. Sie und Gruschkow. Eine serbische Nationalistin und ein russischer Schwerverbrecher.

Es ergab keinen Sinn!

Es sei denn – dass sie genau dies beabsichtigten!

Jana konnte es nicht glauben. Warum sollten Mirko und seine Auftraggeber so etwas tun?

Sie musste dahinterkommen, was er vorhatte. Viel Zeit würde ihr nicht bleiben, und solange Mirko die Halle belagerte, konnte sie nicht fliehen. Sie überlegte, was sie an seiner Stelle tun würde. Es bestand kein Zweifel daran, dass Mirko sich verschätzt hatte. Würde er Verstärkung anfordern? Wenn ihm daran gelegen war, Tabula rasa zu machen, stand auch er unter enormem Zeitdruck. Im Umkreis einiger hundert Meter gab es zwar keine Wohnhäuser, aber die Explosion oder die Schießerei konnte dennoch jemanden auf den Plan gerufen haben. Irgendwann würde die Polizei die Spedition ohnehin ausfindig machen. Jeder würde gegen jeden stehen.

Sie musste hier raus und Mirko zur Strecke bringen, bevor es so weit war.

Ihr Blick fiel auf den verletzten Angreifer, der sich mit der unversehrten Hand vom Boden hochstemmte. Einen Moment lang erwog sie, ihn zu töten.

Dann kam ihr eine bessere Idee.

O’CONNOR

»Wir könnten fliehen«, flüsterte Wagner, während sie die zerborstene Öffnung mit dem Tisch blockierten. »Du könntest fliehen, und ich bleibe bei Kuhn. Vielleicht sind noch einige von denen draußen.«

»Du meinst, die sollten uns hier rausholen?«, fragte er leise.

»Du nicht?«

»Ich weiß nicht. Wo sind die so schnell hergekommen? Vielleicht sollten sie die Terroristen fertig machen, aber wir schienen eher im Weg gestanden zu haben. Silberman ist getroffen worden.«

»Warum sonst sollten sie die Halle gestürmt haben?«

»Gute Frage. Ich weiß es nicht, aber wegen uns kann es nicht gewesen sein. Und warum dann nicht die Polizei? Ich glaube, wenn wir rausgehen, ist es noch unsicherer als hier drinnen.«

Tapsende Geräusche erklangen dicht hinter ihnen. Sie fuhren herum und sahen einen der Angreifer auf sich zutaumeln. Er sah schrecklich aus. Sein Gesicht war eine Grimasse der Qual.

Jana sprang auf und hob die Waffe.

»Weg von der Tür!«

Der Mann blieb stehen. Er hob die Arme. Dort, wo die rechte Hand hätte sein müssen, war ein blutiger Stumpf, den er mit der Linken abdrückte. Ein Stöhnen kam über seine Lippen. Er tapste ein paar Schritte rückwärts, verdrehte die Augen und fiel auf die Knie.

»Mein Gott«, sagte Wagner.

Sie lief zu ihm.

»O’Connor«, rief Jana. »Können Sie die Blutung stoppen?«

Der Mann war gegen Wagner gesunken, die ihn an den Schultern festhielt. O’Connor sah zu dem Verletzten herab. Mit schnellen Bewegungen löste er seine Krawatte. Der Mann war verzweifelt bemüht, mit der gesunden Hand die Arterie abzuklemmen und dem Spritzen des Blutes Einhalt zu gebieten, aber es würde nicht reichen, ihn vor dem Verbluten zu bewahren.

»Bitte«, wimmerte er auf Englisch. »Helfen Sie mir.«

Wagner hielt den Mann weiterhin aufrecht, während O’Connor seinen Arm abzubinden begann. Er fühlte eine schreckliche Ernüchterung, als er dem anderen in die Augen blickte.

Das war kein Spiel mehr.

Ausgespielt, dachte er. Und die Krawatte war auch zum Teufel. Armani, Einzelstück.

Game over.

WAGNER

Sie brachten den Verletzten zu Kuhn und Silberman, wo er sich mit dem Rücken gegen die Wand sinken ließ. Seine Brust hob und senkte sich unter tiefen, kontrollierten Atemzügen. Es war offensichtlich, dass er unter Schock stand, dennoch schien er bestrebt, die Kontrolle über sich zurückzugewinnen. Er lehnte es ab, sich zu setzen, bat aber um Wasser. Die Terroristin wies Wagner an, eine Flasche aus dem Computerraum zu holen, und der Mann trank wie ein Verdurstender. Allmählich wich das Glasige aus seinem Blick. Der Schock milderte die körperlichen Schmerzen, womöglich auch die der

Erkenntnis, was ihm widerfahren war.

Wagner versuchte, Mitleid mit ihm zu empfinden. Aber der Fundus ihrer Emotionen war den Bedarfsanforderungen entweder nicht gewachsen oder brachte sie schlicht durcheinander. Hätte man ihr die Situation a priori geschildert, wäre sie zu der unabdingbaren Überzeugung gelangt, keine Minute davon durchstehen zu können – jetzt ließ sie die schreckliche Verwundung des Mannes merkwürdig kalt. Eine Ahnung dämmerte in ihr empor, wie Soldaten empfinden mochten, die längere Zeit Bildern des Grauens und des Elends ausgeliefert waren. Natürliche Schutzmechanismen waren gut, solange sie sich nicht zu unüberwindbaren Traumata auftürmten, die der Schrecken ebenso wenig überwinden konnte wie die Seele.

Sie kniete neben Kuhn und strich ihm beruhigend übers Haar. Der Lektor schien in Katatonie verfallen zu sein. Während sich Silbermans Verletzung als oberflächlicher Streifschuss herausgestellt hatte, ging es Kuhn zusehends schlechter. Er schnappte nach Luft und hielt die Augen halb geschlossen, so dass nur das Weiße zum Vorschein kam. Wagner sah hoch zu O’Connor.

»Er muss in ein Krankenhaus«, sagte sie.

O’Connor schüttelte grimmig den Kopf. »Erst mal muss er überhaupt hier raus«, sagte er mit einem Blick auf die Terroristin. »Und das geht wohl nicht so einfach, habe ich Recht?«

Die Frau starrte an ihm vorbei auf den verwundeten Angreifer.

»Das wird er uns verraten«, sagte sie. Sie trat dicht an den Mann heran und drückte den Pistolenlauf gegen seine Schläfe. Er zuckte zurück. Seine Lippen bewegten sich.

»Bitte nicht.« Seine Stimme war kaum mehr als ein Keuchen. »Erschießen Sie mich nicht, bitte.«

Die Frau reagierte, als sei sie geohrfeigt worden. Sie prallte zurück und sah ihn ungläubig an.

»Du bist Amerikaner«, rief sie.

Er schwieg, aber sein Gesicht verzerrte sich nur noch mehr.

»Du bist Amerikaner«, wiederholte sie leise und eindringlich. In plötzlicher Wut packte sie seine Kehle und drückte ihn gegen die Wand. Er stöhnte auf und versuchte, sie abzuwehren. Sie schien vor Zorn förmlich in Flammen zu stehen. Die Waffe in ihrer Hand fuhr hoch über ihren Kopf, als wolle sie ihm damit den Schädel einschlagen. Für einen Moment ließ sie sich hinreißen, achtete nicht mehr auf die anderen, verlor die Kontrolle.

O’Connor sprang sie an.

Die Terroristin stolperte rückwärts, und er setzte nach, holte aus und schlug ihr ins Gesicht. Sie taumelte, fiel über Kuhns Füße und prallte hart auf den Rücken.

»Liam!«, schrie Wagner.

Mit einem Satz war sie auf den Beinen und stürzte zu ihm. Er machte Anstalten, sich auf die am Boden liegende Terroristin zu werfen. Wagner fiel ihm in den Arm und riss ihn zurück.

»Sie tötet dich!«, flehte sie. »Hör auf! Du hast keine Chance, sie erschießt dich, sie erschießt uns alle.«

O’Connor zitterte am ganzen Leib. Schwer atmend stand er über der Frau, die ihre Waffe auf ihn gerichtet hielt. Die Mullbinden um die geballte Faust, mit der er sie getroffen hatte, verfärbten sich an zwei Stellen rot.