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»Das willst du nicht wissen«, sagte Jana kühl. »Du möchtest wissen, was für eine Bestie ich bin. Welche Sorte Monster. Du hast dein Urteil gefällt, jede Erklärung wäre Zeitverschwendung, also lassen wir’s.«

Sie ging zur Tür.

»Mehr haben Sie nicht zu bieten?«, sagte Kika.

Jana blieb stehen und drehte sich zu ihr um.

»Was soll das werden?«, fragte sie spöttisch. »Ein Gespräch von Frau zu Frau?«

»Ich will wissen, warum Sie Kuhn so zugerichtet haben.«

»Gruschkow hat Kuhn so zugerichtet. Vielleicht hätte ich Kuhns Leben geopfert, um meines zu retten. Das gebe ich zu. Aber ich hatte niemals vor, ihm das anzutun, ich hasse es, Menschen zu quälen. Sie können es glauben oder nicht.«

»Nein«, sagte Wagner. »Sie haben Recht, das kaufe ich Ihnen tatsächlich nicht ab. Leben ist Ihnen doch vollkommen gleichgültig.«

Die Frau sah sie aus ihren großen, dunklen Augen an. Wagner hätte erwartet, Zorn darin zu entdecken, aber sie las nichts, was sie kannte. Sie blickte auf die Oberfläche einer anderen Welt.

»Ich bin in Belgrad aufgewachsen«, sagte die Terroristin. »Eine sehr schöne Stadt. Warst du mal dort? Wenn du von den Brücken auf die Häuser siehst im Spätsommer, liegt ein ganz eigenartiges Licht darauf. Aber die Brücken sind ja wohl zerstört. Wir haben immer nur gelernt, wer wir nicht sind, bis Milosevic kam. Davor waren wir ein Rippenstück des sowjetischen Torsos. Danach haben wir erfahren, wer wir sein könnten, wenn man uns nicht immer alles weggenommen hätte. Meine Eltern interessierten sich nicht für Mythologie, dafür habe ich sie verachtet. Ich wollte etwas tun. Kämpfen. Nicht gegen, sondern für die Menschen. Also ließ ich mich ausbilden, Waffenkunde, Kampftechniken, Schießtraining, all das. Ich wollte nicht töten, verstehst du, nur stark sein und gewappnet, weil ich mein Land geliebt habe. Als Kind war ich oft bei meinen Großeltern in der Krajina – kennst du die Krajina?«

Wagner schwieg.

»Natürlich nicht. Du weißt nichts über mein Land. Das waren die schönsten Jahre. Meine Großeltern haben sich nie Gedanken darüber gemacht, ob es richtig oder verkehrt ist, irgendwo zu leben. Serbien hatte die alten angestammten Gebiete besetzt, Westslawonien und die Krajina, und da lebten sie halt. Aber die Kroaten erhoben Anspruch darauf, also sind sie ‘95 dort eingefallen. Sie haben die Serben aus dem Land gejagt. Die Welt hat flüchtig hingesehen und nicht mit Bombardierung gedroht, obwohl zweihunderttausend Menschen wie Vieh vertrieben und viele abgeschlachtet wurden. Meine Mutter weilte zu der Zeit dort. Sie und meine Großmutter sind von kroatischen Militärs erschossen worden.« Sie machte eine Pause. »Ich konnte nichts tun. Ich konnte mich bei meiner Mutter nicht für meine Verachtung entschuldigen, und mein Vater hatte sich aufgehängt, weil er damit nicht fertig wurde.«

Jana schien in sich hineinzublicken.

»Ich dachte, wenn ich im Kosovo verhindere, was in der Krajina passiert ist, mache ich was gut. Die haben mich gern genommen bei den Paramilitärs, mit meinem Studium und meiner militärischen Ausbildung. Aber sie taten da auch nichts anderes als die Kroaten. Ich wollte Gerechtigkeit, keine Säuberungen. Wir lebten wie die Fürsten und handelten wie die Barbaren. Also beschloss ich, eine bewaffnete Opposition aufzubauen, die alles besser macht. So etwas wie eine gemäßigte PLO oder IRA, die gezielt kämpft, ohne Massenmord zu begehen. Dazu brauchte ich Geld. Ich war eine ausgezeichnete Schützin und dachte, wenn ich ein paar Aufträge annehme, irgendwas, dann kann ich die Sache finanzieren. Ich erledigte einen Job für den Mossad, tötete in Syrien einen Industriellen für einen Konzern, liquidierte in Russland einen General. Dieser dritte Auftrag war, als hätte ich eine Tür aufgestoßen. Das Geschäft begann lukrativ zu werden, ich wurde reich, und Milosevic fing einen Krieg an. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte ich mein Land geliebt, und nun verlor ich jeden Glauben. Ich tat nichts. Was hätte ich noch ändern sollen mit meiner kleinen Armee?«

Wagner hörte ihr zu und war wider Willen gefesselt.

»Also sind Sie geblieben, was Sie waren«, sagte sie verächtlich. »Eine Killerin.«

»Die beste. Weltklasse. Im Ideal gescheitert, aber auf sehr erlesenem Standard. Ich bin steinreich, Mädchen. Das Leben war nicht nur schlecht. Aber dafür ziemlich sinnlos.«

»Und Clintons Tod hätte das geändert?«

»Es hätte mich befreit.«

»Mein Gott!« Wagner schüttelte den Kopf. »Sie glauben das wirklich. Warum haben Sie mir das alles erzählt?«

»Ich habe es nicht dir erzählt.« Jana schien kurz nachzudenken. Ein Lächeln zog über ihr Gesicht. »Übrigens, ich heiße Sonja. Sonja Cosic. Das ist mein Name.«

»Es interessiert mich nicht, wie Sie heißen«, sagte Wagner voller Trotz, obschon ihr andere Worte auf der Zunge lagen.

Jana zuckte die Achseln.

»Mag sein«, sagte sie im Hinausgehen. »Aber mich.«

MIRKO

Fliehen.

Natürlich konnte er sich einfach aus dem Staub machen. Es war unkomfortabel auf dem Dach. Idiotisch.

Aber fliehen? Mit welchem Resultat? Abhauen, obwohl die einzigen Menschen, die ihm gefährlich werden konnten, in dieser Halle saßen und wahrscheinlich verwirrt und demoralisiert waren?

Die Amerikaner würden ihn jagen. Man würde ihn zum meistge- suchten Verbrecher der USA erklären. Mit seiner Entlarvung wurde er auch für das Trojanische Pferd zum untragbaren Risiko. Sofern ihn die CIA oder Interpol nicht erwischten, würden ihm die Leute des Alten eben den Fangschuss verpassen. Es mochte ein paar Winkel auf der Welt geben, wo er in Sicherheit würde leben können. Aber was sollte er in Grönland, in Ecuador oder im Senegal ohne einen Cent?

Berauschende Aussichten.

Mitunter drangen aus der Halle gedämpfte Stimmen und Geräusche an sein Ohr. Es war unmöglich auszumachen, was dort vor sich ging. Der Himmel hatte sich verdunkelt. Wo die Sonne untergegangen war, verteilte sich noch milchiges Licht. Mehrfach waren Helikopter in unmittelbarer Nähe vorbeigeflogen. Bisher hatten sie ihn nicht entdeckt, aber der Ring zog sich zu. Mit jeder Sekunde, die verstrich, verringerte sich seine Chance, das Problem zu lösen. Er durfte nicht länger warten.

Wieder und wieder wälzte er den Gedanken, wie er am besten hineingelangte, ohne sofort von Jana liquidiert zu werden. Es half alles nichts, er würde ins Innere stürmen müssen und niederschießen, wer und was sich ihm in den Weg stellte. Es war geradezu peinlich, grob und unelegant. Vor allem hatte es zur Konsequenz, dass er mit seiner Waffe auf die Geiseln schießen musste. Aber gut, auch das ließ sich hinterher korrigieren. Ein bisschen mühsam halt, seine Fingerabdrücke abzuwischen und Janas auf der Waffe zu platzieren. Die Ballisti- ker würden herausfinden, dass es seine Waffe war, aber dann konnte er immer noch zu Protokoll geben, er habe sie an Jana verloren während der Schießerei. Irgendetwas würde ihm einfallen, das plausibel klang. Letzten Endes würden alle einfach nur froh sein, dass er den Laser gefunden und das Kommando ausgeschaltet hatte.

Vielleicht würde der Präsident ihm danken. Persönlich.

Amüsanter Gedanke.

Mitten in seine Überlegungen hinein fiel in der Halle ein Schuss.

Er hielt den Atem an.

Etwas war dort unten im Gange.

Besser, noch ein paar Minuten zu investieren. Es trieb ihn, hineinzugehen. Dennoch. Fünf Minuten würde er der Entwicklung geben, die sich in der Halle vollzog, was immer es war.

Flach auf dem Dach liegend, die Augen geschlossen, wartete er.

Keine drei Minuten waren vergangen, als zwei weitere Schüsse fielen. Erregt sah er auf. Wer sollte da unten noch aufeinander schießen?

Seine Leute?

Aber seine Leute waren tot. Zwei zumindest, und der dritte war schwer verletzt gewesen, soweit er das auf die Schnelle hatte erkennen können. Er hatte neben dem YAG gelegen und geschrien und dann begonnen, zur Tür zu kriechen, den Arm voller Blut.