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Unten begann sich jemand am Eingang zu schaffen zu machen, dann ertönte ein lautes Poltern.

»Drake!«

Mirko erstarrte. Das war Francis. Die Stimme des Mannes, der unter den YAG gekommen war.

»Drake, wo bist du? Hilf mir!«

Wie ein Reptil robbte Mirko an den Rand des Daches. Er zückte eine der Waffen und spähte vorsichtig nach unten. Der Innenhof war leer. Dort, wo der gesprengte Eingang war, fiel ein lang gezogenes Rechteck aus Licht auf den Asphalt.

»Drake!« Die Stimme des Agenten erklang unmittelbar unter ihm. »Verdammt, du kannst mich hier nicht allein lassen. Ich habe das Miststück erledigt, wo bist du?«

Die Schüsse.

Francis hatte Jana erschossen?

»Komm raus«, rief Mirko.

»Ich… ich kann nicht, ich kann nicht mehr. Drake! Meine Hand, ich… ich bin verletzt!«

Konnte das sein?

Mirko kam auf die Beine und lief über das Dach zum hinteren Teil der Halle. Auf dem letzten Drittel sprang er herunter. Vier oder fünf Meter waren kein Problem, wenn man Springen gelernt hatte. Er kam auf, ging in die Knie und federte wieder hoch. Dicht an der Wand entlang lief er bis zur vorderen Ecke.

»Drake!«

Er trat vor den Eingang und zielte hinein, während sein Hirn synchron alle Daten verarbeitete, die es erhielt, beurteilte und Schlussfolgerungen ableitete. Francis hockte neben dem Tisch, mit dem sie die Tür zugestellt hatten. Offenbar war es ihm gelungen, ihn von dort wegzuschieben und umzukippen. Seine rechte Hand fehlte, die linke hielt die Pistole umklammert. Sein Anzug war voller Blut. Überall in der Halle lagen reglose Körper.

»Was ist passiert?«, fragte er.

»Ich kann nicht mehr. Bitte, Drake…«

»Alles in Ordnung, Francis«, sagte Mirko in beruhigendem Tonfall. »Hab keine Angst, ich hol dich hier raus. Was ist passiert, wo ist Jana?«

»Hinten.« Der Agent keuchte und richtete sich auf. »Sie… hat

O’Connor erschossen, der Schwarze war schon tot, wir… müssen ihn… getroffen haben. Jana… sie dachte, ich… auch tot… tot gestellt… sie ging nach hinten… umziehen.«

»Du hast sie erwischt, als sie sich umgezogen hat?«

»Als… rauskam. Fertig.« Es schien Francis große Mühe zu bereiten, sich auf das Sprechen zu konzentrieren. Wahrscheinlich litt er fürchterliche Schmerzen. Mit zusammengebissenen Zähnen kam er ganz hoch und ließ die Waffe fallen. Sie schepperte zu Boden. Mirko trat langsam über die Schwelle. Links und rechts von ihm lagen die Leichen seiner Männer. Vor dem YAG konnte er Gruschkow sehen, mitten im Raum Mahder. An der Wand zwei Körper. Kuhn, halb über ihn gestreckt O’Connor.

Mit schnellen Schritten war er bei Francis, fasste ihn mit dem freien Arm unter den Achseln und zog ihn zu sich heran. Der Agent würde ihn abschirmen, falls aus dem hinteren Teil der Halle ein Angriff erfolgte. Er würde Francis ohnehin töten müssen. Mit Janas Waffe, damit das Bild in allen Einzelheiten stimmte.

»Komm«, sagte er. »Gehen wir nachsehen.«

»Kann… nicht mehr«, flüsterte der Agent.

»Das war sehr gut, Francis. Du warst klasse. Wirklich. Halt dich aufrecht, gleich haben wir es hinter uns.«

Er schob den verletzten Agenten vor sich her, während sein Blick den hinteren Teil der Halle absuchte. Schräg hinter dem YAG war Janas Oberkörper zu sehen. Sie trug wieder den dunklen Blazer von Laura Firidolfi und Lauras Langhaarperücke. Er wusste, dass sie sich für die Rolle der Cordula Malik von ihren echten Haaren hatte trennen müssen. Sie lag auf der Seite und kehrte ihm den Rücken zu. Von dem Schwarzen sah er nur die ausgestreckten Beine ein Stück weiter.

»Tot?«, sagte er. »Bist du sicher?«

Francis nickte kaum merklich.

Mirko feuerte dreimal kurz hintereinander in Janas liegenden Körper. Die Geschosse schlugen ein, ohne dass sie zuckte.

Sie war tot.

»Durchhalten, Francis«, sagte er wie jemand, der seinen besten Mann unter Lebensgefahr durch den feindlichen Dschungel schleppt. »Wir gehen weiter.«

WAGNER

Es würde nicht klappen.

Vorhin, als Liam noch einmal zu ihr in den Raum mit den Fernsehern und Computern gekommen war, hatte sie Zuversicht empfunden. Sie hatte nie in ihrem Leben eine Waffe in der Hand gehalten, aber sie war eine gute Fotografin mit einem guten Auge, und die Nikon war nicht schwer zu bedienen.

Wenige Sekunden hatten sie sich in den Armen gelegen. Er hatte kaum etwas gesagt. Keine geistreiche Bemerkung, kein falsches Aufmuntern. Nur ein paar Worte.

»Shannonbridge. Wenn das hier vorbei ist.«

Whiskytrinken im Lebensmittelladen zwischen Toilettenreiniger und Würstchen. Welch seltsame Dinge einem Menschen Kraft gaben!

Dann hatte er gesagt, was sie sich gewünscht hatte zu hören.

Im selben Moment war ihr klar geworden, dass sie seine Liebeserklärung keinen Moment früher hätte ertragen können. Sie war verliebt, aber es hätte sie vertrieben. Wie eine Überdosis von dem Zeug, das er in rauen Mengen konsumierte. Bis vor einer Stunde, trotz der Ungewissheit, was Kuhn passiert sein mochte und was am Flughafen vor sich ging, hatte sie jeden Gedanken an die Zukunft noch einem inneren Gesetzbuch unterworfen, auf dessen Vorderseite in schmucklosen Buchstaben das Wort »Normalität« prangte. Sie wäre ins Grübeln verfallen über die Frage, welches Leben man an der Seite eines Mannes führte, der unablässig trank und sein exzessives Leben ganz sicher nicht für eine Beziehung aufgeben würde, sie hätte sich hinter tausend Wenns und Abers verschanzt und die Vernunft vorgeschoben, die einem das Jetzt verdarb, weil sie ständig ein mäkeliges Morgen und Übermorgen einbrachte.

Aber ein Ja war für den Augenblick geschaffen. Man konnte nicht ja sagen zur Zukunft, nur zu einer Vorstellung von der Zukunft. Die Zeit war eine Aufeinanderfolge von Augenblicken. Zukunft entstand einzig aus dem, was der Geist zuließ.

Ein Lied der isländischen Sängerin Björk sagte: Am Morgen, wenn du gehst, kommt mein Herz zum Stillstand, und der Teufel rollt unsere Liebe mit einem Grinsen auf ein großes Garnknäuel und gibt sie nie wieder her. Darum müssen wir sie jeden Abend neu erfinden.

Die Frage war, ob sie noch einen weiteren Abend erleben würden.

Sie hatte sich so stark und sicher gefühlt nach Janas kurzer Einweisung. Bereit, die schreckliche Aufgabe zu übernehmen. Der YAG stand wieder an seinem Platz, die Akkus waren aufgeladen. Das System war intakt, weil Jana und Gruschkow den Testaufbau nicht verändert hatten, und es gab eine zweite Kamera. Jana musste über eine außergewöhnlich perfide Phantasie verfügen, aber was Wagner tatsächlich frappierte, war, dass es nicht bei einer Phantasie geblieben war. Als sie durch den Sucher der Nikon geblickt und die Menschen in der Halle gesehen hatte, wissend, dass ein leichter Druck ihres Zeigefingers ein Leben auslöschen würde, hatte sie plötzlich den Rausch begriffen, der sich einstellen musste, wenn man über ein so machtvolles Instrument wie den YAG verfügte. Sie hatte nicht versucht, gegen die Faszination anzukämpfen, wenngleich sich ihr der Magen herumdrehte.

Du drehst am Objektiv, bis du das Ziel im Fadenkreuz hast, hatte die Terroristin gesagt. Dann drückst du ab. Stell dir einfach vor, es sei ein Videospiel.

Es hatte tatsächlich mehr von einem Videospiel als von einer Waffe.

Zielen, schießen, Freispiel.

Jetzt, da Wagner – hinter der verschlossenen Tür des Computerraums – Mirko im Sucher der Nikon erblickte, überkam sie plötzlich fürchterliche Angst. Sie versuchte, ihn ins Visier zu nehmen, aber er verschanzte sich hinter dem Agenten. Wann immer das Fadenkreuz ihn erfasste, veränderte er seine Position, und sie musste befürchten, an seiner Statt den falschen Mann zu treffen.

Dann schoss Mirko, ohne dass sie sehen konnte, auf was oder wen.