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Ihr wurde übel vor Entsetzen. Hatte er jemanden getötet? Oder war er auf Janas Trick hereingefallen?

Immer noch hielt er den Agenten fest.

Komm schon, dachte sie, lass ihn los.

Sie wollte den Agenten nicht treffen. Aber ihr blieb keine Wahl. Es entsetzte sie, so zu denken, aber vielleicht würde der plötzliche Tod des anderen die nötige Verwirrung stiften.

Jemanden opfern für ein Ziel. So ging das also.

Dann sah sie, wie eine Veränderung in Mirkos Zügen vorging.

MIRKO

Etwas war seltsam. Eine ganze Menge Dinge waren seltsam, obschon alles zu stimmen schien. Jana war tot. Alle waren tot außer ihm und Francis und vielleicht Kuhn, der sich unter O’Connors dahingestrecktem Körper nicht rührte.

Sein Blick fiel auf den verstümmelten Arm des Agenten. Etwas hing aus dem blutgetränkten Ärmel, baumelte heraus.

Eine Krawatte?

Der Arm war abgebunden. Wie konnte sein Arm abgebunden sein, wenn Francis sich tot gestellt hatte?

Sie hatten ihn reingelegt.

In plötzlichem Begreifen starrte er auf Janas Leiche. Das vertraute lange Haar. Die Jacke. Die Schultern, die bei näherem Hinsehen irgendwie zu breit waren, so dass es wahrscheinlich gar nicht Jana war, die dort lag, sondern…

Er stieß Francis von sich weg und sprang zurück.

COMPUTERRAUM

Wagner drückte den Auslöser.

Sie hatte keine Vorstellung von dem, was passieren würde. Vielleicht, dass der Laser einfach nur ein Loch in ihn brannte. Oder dass sein Körper zerplatzen würde wie eine reife Frucht. Vor allem davor graute ihr, dass es scheußlich sein würde und sie es anschauen müsste, weil sie anders nicht zielen konnte.

Stattdessen geschah gar nichts.

Eben noch hatte sie Mirko vor Augen gehabt, ungeschützt, und jetzt war er verschwunden.

Sie hatte ihn verfehlt!

Wagner fluchte.

In panischer Hast versuchte sie, ihn wieder in den Fokus zu bekommen.

HALLE

Mirko hörte das Knallen der Akkus im Moment, als sie sich entluden. Er wusste, dass der Sprung nach hinten sein Leben gerettet hatte. Aber er wusste auch, dass die Akkus noch einen zweiten Schuss hergaben. Jana musste im Büro oder im Computerraum sein.

Verdammte, schlaue Jana!

Aber nicht schlau genug für Mirko. So einfach ließ er sich nicht hereinlegen von dem Miststück.

Im Augenblick, da seine Füße den Boden berührten, wirbelte er herum und zielte auf das Objektiv unter der Decke. Er sah, wie es sich drehte, ihn suchte, sah den Spiegel aufblitzen und schoss.

Mit einem Knallen flog der Mechanismus auseinander.

Mirko konnte einen Triumphschrei nicht unterdrücken. Jana, verdammte Jana! Sie war so gut wie tot! Er drehte sich herum, um zum hinteren Teil der Halle zu laufen.

Vor ihm stand einer der toten Agenten.

Der Mann hatte rechts vom Eingang gelegen, blutüberströmt in seinem zerschossenen schwarzen Anzug. Aber jetzt lebte er, und er hatte Janas Gesicht und eine Pistole in der Rechten, die auf Mirko gerichtet war.

Aus der Pistole kam der Tod.

Das Letzte, was Mirko empfand, war eine Mischung aus grenzenloser Bewunderung und namenlosem Entsetzen.

Dann endete alles.

MALZMÜHLE

»Das war schön. Wirklich schön. Vielen Dank.«

Der Präsident strahlte. Guterson strahlte auch. Innerlich, weil der Abend endlich vorbei war. Um ein Haar wäre es noch zum improvisierten Gipfeltreffen gekommen, nachdem das BKA in der Kneipe angerufen und Gerhard Schröder avisiert hatte. Schröder kam dann doch nicht. Stattdessen verlieh der Wirt Clinton irgendeinen Orden, und der Präsident schrieb ins Gästebuch, wie ausgezeichnet das Essen gewesen sei, und signierte mit William J. Clinton. Ihm war die Begeisterung abzukaufen. John Kornblum sah nicht so aus, als wolle er sich zu den dargebotenen Speisen in ähnlicher Weise äußern, aber er wurde auch nicht darum gebeten.

Sie beglichen die Zeche. Überwiegend hatte Clinton Afri Cola getrunken, eine deutsche Variante der guten alten Coke. Vielleicht war es besser so. Ein Kölsch hatte gereicht, ihn in Kennedys Fußstapfen treten zu lassen. Es war unüberhörbar gewesen, vorgetragen mit dem Lächeln, das Geschichte schreibt:

»Ich bin ein Kölsch.«

Guterson sprach nur wenige Brocken Deutsch, aber selbst ihm war nicht entgangen, wo der Fehler lag. Dass Kennedy sich seinerzeit als Berliner geoutet hatte, Historie! Dass er den Kölnern vor dem Rathaus 1963 bei seinem Besuch in der Domstadt ein markiges »Kölle Alaaf« entgegengeschmettert hatte, legendär. Clintons verspätetes Eingeständnis, dass er eigentlich ein Bier sei, nahm sich dagegen rührend und blässlich aus.

Es war der kleine Schönheitsfehler, der vieles zunichte machte. Clinton hätte so gut und über jeden Zweifel erhaben sein können, dachte Guterson, ohne diese ständige Nacheiferei seines Jugendidols. Ganz klar war die Zuneigung, die Köln dem Präsidenten jetzt schon entgegenbrachte, auch auf die offensichtlichen Parallelen zu JFK zurückzuführen. Seit Kennedy hatte kein Politiker in den USA das höchste Amt im Staat so kontinuierlich angestrebt und auch gewonnen wie Bill Clinton. Ebenso wie Kennedy war der Präsident ein Berechner, der sich auf dem schmalen Grat zwischen dem Verbotenen und Nochvertretbaren bewegte. Er hatte Amerika aus der Isolation befreit, ein Hoffnungsträger, der einen langen amoralischen Schatten warf und darum jeden potentiellen Sünder faszinieren musste. Wie Kennedy war auch Clinton ein unbändiger Optimist, der automatisch davon ausging, man könne sich immer irgendwo treffen, und gerade darum hatten beide sich so gut verkauft. Clinton war überzeugt, dass insgeheim sogar republikanische Hardliner wie Newt Gingrich oder Pat Buchanan eine Basis mit ihm wollten – von Leuten wie Jassir Arafat oder Hafez al-Assad ganz zu schweigen –, die man nur entdecken müsse. Impulsiv neigte er zu Toleranz und Ausgleich, was ihm Stimmen einbrachte, zugleich aber auch sein größtes Problem darstellte. Wenn Bill Clinton eines nicht konnte, und auch darin glich er Kennedy, dann seine Gegner richtig einschätzen. Beide waren Kämpfer und zugleich Spieler, populistische Grenzgänger, die alles auf eine Karte setzten, ohne recht zu wissen, wer ihnen gegenübersaß.

Der eine hatte am Ende verloren. Alles, das Leben. Dafür war er in den Olymp der Unantastbarkeit entstiegen, den er mit den Größten der Geschichte teilte. Wenn die Laserattacke wirklich Clinton gegolten hatte, wäre ihm der arme Aufsteiger aus Arkansas womöglich in eine Art Vorzimmer gefolgt. Trotz des Lewinsky-Skandals betrachteten die meisten Amerikaner das Vorgehen Starrs gegen den Präsidenten mit Skepsis und Widerwillen. Sie fanden, es sei seine Sache, was er mit seinen Zigarren tat. JFKs Liebeleien hatten den Präsidenten nicht daran gehindert, die Kubakrise zu meistern, warum also sollten Clintons eher harmlose Abenteuer ihn davon abhalten, die USA aus dem psychologischen Black Hole herauszuführen, in das die

Weltmacht nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gestürzt war?

Wie bei Kennedy waren es – trotz oder gerade wegen seiner offen zur Schau gestellten Triebhaftigkeit – gerade die Frauen, die Clinton die Stange hielten. Ihnen verdankte er die Wiederwahl. Sie hätten vermutlich am meisten um ihn getrauert, wenn er dem Anschlag zum Opfer gefallen wäre, weil sie wesentlich mehr Akzeptanz für Clintons Seitensprünge aufbrachten als für Starrs Sittenpolizei, die sie zurückzwingen wollte in die finsteren Abgründe des Kolonialismus, zurück an den Herd und ins puritanische Abseits. Im Grunde war es nur logisch, dass Clinton den Rummel um seine Person in der Malzmühle nicht den Kölnern verdankte, sondern einer weiblichen amerikanischen Reisegruppe.