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Vielleicht, im Falle der Katastrophe an diesem Tag, hätte Clinton posthum sogar von seinen Gegnern so etwas wie Liebe erfahren. Nur, Verehrung blieb Kennedy vorbehalten. Hier endete die Parallele. Clinton träumte den historischen Traum. Von Friedensschlüssen unter seinem Patronat, von der Lösung der Nahostfrage, von der Unsterblichkeit. Kennedy hatte diesen Traum verkörpert. Geschichte war nicht wiederholbar, sosehr man sich auch darum bemühen mochte.

Es war 23.00 Uhr, als sie hinaus auf die Straße traten. Der Präsident winkte in die Menge, verschwand in seinem Lincoln, und sie fuhren zurück, während ein weiteres Mal die Deutzer Brücke gesperrt und die Schifffahrt eingestellt wurde.

Wenn schon, dachte Guterson.

Auf diese Weise würden sich die Kölner wenigstens daran gewöhnen, was ihnen in den nächsten Tagen noch bevorstand. Wenn sie Clinton wollten, mussten sie den Secret Service, die CIA und das FBI eben mit in Kauf nehmen. Und sie konnten sich dabei noch glücklich schätzen. So entspannt und freundschaftlich die Zusammenarbeit mit dem BKA im Wesentlichen verlaufen war, hatten einige Gespräche weitaus weniger freundliche Züge getragen. Die Reibereien etwa mit dem FBI, das sich – zugegeben – um fremde Hoheitsrechte wenig scherte. Oder als sie verlangt hatten, für Clinton die komplette Innenstadt räumen zu lassen oder wenigstens einen eigenen Weg vom Rathaus zum Römisch-Germanischen Museum festzulegen. Das BKA war fuchsteufelswild geworden. Jeder gehe diesen Weg, der Franzose, der Italiener, der Kanzler, der Japaner, warum nicht Clinton? Sie hatten versucht, den Deutschen klar zu machen, dass Clinton der Präsident der Vereinigten Staaten und nicht der Franzose oder der Italiener war, aber die Gegenseite war hart geblieben. Zeitweise war es zugegangen wie auf dem Basar. Zugeständnis gegen Forderung. Der Secret Service hatte sich darin behauptet, dass während des G-8-Gipfelfotos auf dem Heinrich-Böll-Platz Eisenbahnwaggons als Sichtblende auf die Hohenzollernbrücke gerollt werden würden, dass Clinton nie über Kabel schreiten dürfe oder darunter hindurch, was bei achttausend Journalisten und zig Kilometern verlegten Leitungsnetzes alptraumhafte Züge für die Organisatoren annahm, dass Clintons Limousine grundsätzlich nur auf der rechten Seite einer Straße oder Zufahrt zu parken habe – und dass der Secret Service, wenn es ihm gefiel, all dies binnen weniger Stunden über den Haufen werfen und neue Regeln aufstellen konnte.

Dafür waren sie bekannt, ihren Gastgebern so etwas zuzumuten. Sie galten als arrogant und gefühllos. Der Punkt war, dass sie es wussten und dass es ihnen gleich war. Andere Nationen wollten nicht begreifen, dass der Secret Service an einem Trauma litt, obwohl er definitiv nichts für das gekonnt hatte, was damals in Dallas geschehen war. Guterson war klar, dass sie sich allzu oft im Ton vergriffen. Wann immer dies in den vergangenen Wochen geschehen war, hatte das BKA kalt lächelnd mit »Ingelheim« gekontert. »Ingelheim« war als Argument ein Totschläger. Dort hatten sich Clinton und Schröder unlängst getroffen. Schröder hatte dort gestanden, wo er eben stehen musste, um den Präsidenten zu begrüßen, und eine amerikanische Protokollbeamtin hatte ihn angeherrscht, er solle unverzüglich seinen Arsch einpacken und auf die Seite gehen. Sie hatte es nicht ganz so harsch formuliert, aber den deutschen Kanzler darauf hinzuweisen, er dürfe dort nicht stehen, hatte auch so für einen Sack Probleme gereicht.

Es war eines der seltenen Male gewesen, dass der Secret Service wirklichen Ärger bekommen hatte.

Auch das war ihnen egal.

Guterson sah aus dem Fenster. Die Kolonne fuhr über den Rhein, und einen Moment lang berührten ihn der angestrahlte Dom und die kleinere Kirche davor auf eigenartige Weise.

Er führte ein kurzes Gespräch mit dem Präsidenten, während sie auf die lange, gewundene Auffahrt zum Hyatt einbogen.

Es hatte kein Attentat gegeben. Jeder wollte die rückhaltlose Aufklärung mit allen Mitteln, um die Auftraggeber zu ermitteln, und jeder hatte zugleich Angst davor, es herauszufinden. Sollte sich der Verdacht einer serbischen oder gar russischen Beteiligung bewahrheiten, würden die Konsequenzen schauerlich sein. Aber zugleich wollte niemand, dass überhaupt etwas passiert war. Nicht in der Friedensstadt Köln. Keine Risse im Gefüge.

Wie immer blieb es sein Problem. Seines und das der deutschen Kollegen.

Sie würden es lösen.

WAGNER

»Ja. Nein. Nein. Ja.«

Wagner hatte das Gefühl, immer wieder die gleichen Fragen zu beantworten, aber vielleicht lag es auch einfach nur an ihrer Unfähigkeit, das Geschehene zu erklären.

Vor allem fühlte sie sich müde, schrecklich müde. Sie saßen auf der Pritsche eines offenen Mannschaftswagens und halfen den Polizisten zu verstehen, was sie in der Halle vorgefunden hatten. Die meiste Zeit redete ohnehin O’Connor. Die Männer, die sie vernahmen, waren schließlich zu der Überzeugung gekommen, dass er ihnen die präziseren Informationen lieferte, und behelligten Wagner nur sporadisch. Einer von ihnen war Bär, der Hauptkommissar vom Flughafen, den anderen kannte sie nicht. Sie waren höflich und rücksichtsvoll, offenbar aber fest entschlossen, in wenigen Minuten umfassendes Wissen zu erlangen.

Wagner konnte es ihnen nicht verdenken. Sie suchten Jana.

Und Jana war verschwunden.

Wieder frei zu sein und außer Gefahr, hinterließ gemischte Empfindungen in Wagner. Zum einen kaum zu beschreibende Erleichterung, andererseits bleierne Gleichgültigkeit. Es ist normal, dachte sie, wahrscheinlich haben die Nerven abgeschaltet oder irgendwas. Geist und Körper wollen ihre Ruhe. Selbstschutz. Wovon man so las. An O’Connor gelehnt, hörte sie teilnahmslos zu, wie er den Plan schilderte, den er gemeinsam mit der Terroristin entwickelt hatte, wie sie den kleineren der beiden erschossenen Agenten in ihre Kluft gesteckt und ihm die Perücke übergezogen hatten, während sich Jana mit Blut beschmierte und in die Kluft des Toten schlüpfte. Die Maskerade war beinahe lächerlich in ihrer Unbeholfenheit gewesen, eine makabre Travestie. Mirko hatte es nur darum nicht sofort erkannt, weil er nichts anderes zu sehen erwartet hatte. In seiner Erinnerung lagen die beiden Agenten dort, wo er sie auch vorfand. Seine Aufmerksamkeit hatte anderen Dingen gegolten, nicht einem blutigen Bündel, das verdreht dalag, mit einem Arm den halben Kopf verdeckend, ganz offensichtlich einer seiner Männer.

Wagners Blick wanderte hinüber auf die andere Straßenseite.

Zwanzig Minuten nachdem O’Connor Lavallier angerufen hatte, glich die Spedition einem Testgelände für Polizeieinsätze. Auf der Straße parkten mehrere Mannschaftswagen. Flutlichtstrahler waren herbeigeschafft worden. Das Rolltor stand weit offen und gab den Blick frei auf hektische Aktivitäten im Innenhof und in der Halle. Uniformierte liefen ein und aus, Teams der Spurensicherung untersuchten die beiden Lastwagen, den YAG und überhaupt alles. Zwischen den Polizeifahrzeugen parkten quer über den Gehsteig zwei Notarztwagen. Die Ärzte und Sanitäter waren in der Halle verschwunden und noch nicht wieder zum Vorschein gekommen. Das Letzte, was sie gehört hatte, war, dass es offenbar Schwierigkeiten gab, Kuhn zu transportieren. Er litt an inneren Verletzungen und Knochenbrüchen und hatte das Bewusstsein verloren. Sie konnten nicht genau sagen, wie sein Körper reagieren würde, wenn man ihn bewegte. Sie kämpften um ihn. Das war alles. Silberman war bei ihm, dessen Streifschuss sich unproblematisch hatte versorgen lassen. Der überlebende Agent befand sich bereits im Innern eines der Notarztwagen. Wagner wusste nicht, ob sie ihn verhörten oder ob er überhaupt in der Lage war, zuzuhören und Fragen zu beantworten.

Es war ihr gleich.

Sie fragte sich, ob sie den Anblick der Halle je würde vergessen können. Zumindest weit genug zurückdrängen, dass die Bilder sie nicht in ihren Träumen heimsuchten. In einer Anwandlung von Selbstquälerei versuchte sie, sich in Erinnerung zu rufen, wie viele Leichen da drinnen herumlagen, aber es gelang ihr nicht. Ihr Verstand weigerte sich, darüber nachzudenken, und sie ließ ihn