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dankbar seine Barrieren errichten.

Das Einzige, was sie wirklich glücklich machte, war, dass sie Mirko nicht hatte töten müssen. Es war misslungen. Die Gewissheit, versagt zu haben, hatte ihr Schauer des Entsetzens und der Angst über den Rücken gejagt, aber im Nachhinein erwies sich der Fehlschuss als Segen. Vielleicht würde sie in Zukunft schweißnass und schreiend aufwachen, aber wenigstens nicht wegen eines Menschen, dessen Leben sie genommen hatte. Auch wenn er Mirko hieß und eine Bestie gewesen war.

»Wann können wir nach Hause?«, fragte sie.

Bär lächelte.

»Sobald wir hier fertig sind«, sagte er. »Es tut mir leid, aber so lange müssen wir Sie bitten, uns zur Verfügung zu stehen.«

»Wir haben doch schon alles drei Mal erzählt.«

Er machte eine Notiz in einem Buch, ohne darauf einzugehen. »Mir ist immer noch nicht klar, wohin Jana… nein, Sie sagten, ihr Name sei Sonja. Sonja… helfen Sie mir auf die Sprünge.«

»Irgendwas mit K. Ich erinnere mich nicht mehr. Sie hat den Namen nur einmal genannt.«

»Ja, richtig. Was mich wundert, ist, dass niemand von Ihnen gesehen hat, wie sie die Halle verließ.«

»Wir hatten genug anderes zu sehen«, sagte O’Connor.

»Obwohl sie gerade einen Mann erschossen hatte?«

»Es war ein schreckliches Durcheinander danach«, sagte Wagner. »Wir wussten nicht, ob er wirklich tot war und–«

»Mit einem Loch in der Stirn? Sie wussten es nicht?«

»Wir mussten uns überzeugen. Was erwarten Sie? Wir hatten Angst, da war Kuhn, der sich nicht mehr rührte, dieser verletzte Agent .«

»Jana hatte immerhin Zeit, die Perücke mitgehen zu lassen.«

»Dann wird es ja kein Problem sein, sie zu finden«, sagte O’Connor, Erleichterung simulierend. »Wenn Ihre Leute jede Frau an den Haaren ziehen…«

Der andere Kommissar beugte sich vor.

»Ich möchte Ihnen nichts unterstellen, Dr. O’Connor. Ihre Kooperation am Flughafen ist sehr positiv zu Buche geschlagen, trotzdem ist Ihre Rolle aus unserer Sicht nicht hinreichend geklärt. Ich muss Sie darauf aufmerksam machen, dass es den guten Eindruck verderben könnte, wenn Sie Informationen zurückhalten.«

»Ich habe bis jetzt noch jeden guten Eindruck von mir verdorben«, sagte O’Connor höflich. »Ich gebe mir alle Mühe.«

»Das ist schön.«

»Dafür halte ich es mit der Wahrheit. Zum Teufel mit Ihrem berufsmäßigen Misstrauen, warum sollten wir diese Frau decken? Ihre Unterstellungen sind idiotisch.«

»Niemand sagt, dass Sie Jana decken«, beeilte sich Bär zu versichern. »Bitte verstehen Sie uns. Sie haben in diesem Fall unglaubliche Hilfe geleistet. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie dankbar wir Ihnen sind. Aber Sie wissen auch, was es bedeutet, wenn die Frau in der augenblicklichen Situation durch Köln läuft. Es ist Gipfel.«

O’Connor schüttelte den Kopf.

»Sie wird keinen zweiten Versuch unternehmen, Clinton zu töten.«

»Was macht Sie da so sicher?«

»Wir haben den Laser gefunden. Das Ding ist nicht mehr einsatzfähig. Was würden Sie an Janas Stelle tun? Ins Hyatt marschieren und Clinton im Schlaf mit dem Kissen ersticken?«

»Hat sie gesagt, dass sie fliehen will?«

»Darüber haben wir uns nicht unterhalten. Sie ist weg. Wenn wir wüssten, wo sie ist, würden wir es Ihnen sagen.«

Bär kaute an seinem Kugelschreiber.

»Ich glaube«, sagte Wagner, »sie wird fliehen.«

»Warum glauben Sie das?«

Sie wollte darauf antworten, als sie Silberman aus der Spedition humpeln sah. Er kam langsam zu ihnen herüber. Dahinter schob das Team des Notarztwagens eine Bahre heraus.

»Kuhn«, rief sie aus, als er näher kam. »Wie geht es ihm?«

Plötzlich sah sie, dass der Korrespondent geweint hatte. Seine Augen waren verquollen und gerötet.

Er schüttelte den Kopf und ging an ihnen vorbei.

Wagner versuchte, Trauer zu empfinden. Es gelang ihr nicht. Der Tag würde kommen, irgendwann. Jetzt wollte sie nur noch ins Bett und einschlafen, während O’Connor ihre Hand hielt, sie festhielt, damit sie nicht zurückgleiten konnte in den Alptraum der letzten Stunde.

Bär lächelte wieder.

»Wir lassen Sie erst mal in Ruhe«, sagte er leise.

O’Connor legte den Arm um ihre Schultern und begann sie sanft zu wiegen. Wie zwei Kinder saßen sie in dem offenen Wagen, ließen die Beine herausbaumeln und sahen den Polizisten bei der Arbeit zu.

»Sind wir schuld?«, flüsterte sie nach einer Weile.

Er ließ ein kurzes Schweigen verstreichen.

»Wir sind alle schuld«, sagte er. »An allem.«

20. JUNI. MARITIM

Die Sonne schien. Das Thermometer verzeichnete siebenundzwanzig Grad Celsius. Durch das geöffnete Fenster ging ein leichter Wind und bauschte die weißleinenen Vorhänge.

O’Connor lag auf dem Bett und las in einer Illustrierten, als Wagner aus der Dusche kam. Sie warf das Handtuch auf den Boden, nahm ihm die Zeitschrift weg und küsste ihn.

»Mhmm«, machte O’Connor.

»Ich bringe dir alles durcheinander«, sagte sie. »Ich bin nicht so besonders ordentlich.«

»Ist das eine Warnung?«

»So ungefähr.«

»Zieht nicht«, murmelte er. »Unordnung ist sexy.«

»Was du nicht sagst.«

»Liebe war noch nie ordentlich und Sex schon gar nicht. Du weißt doch, man verlegt seine Grundsätze und Zurückhaltung und gibt sich im Folgenden alle Mühe, sie nicht wiederzufinden.«

Er zog sie an sich. Sie lachte und sprang vom Bett herunter.

»Keine Zeit für Sex«, sagte sie, während sie in einem Haufen Wäsche herumstocherte. »Wir sind verabredet.«

»Du lieber Gott! Pünktlichkeit…«

»…stiehlt einem die Zeit. Schon klar. Lass dir was Besseres einfallen.«

Seit drei Tagen hatte O’Connor so gut wie keinen Alkohol getrunken. Sobald er wirkliche Probleme hatte, schien sein Interesse an Alkohol zu erlahmen, und derzeit hatte er Probleme. Er durfte Köln nicht verlassen. Vorläufig, wie es hieß, aber vorläufig entwickelte sich zum dehnbaren Begriff. Theoretisch konnte er hingehen, wohin er wollte, praktisch war er in Köln festgesetzt. Der Gipfel war noch nicht vorüber. Das Interesse des BKA wie auch der Amerikaner war überaus groß, den Fall bis ins Detail aufzuklären, und O’Connor wurde als Experte zwangsrekrutiert.

Wagner empfand Erleichterung darüber, dass er auch ohne seinen geliebten Whisky zurechtkam. Zugleich hatte sie die bemerkenswerte Entdeckung gemacht, dass er ihr als Abstinenzler auf die Dauer dubios und unvollständig erschienen wäre. Sie fragte sich, ob am Ende auch der Alkoholiker O’Connor nur eine Rolle in der Posse war, die er spielte. Im Augenblick war ihnen beiden nicht nach

Trinken. Dafür liebten sie sich mit einer Intensität, deren Skala nach oben offen schien, und sie war abwechselnd euphorisiert, glücklich über jede Minute, die sie miteinander verbrachten, und niedergeschlagen, wenn sie an Kuhn dachte. Nicht allein sein Tod stimmte sie traurig. Auch, dass es ihr nach drei Tagen nicht gelungen war, das Maß an Trauer zu empfinden, das ihm ihrer Meinung nach zugestanden hätte. Sie fühlte sich schuldig und verwirrt. Das Ausbleiben von Schmerz verunsicherte und beschämte sie. Eine Weile trug sie das Problem mit sich herum, dann erzählte sie O’Connor davon.

Er schwieg eine Weile. Dann sagte er:

»Trauer ist ein ungebetener Gast. Sie kommt und geht, wann sie will, nicht, wann du willst. Ich schätze, das ist ihre beste Eigenschaft.«

Hin und wieder dachte sie an Jana, die ihre Familie verloren hatte. Ebenso wenig, wie sich das heulende Elend für Kuhn einstellen wollte, vermochte sie Wut oder gar Hass zu empfinden. Sie fragte sich, wann Janas Schmerz eingesetzt hatte und ob er je enden würde. Aber wahrscheinlich ließ sich der Vergleich nicht ziehen. Kuhn war kein Freund und schon gar kein Verwandter gewesen, eher ein guter Bekannter, den man mochte, ohne es zu merken. Sie stellte sich vor, wie er zur Tür hereinkam und eine blöde Bemerkung über ihre Größe machte, und dann dachte sie an die Art, wie er mit der Terroristin umgegangen war, als hätte eine geheime Verbindung zwischen ihnen bestanden. Erst im Nachhinein fiel ihr auf, dass der Lektor seiner Peinigerin offenbar nicht richtig böse gewesen war. Ob es daran gelegen hatte, dass er ihr vertraute und hoffte, sie würde ihn gehen lassen, oder ob einfach eine bizarre Sympathie zwischen ihnen entstanden war, blieb auf ewig ein Geheimnis. Etwas musste vorgefallen sein, dass sie ihm all den Spott verzieh, mit dem er sie bedacht hatte. Auf Wagner hatte es den Eindruck gemacht, als hätte er alles zu ihr sagen können, und sie hätte ihm nur weiterhin halbherzig den