Выбрать главу

O’Connors Augen ließen solche Halbheiten nicht zu. Sie suchten keinen Kontakt, sie nahmen Geiseln. Von tiefem Blau, eingebettet in fast anämisches Weiß, schienen sie aus sich selbst heraus zu leuchten. Vielleicht lag es an seiner Bräune, vielleicht daran, dass er sturzbetrunken war, wenngleich man nicht eben sagen konnte, dass er taumelte. Vielmehr ging er für Wagners Geschmack etwas zu aufrecht, zu kontrolliert. Aber auch ohne die Einwirkung des Alkohols, das wusste sie, würde man sich fühlen wie von Röntgenstrahlen durchdrungen, observiert, kategorisiert und für tauglich oder durchgefallen erklärt. Jeder Makel, mit dem man bis zu diesem Moment gut hatte leben können, würde aufgebläht und ins Unerträgliche potenziert werden, bis man verging im Unglück monströser Mittelmäßigkeit. Und zugleich – im offensichtlichen Widerspruch dazu – signalisierten O’Connors Augen demjenigen, den sie betrachteten, nie zuvor etwas von größerer Wichtigkeit und Schönheit geschaut zu haben, und im Vergehen wuchs man wieder über sich hinaus. Als seien sie eines flüchtigen Blickes nicht fähig, versprachen und abverlangten sie einem alles, machten süchtig und verhießen schlimmsten

Entzug im Moment, da O’Connor sich ab wen den und die Verbindung kappen würde.

Wagner lächelte und versuchte, das in ihm zu sehen, weswegen sie hier war. Einen versoffenen Zyniker mit einem brillanten Geist und einem Haufen schlechter Angewohnheiten, der es liebte, Skandale zu provozieren. O’Connors Verlag hatte auf ihrer Anwesenheit bestanden, damit es diesmal nicht zum Eklat kam wie in Hamburg, und Wagner war fest entschlossen, O’Connor nicht das Geringste durchgehen zu lassen.

Und möglichst auch, sich nicht in ihn zu verlieben. Falls es nicht soeben passiert war.

»Wir… ähm… sind Ihnen sehr dankbar«, hörte sie Kuhn sagen und zuckte zusammen. O’Connor drehte irritiert den Kopf von ihr weg. Im selben Moment war er nur noch ein elegant gekleideter Mann mit einem gut geschnittenen Gesicht und einer grauenhaften Fahne, und Kika Wagner atmete auf.

»Danke!« Kuhn lächelte die Stewardess väterlich an. »Danke, dass Sie ihn hergebracht haben. Was das Gepäck angeht…«

»Unterwegs ins Hotel.« Die Stewardess zögerte. »Übrigens, er ist jetzt folgsam.« Sie zwinkerte O’Connor zu. »Nicht wahr? Oder wollen wir noch mal zur Passkontrolle und versuchen, dem Polizisten die Mütze abzunehmen?«

»Er hat was?«, fragte Kuhn.

»Gebt mir endlich was zu trinken«, murrte O’Connor auf Deutsch. »Sie hat mich stundenlang durch Gänge geschleift. Mir ist zum Kotzen.«

»Falsch«, berichtigte ihn die Stewardess. »Wir haben einen Teilchenbeschleuniger durchwandert, und allenfalls ist uns ein wenig übel. War’s nicht so?«

O’Connor grinste.

»Wollen Sie nicht bleiben?«

»Ein andermal.« Die Stewardess ging zur Tür. Dort hielt sie einen Moment inne und fügte an Wagner gewandt hinzu: »Passen Sie auf Ihren Hintern auf, sweetheart.«

O’Connor hob resignativ die Brauen, als die Tür hinter ihr zufiel. Kuhn drehte unsicher das leere Glas in seiner Hand. Dann lächelte er und klopfte O’Connor freundschaftlich auf die Schulter.

»Tja«, sagte er. »Da wären wir also in Köln. Ich hoffe, Sie…«

O’Connor schob sich wortlos an ihm vorbei und stelzte mit langen Schritten zu der kleinen Bar hinüber. Der Barmann, dem es oblag, den Champagner zu servieren, hatte mit so viel Eigeninitiative nicht gerechnet und machte sich hastig daran, die Flasche zu entkorken.

»Sie sind mein lieber Freund«, sagte O’Connor und schwang sich auf einen der Hocker, was ihm ohne Komplikationen gelang. Wagner folgte ihm, Kuhn im Schlepptau, dem es offenbar die Sprache verschlagen hatte. Sie bauten sich neben O’Connor auf und warteten, bis drei gefüllte Gläser vor ihnen standen.

»Also dann«, sagte Wagner, »herzlich willkommen.«

O’Connor wandte sich ihr zu und runzelte die Stirn.

»Kennen wir uns?«

»Ich heiße Kika Wagner. Ich arbeite für die Presseabteilung Ihres Verlages und…« Sie machte eine Pause und beschloss, sich ab sofort nicht mehr von ihm beeindrucken zu lassen, weder von seinen Blicken noch von sonst irgendwas, » .ich freue mich, freue mich wirklich sehr, Sie kennen zu lernen, Dr. O’Connor. Schön, dass Sie hier sind.«

O’Connor legte den Kopf zur Seite. Dann streckte er langsam die Hand aus. Wagner ergriff sie. Seine Finger umschlossen die ihren mit angenehm festem Druck.

»Es ist mir eine Ehre und ein besonderes Vergnügen«, sagte er. Sein irischer Akzent formte die Worte ein wenig weicher, ansonsten war sein Deutsch erstklassig. Das Schlingern in seiner Aussprache entsprach eindeutig der zugeführten Menge geistiger Getränke, die er im Laufe der letzten Stunden weggeputzt haben musste. Wagner überlegte fieberhaft, wie sie die Situation in den Griff bekommen sollte. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass O’Connor schon betrunken eintreffen würde. Alles wäre weit weniger problematisch gewesen, hätte er nicht am selben Abend seinen ersten öffentlichen Auftritt zu absolvieren gehabt.

Er würde sich an dieser Bar ebenso festtrinken wie in Hamburg, als er seinen Pressetermin versäumt und die Journalisten zwei Stunden hatte warten lassen. Je mehr sie versuchen würden, ihn davon abzubringen, desto schlimmer wäre das Resultat.

»Sollen wir den Champagner vielleicht lieber ein andermal äh…?«, schlug Kuhn zaghaft vor. »Ich denke, wir sind ein bisschen knapp in der Zeit und .«

»Sie sind eine Milbe, Franz«, sagte O’Connor sehr bestimmt. »Diese junge Dame wird Champagner mit mir trinken, und Sie werden schweigen.« Er drehte Kuhn kurzerhand den Rücken zu und hob sein Glas. »Was Sie angeht, Sie sind ein sehr, sehr großes Mädchen.«

Er leerte das Glas in einem Zug.

Aus Kuhns Mund hätten die Worte sie in Rage versetzt. So, wie O’Connor es sagte, klang es beinahe wie ein Kompliment.

Sie nahm einen kleinen Schluck und beugte sich zu ihm herab.

»Eins siebenundachtzig, um genau zu sein.«

»Huuiiiii«, machte O’Connor und strahlte sie an.

»Wir sollten wirklich…«, begann Kuhn.

»Nein.« Wagner brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen und fragte O’Connor: »Wollen Sie noch ein Glas?«

O’Connor öffnete den Mund. Dann verharrte er und sah nachdenklich drein.

»Hatten wir nicht irgendwelche… Termine?«, sinnierte er.

»Heute Abend halten Sie eine kleine Ansprache im Physikalischen

Institut. Nicht der Rede wert. Noch jede Menge Zeit. Was ist, wollen wir die Flasche leer machen?«

Kuhn schüttelte verzweifelt den Kopf und wedelte mit den Händen. Wagner ignorierte ihn. Sie griff nach der Champagnerflasche und machte Anstalten, O’Connor nachzuschenken.

»Nein, äh…«

»He, was ist los? Keinen Durst mehr?«

»Doch, aber…«

O’Connor wirkte, als habe ihn irgendein höherer Umstand vor unlösbare Probleme gestellt. Unvermittelt sprang er von seinem Hocker, trat in die Mitte des Raumes und klatschte mehrfach in die Hände. Die Anwesenden sahen auf, sofern sie ihn nicht schon seit seinem Eintreffen beobachtet hatten.

»Alles mal herhören!«

Die Unterhaltungen verstummten.

»Was hab ich eigentlich erwartet«, seufzte Kuhn. »Warum sollte es diesmal anders sein.«

»Los, Zeitungen weglegen«, befahl O’Connor. »Maul halten jeder! Ich hab was Wichtiges zu sagen.«

In der Lounge wurde es tatsächlich mucksmäuschenstill.

O’Connor räusperte sich. Dann zeigte er auf Wagner.

»Diese Frau…«, rief er. »Diese einzigartige Frau…«