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Lange Zeit waren die Gruppierungen bemüht gewesen, die Waage zwischen akzeptabler Gewalt und Gewaltfreiheit zu halten. Akzeptabel hieß in diesem Zusammenhang natürlich, aus der Sicht des jeweiligen Betrachters. Dennoch hatten Organisationen wie die RAF oder die Roten Brigaden ihr Tun grundsätzlich auf eine verquere, seltsam hilflose Moral gebaut. Der Linksterrorist Michael Baumann missbilligte Ende der Siebziger die Entführung einer LufthansaMaschine durch seine Gesinnungsgenossen, weil er fand, die Revolutionäre Front dürfe sich nur auf schuldige Personen konzentrieren, und das Hineinziehen Unschuldiger sei unethisch. Im freien Fall dieser Argumentation bewegte sich auch Mario Moretti, Kopf und Planer der Roten Brigaden, als er sich 1984 vor Gericht für die Entführung und Ermordung von Aldo Moro zu verantworten hatte. Man habe nicht den Menschen Moro entführt, erklärte er den Ausschüssen, sondern seine Funktion. Nicht Menschen veränderten die politische Landschaft, sondern Symbole und symbolische Werte. Nie hätten die Roten Brigaden Leid über Menschen bringen wollen.

Lässt man die Ethik beiseite, offenbaren sich ziemlich handfeste Gründe für die Eingrenzung des Schreckens. In letzter Konsequenz ging es darum, Anhänger zu gewinnen, die keine Terroristen waren. Man erzwang die Bereitschaft zuzuhören, um sie dann sinnvoll zu nutzen, Nachdenklichkeit und Sympathie zu erzeugen und seine Lobby zu vergrößern. Die Aktivisten der frühen Jahre waren sich darüber im Klaren, wie schnell man gewonnene Anhänger wieder verschrecken konnte, und die Hemmschwelle in den Siebzigern und Achtzigern lag ganz woanders als heute.

Hin und wieder war diese alte Form des Terrorismus sogar erfolgreich. Im Buch wird die Verleihung des Friedensnobelpreises an Jassir Arafat erwähnt. Er ist vielleicht das beste Symbol für die Kunst, gezielten Terror in Politik umzuwandeln (was sicherlich keine Entschuldigung für jedweden Akt der Gewalt ist). Gerade die PLO hatte sehr geschickt mit den Gefühlen der Menschen jongliert. Sie hatte intelligent und gezielt operiert. Sie hatte einer breiten Weltöffentlichkeit Verständnis dafür abgerungen, dass sie so und nicht anders handeln musste. Nicht nur mit dem legendären Handschlag zwischen Arafat und Rabin, abgesegnet von Clinton als salomonischer Instanz, war der Weg des Terrorismus in Facetten salonfähig geworden – die britische Königin Elisabeth II. empfing Nelson Mandela als legitimen Regierungschef seines Landes genau ein Jahrzehnt, nachdem Maggie Thatcher gesagt hatte: »Jeder, der glaubt, dass der African National Congress irgendwann einmal die Regierung in Südafrika übernehmen wird, lebt in einem Wolkenkuckucksheim.«

Die PLO ist insofern interessant für das Verständnis des Terrorismus jener Jahre, weil sie den klassischen Weg der Zielerreichung des Terrorismus dokumentiert: Aufmerksamkeit schaffen, Bestätigung und Anerkennung erlangen, Autorität gewinnen, die Regierungsgewalt übernehmen. Und – nicht zu vergessen – sich beizeiten von der Vergangenheit distanzieren.

Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum der Tokioter Giftgasanschlag eine solche Welle der Erschütterung auslöste. Niemand war auf eine solche Entwicklung vorbereitet gewesen. Nur wenige Wochen später starben beim Sprengstoffanschlag auf das Bundesverwaltungsgebäude in Oklahoma City einhundertzwanzig Menschen. Zwei Jahre zuvor hatte bereits der Anschlag auf das World Trade Center in New York City für Furore gesorgt. Wie es aussah, war der internationale Terrorismus in eine Phase erhöhter Gewalttätigkeit und gesteigerten Blutvergießens eingetreten, die auf diffusen religiösen und rassistischen Maximen gründete. Gerade der religiöse, aber auch der staatlich geförderte Terrorismus totalitärer Regimes macht uns heute Angst, weil es diesen Terroristen egal ist, wie viele Menschen sie töten – beziehungsweise je mehr, desto besser. Und weil selbst ausgebuffte Terrorismusexperten nicht mehr sagen können, was diese Organisationen eigentlich wollen.

So sinnlos Taten wie der Anschlag von Tokio anmuten mögen, fußen sie doch zumindest teilweise auf hoher technologischer und logistischer Intelligenz und enormen finanziellen Ressourcen. Das lässt vermuten, dass nicht nur die ideologischen Urheber daran beteiligt sind, sondern auch gekaufte Profis, und genauso ist es. Der Markt der Auftragsterroristen war noch nie so groß – und zeigte noch nie so wenig Skrupel. Selbst Carlos, der legendäre »Schakal« und Topterrorist der Siebziger und Achtziger, der 1994 von den französischen Behörden verhaftet wurde, verstand sich ansatzweise noch als Mann mit Überzeugungen, dem repressive Staaten keine Alternative gelassen hatten, als zur Waffe zu greifen. Spätestens seit Beginn der Neunziger hat sich die Frage nach Moral weitestgehend erledigt. Die Schattenwelt der Auftragskiller erhält ständigen Zufluss

Überbleibsel gescheiterter nationalistischer Gruppen aus aller Welt, ehemalige Offiziere des KGB, Scharfschützen aus den Reihen der Söldner und Elitetruppen, Fremdenlegionäre und gescheiterte Polizisten. Mit den diffuser werdenden Zielen weltweit operierender terroristischer Vereinigungen und deren allmählicher Umwandlung in Profit-Center sind die Skrupel einer Leila Khaled verschwunden und nüchterner Exekutive gewichen. Ein Vater des modernen Terrorismus, Abu Nidal, verwaltete in den Achtzigern rund vierhundert Millionen Dollar. Die ANO, die Abu Nidal Organization, erhielt ihre

Aufträge vornehmlich aus Syrien, Libyen und dem Irak. Sie stellt das vielleicht beste Beispiel dafür dar, dass ein politischer Attentäter nicht notwendigerweise ein radikaler Ideologe, religiöser Fanatiker oder extremer Nationalist sein musste. Verlangt wurden Dienstleistungen. Die ANO hat ihre ursprüngliche Motivierung, religiöse oder politische Veränderungen herbeizuführen, schließlich fallen gelassen, sich ausschließlich auf Gelderwerb verlegt und die Gewinne geschickt in Unternehmen und Grundstücken angelegt. Zur ANO gehören eine höchst profitable multinationale Waffenhandelsgesellschaft mit Sitz in Polen sowie Institute für technologische Forschung und diverse Stätten der Vergnügung. Die gigantischen Profite machen ein Finanzdirektorium innerhalb der Gruppe erforderlich, das Abu Nidal, wie es heißt, persönlich leitet. Aus dem religiösen Bombenleger ist der Chairman einer Holding geworden, und viele eifern ihm nach. Selbst die ideologisch untadelige marxistisch-leninistische JRA hat zur selben Zeit wie Abu Nidal ein Vermögen durch Auftragsterrorismus angehäuft.

Die Frage der Auftragsterroristen von heute lautet nicht mehr, ob man für Geld tötet, sondern wie weit man geht. Hier schrecken möglicherweise selbst Leute wie Carlos, Abu Nidal oder Abu Abbas zurück, wenn ihnen anheim gestellt wird, in der New Yorker Innenstadt eine Atombombe zu zünden. Andere hingegen würden es tun.

Die Terrorismusforschung hat alle Hände voll zu tun, dem zuvorzukommen. Man weiß heute, dass nur der gesteigerte Austausch von nachrichtendienstlichen Erkenntnissen und eine polizeiliche und militärische Zusammenarbeit auf allen Ebenen den neuen Gefahren erfolgreich entgegen wirken kann. Nachdem die englische Armee schon vor Jahren zugegeben hat, dass sie der IRA technologisch unterlegen ist, wird man sich hinsichtlich des Terrors von morgen auf ganz andere Kaliber einzustellen haben.

ÜBER DIE RUSSISCHE MAFIA

Dieses Thema erschöpfend abzuhandeln, ist fast unmöglich. Die Russenmafia hat sich mittlerweile zu einem amorphen Gebilde entwickelt, das weltweit operiert und zum Teil mit Russland gar nichts mehr zu tun hat.

Im Buch ist die Rede vom Moskauring. Dazu ein paar Anmerkungen, die beispielhaft sein mögen für das, was wir heute unter der russischen Mafia verstehen.

Erstmalig Erwähnung gefunden hat der Ring in der Moskauer Zeitung Rossijskaja Gaseta, die Mitte der Neunziger mit der Mutmaßung an die Öffentlichkeit getreten war, im Schatten des Kreml hätten sich einflussreiche Beamte und Geschäftsleute zu einer mächtigen und finanzstarken Gruppe zusammengeschlossen, die sich selbst Moskauring nenne und das Ziel verfolge, aus der prosperierenden Hauptstadt Kapital zu schlagen.