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»Es ist ein Job«, sagte sie.

Ricardo räusperte sich. Er stand auf und gesellte sich neben sie.

»Ich weiß, dass es ein Job ist. Sehen Sie, ich bin Ihr Finanzbuchhalter. Meine Aufgabe besteht darin, die Aktivitäten Lauras und Janas unter einen Hut zu bringen und beide Geschäftsfrauen gewinnbringend zu beraten. Wenn ich das Terrain wechsle, um Ihre Motive zu hinterfragen, tue ich uns damit betriebswirtschaftlich gesehen keinen Gefallen.« Er machte eine Pause. »Aber wir sind uns näher gekommen. Ich weiß nicht, irgendwie fühle ich mich verpflichtet, Sie zu warnen. Für Jana ist es ein Job. Ich würde nicht eine Sekunde in Erwägung ziehen, den Auftrag abzulehnen. Wir haben uns nie für die Ideologien unserer Auftraggeber interessiert. Aber für Sonja könnte das Ganze zu einem persönlichen Feldzug werden. Sie könnten Fehler machen. Wenn Ihre Objektivität getrübt ist, werden Sie den Ausgang der Aktion gefährden, ob Sie wollen oder nicht. Und es ist immer noch ein Unterschied, ob Sie sich benutzen lassen oder benutzt werden. Auch darüber würde ich einen Moment meditieren, bevor ich die endgültige Entscheidung treffe.«

Jana dachte darüber nach.

»Milosevic zu vertrauen, war ein Fehler«, sagte sie. »Er richtet das Land zugrunde. Aber in den Grundsätzen hat er trotzdem Recht.« Sie seufzte, wandte sich ab und spürte Ratlosigkeit in sich aufsteigen. »Wir hatten bis heute nie die Situation, dass die Auswirkungen meiner Arbeit wirklich etwas… verändert hätten. Nicht wahr?«

»Nein. Eigentlich nicht.«

»Plötzlich vermischt sich wieder alles. Sie haben Recht, Silvio. Die Sache würde persönlich werden. Ich weiß, deshalb haben sie mich ausgesucht. Das ist es, was mir Mirko sagen wollte. Es ist nicht einfach ein Job, es stellt mich vor die Frage, ob wir der Welt ein solches Signal senden sollten. Und ob ich es will. Offen gestanden, Sonja Cosic steht gerade mit erhobener Faust auf einem Hügel in der Krajina, und alles in ihr schreit danach, dem Ruf zu folgen. Wir können uns nicht länger zu Randfiguren und Irrtümern der Geschichte degradieren lassen. Die Serben sind immer nur die Opfer gewesen. Jana hingegen weiß, was sie damit lostreten würde, und es ist ihr zumindest nicht völlig egal. Ich mache mir Gedanken um Menschen.«

»Das hat Leila Khaled auch gesagt.«

Jana wusste, worauf er anspielte. Die Palästinenserin Leila Khaled hatte zu den Volksfront-Kommandos gehört, die 1969 ein TWA- Flugzeug und im Jahr darauf einen Passagierjet von El-Al in ihre Gewalt gebracht hatten. Es ging ihnen nicht darum, den Menschen an Bord Schaden zuzufügen, sondern sie als Faustpfand zu benutzen, um Gesinnungsgenossen freizupressen, Publizität zu erlangen und den Blick der Öffentlichkeit auf die landesimmanenten Probleme zu lenken. Leila Khaled empfand sich selbst weder als skrupellos noch grausam, und wahrscheinlich hatte sie mit dieser Selbsteinschätzung sogar Recht. »Sehen Sie«, hatte sie später in einem der zahlreichen Verhöre gesagt, denen man sie unterzog, »ich hatte den Befehl, das Flugzeug zu besetzen, nicht, es in die Luft zu jagen. Ich mache mir Gedanken um Menschen. Hätte ich das Flugzeug hochjagen wollen, so hätte mich niemand daran hindern können.«

Aber die Geschichte Leila Khaleds lag dreißig Jahre zurück. Die Geschichte einer Idealistin, die nie etwas anderes hatte sein wollen – zitiert von einer Idealistin, die etwas anderes geworden war. Ein Professional, eine Auftragskillerin, die sich nicht mehr fragte, ob man für Geld töten durfte, sondern nur noch, wie weit man gehen konnte. Längst hatte sich ein Abgrund zwischen Jana und Leila Khaled aufgetan. Gerade darum traf Ricardos Bemerkung über das denkwürdige Statement der Palästinenserin Jana im Innersten. In den letzten Jahren hatte sie gut damit – und vor allem gut davon – leben können, Aufträge einfach zu erledigen. Eine andere Sache war der gerechte Kampf, den sie verloren geglaubt hatte und auf dessen Wiederaufnahme sie wartete. Beides voneinander zu trennen, hatte Jana keine sonderliche Mühe bereitet – bis zu dem Tag, als Mirko an sie herangetreten war und die alten Fragen neu aufgeworfen hatte.

Plötzlich schien über dem Abgrund eine Brücke zu schweben. Eine Einladung, die Kluft zu überbrücken.

Der Gedanke war verlockend. Es wäre beides zur gleichen Zeit. Die sachliche Erledigung einer Anfrage und der Triumph über die Arroganz eines feindlichen Imperialismus, der immer nur verurteilte, ohne sich je die Mühe gemacht zu haben, Sonja Cosics Volk zu verstehen. Und wiederum wäre es das größte je gezahlte Honorar, die Krönung und zugleich das Ende ihres Engagements, der Beginn eines neuen Lebens.

»Was raten Sie mir?«, fragte sie unvermittelt und wandte Ricardo ihr Gesicht zu.

Ricardo lachte leise.

»Sie wollen meinen Rat?«

»Ja.«

»Tun Sie es.«

»Warum?«

»Weil Sie auf die Dauer so nicht weitermachen können. Es wäre der Glanzpunkt und erklärte Gipfel Ihrer Karriere, und jeder weiß, dass der klügste Politiker auf dem Höhepunkt seines Ruhms zurücktritt. Sie wären gezwungen, völlig neu anzufangen, was Ihnen, glaube ich, ganz gut täte. Es würde Sie aus dem Dilemma erlösen, in dem Sie stecken, seit ich Sie kenne. Sie sind nicht wirklich glücklich, Jana. Nehmen Sie an. Tun Sie es. Viele würden Ihnen insgeheim auf die Schulter klopfen. Es gäbe Heulen und Zähneknirschen. Die Probleme Europas würden in den globalen Fokus geraten. Vielleicht würde der eine oder andere Staatenlenker darüber stürzen, aber weder die Vereinten Nationen noch Russland oder China sind an einem Schlagabtausch größeren Ausmaßes interessiert. Das Problem würde gelöst werden. Das Trojanische Pferd hätte den begehrtesten Skalp der Welt eingeholt, ohne dass es jemand wissen muss. Sie und Ihr Land hätten Genugtuung erhalten. Wie Sie persönlich damit umgehen, kann ich nicht beurteilen, aber das ist ja auch nicht meine Sache.«

»Was glauben Sie, woher der Auftrag kommt?«

»Serbien? Russland? Libyen? Mal ehrlich, Jana, spielt es eine Rolle, wer Ihnen die Möglichkeit gibt, ein neues Leben anzufangen?«

Jana starrte vor sich hin.

Plötzlich erschien es ihr, als steuere ihr Denken in eine Sackgasse. Es war, als öffne man in einem Programm mit begrenzter Speicherkapazität ein Fenster nach dem anderen, rufe Dateien über Dateien auf, bis auf dem Bildschirm der wohl vertraute graue Kasten erschien: Es ist zu wenig Speicherplatz vorhanden, um neue Fenster zu öffnen. Schließen Sie einige Fenster und versuchen Sie es erneut.

Es wurde dringend Zeit, einige Fenster zu schließen. Sie konnte nicht ihr Leben lang immer mehr Persönlichkeiten und Identitäten übereinander lagern. Ricardo hatte Recht. Jana war am Ende angelangt. Zwischen Professionalismus und Patriotismus hatte sich ihr innerer Cursor sozusagen aufgehängt.

Ein letzter großer Geniestreich, der alle Persönlichkeiten wieder miteinander vereinte – und dann aussteigen. Jemand anderer werden.

Dieses Haus in den Weinbergen des Piemont würde verschwinden.

Wenn schon. Es war schön, aber zu ersetzen. Sie hätte dreißig Millionen Dollar zur Verfügung!

Sie könnte endlich aufhören, Sonja Cosic hinterherzulaufen.

»Silvio«, sagte sie.

»Ich höre.«

»Setzen Sie sich mit Mirko in Verbindung. Sagen Sie ihm, ich akzeptiere den Auftrag. Er soll mich mit den nötigen Einzelheiten versorgen und eine Million auf das bekannte Konto überweisen.«

Silvio lächelte.

»Wird gemacht«, sagte er. »Signora Firidolfi.«

JUNI. KOELN. AIRPORT

Hätte O’Connor nicht nachweislich aus Dublin gestammt, hätte man ihn dorthin erfinden müssen – zumindest, was Wagners Verständnis der irischen Autorenszene betraf. Für sie war O’Connor weniger Physiker als Schriftsteller, eine Sichtweise, deren Subjektivität sie sich durchaus bewusst und die letztlich unzutreffend war. Zu allem Überfluss war O’Connor – obschon in Dublin geboren und dort aufgewachsen – nicht mal ein hundertprozentiger Ire. Sein Vater war Dubliner, seine Mutter stammte aus Hannover. Diesem Umstand verdankte es O’Connor, zweisprachig aufgewachsen zu sein und das Deutsche ebenso fließend zu beherrschen wie das Englische. Wollte er von beiden nicht verstanden werden, zog er sich auf die angestammte Sprache der Iren zurück und sprach gälisch, um seine Verbundenheit zu den keltischen Wurzeln seines Volkes zu bekunden. Ob dahinter echtes Interesse oder akademische Selbstgefälligkeit steckte, jedenfalls hatte er die archaische Sprache gelernt und oft genug zur Anwendung gebracht – im Westen und Nordwesten, wo er mitunter tageweise verschwand und nur alte Männer mit Stoppelbärten und Fischgeruch in den Kleidern zu sagen wussten, wo er steckte.