Выбрать главу

Das Taxi stoppte vor dem Kristall, einem nicht ganz geschmackssicheren, aber dennoch gehobenen und komfortablen Designerhotel an der Nord-Süd-Fahrt. Sie gab dem Taxifahrer ein großzügiges Trinkgeld und ließ ihn den Koffer ins Innere tragen, wo dienstbare Geister sich unverzüglich um die Weiterbeförderung aufs Zimmer kümmerten. An der Rezeption wies sie sich als Karina Potschowa aus, Geschäftsfrau aus der Ukraine, erkundigte sich nach den wichtigsten Sehenswürdigkeiten und ließ beim Nobelitaliener Alfredo für den Abend einen Tisch reservieren.

Das Kristall entsprach Janas Vorstellungen von Lebensart schon wesentlich eher, wenngleich es ihr nichts ausgemacht hatte, in der Pension zu wohnen. Die jetzige Verkleidung hatte mehr mit der echten Jana zu tun als die graue Frau und war dementsprechend mit einer Reihe erfreulicherer Begleitumstände verknüpft. Dennoch nahm Jana auch eine verlauste Bruchbude in Kauf, wenn es die Sache erforderlich machte. Solange sie in die Rolle einer anderen Person schlüpfte, war sie diese Person. Sie bewegte sich so, dachte so, empfand so. Wer sich verkleidet vorkam, verhielt sich auch verkleidet. Jana war jeweils, was sie gerade darstellte.

Einen Augenblick gönnte sie sich den höchstpersönlichen Moment des Wohlgefühls, gute Kleidung zu tragen und den Luxus eines besseren Hotels zu genießen. Sie würde ausgezeichnet essen und einen hervorragenden Barolo oder Amarone dazu trinken. In bester Laune stattete sie ihrem Zimmer einen kurzen Besuch ab, kontrollierte ihr Make-up und begab sich zum Dom, den sie jetzt ausgiebig bestaunte, als sähe sie das kolossale Bauwerk zum ersten Mal. In einem der Andenkengeschäfte zwischen Bahnhof und Kathedrale, eingelagert in die hässliche Betonplatte, die dem Dom als Sockel und Heerscharen von Touristen als Erlebnisplattform diente, erstand sie einen Stadtplan und einen Stadtführer, überflog die wichtigsten Passagen und begann ihre scheinbar ziellose Wanderung durch die Stadt.

An diesem Tag lernte Jana kennen, was sie an Köln am meisten interessierte. Opernhaus und Theater, die Museen, das Rathaus und sonstige repräsentative Gebäude, von denen zu erwarten stand, dass man dort Staatsgäste empfing, sowie die angesehensten und teuersten Hotels und die Altstadt. Noch besaß sie keinerlei Informationen darüber, welche dieser Plätze später eine maßgebliche Rolle spielen würden, falls überhaupt einer darunter war, aber sie kannte nunmehr in grober Skizzierung das Terrain und konnte erste Ideen entwickeln.

Der folgende Tag würde dem Flughafen gehören. Sie wusste, dass sie noch einige Male herkommen musste, aber schon dieser erste Besuch versprach Ergebnisse. Übermorgen um dieselbe Zeit, wenn Karina Potschowa nach Turin weiterreiste, um sich kurz darauf wieder in Laura Firidolfi zu verwandeln, würde sie zumindest wissen, was alles nicht ging.

Zum wiederholten Male fragte sich Jana, ob sich Mirkos Auftraggeber wirklich darüber im Klaren waren, was sie da verlangten.

Sie spuckten fünfundzwanzig Millionen aus.

Sie mussten sich darüber im Klaren sein!

Eine Gruppe Holländer lief, die Häupter gekrönt von billigen Nikolausmützen, an ihr vorbei und schwenkte Einkaufstüten.

Richtig. Es war ja Weihnachten.

Seltsam, dass man sich trotz opulenter Weihnachtsmärkte und eindeutiger Dekorationen in den Schaufenstern immer wieder daran erinnern musste. Das war in Deutschland nicht anders als im Rest von Europa. Vielleicht, weil das Fest der Liebe durch Öffnungszeiten geregelt war.

Jana projizierte die Vorstellung eines Fadenkreuzes auf das Innere ihrer Netzhaut und nahm einen der Holländer ins Visier. Er lief gestikulierend neben den anderen her und redete auf sie ein.

»Bumm«, sagte sie leise.

Der Holländer lachte. Die Gruppe entfernte sich. Jana sah ihnen einige Sekunden lang hinterher und widmete ihre Aufmerksamkeit anderen Dingen.

JUNI. KOELN

Wagner fuhr zuerst ins Maritim, um sich zu vergewissern, dass O’Connors Gepäck ordnungsgemäß auf seine Suite geschafft wurde. Sie musste einige Minuten warten, bis die beiden Koffer und die Golftasche eintrafen, die O’Connor zu allen Zeiten mit sich führte. Wenn er nicht gerade schrieb, forschte oder betrunken war, spielte er Golf wie ein Wahnsinniger. Sie hatten ihn für den folgenden Tag als Gast der Stadtsparkasse Köln auf dem Golfplatz Lärchenhof in Pulheim untergebracht und zum Lunch einen Tisch im dazugehörigen Restaurant reserviert, wo mit einem Stern besser gekocht wurde als anderswo mit dreien.

Wagner ließ sich das Zimmer zeigen. Es war behaglich und großzügig eingerichtet und gewährte einen phantastischen Blick auf das gegenüberliegende Rheinufer mit dem Hyatt. Zufrieden fuhr sie mit dem Aufzug in die Lobby und fragte an der Rezeption nach einem guten Whisky, schottischem oder irischem, aber keinesfalls Bourbon. Es war nicht an ihr, O’Connor am Trinken zu hindern. Er konnte sich Alkohol verschaffen, wann und wo immer er wollte. Wenn er schon so viel Wert darauf legte, sollte er sich ruhig über eine Flasche auf seinem Zimmer freuen.

Die Rezeptionistin verstand von Whisky offenbar ebenso wenig wie Wagner selbst. Ein Kollege wurde hinzugezogen, der wissend die Mundwinkel hob und versprach, sich darum zu kümmern. Den Namen, den er erwähnte, hatte Wagner schon gehört. Er fügte noch etwas von Special Old Reserve hinzu und erwähnte die Worte Pure Single Malt. Das erschien ihr hinreichend exotisch, um sich der Kennerschaft des Mannes anzuvertrauen. Sie dankte ihm und ließ ihren Blick die Hotelhalle durchschweifen.

Auch hier war man im Gipfelfieber. Der Anblick breitschultriger Bodyguards fehlte, dafür sah sie Männer und Frauen in geschäftsmäßigem Grau das Basement durchqueren, in Gruppen zusammenstehen oder die Tische der Sitzgruppen mit Schnellheftern und Laptops belegen.

Zum zweiten Mal an diesem Tag machte sie es sich in einer Hotelhalle bequem, bestellte einen Capuccino und wartete. Die Sitzgruppen in der Lobby des Maritim waren von gleicher Eleganz und Bequemlichkeit wie die im Hyatt und ebenso wie diese nicht geschaffen für Frauen wie Kika Wagner. Sie lehnte sich zurück, zog die Knie an, ließ sie sacht nach rechts kippen, versuchte das Gleiche zur linken Seite hin und streckte sie schließlich aus. Zwei Männer, die etwas sprachen, das möglicherweise Russisch war, gingen vorbei und starrten.

Auch gut.

Eine Viertelstunde später trafen Kuhn und O’Connor ein. Der Lektor grinste mit hochgerecktem Daumen, was wohl heißen sollte, dass O’Connor sich in der Buchhandlung manierlich betragen hatte. Er zupfte an seiner Jacke herum und begab sich an die Rezeption. Wagner erhob sich, strich ihren Rock glatt, ärgerte sich im selben Moment über die Öffentlichkeit der Geste und trat dem Physiker entgegen.

»Hallo, Ki-Ka!«, sagte O’Connor und sah sie an.

Größere Mengen Atome in ihrem Bauch und Brustkorb wechselten auf ein höheres Energieniveau und schossen wild durcheinander. Sie lächelte. Er schien zu überlegen. Dann erhellte sich seine Miene. Er ging zu einem der Blumengestecke, die überall in der Lobby verteilt waren, riss eine Rose heraus und kehrte damit zu Wagner zurück.

Auch das noch.

Sie bereitete sich darauf vor, einen Dank von angemessener Kühle zu formulieren. Dann ging ihr auf, dass er keinerlei Anstalten machte, ihr die Rose zu überreichen. Er drehte sie hin und her, roch daran und nickte befriedigt.

»Ich liebe Rosen«, sagte er.

»Ja«, bemerkte Wagner trocken. »Das sieht man.«

»Werde sie mit aufs Zimmer nehmen und jedes Gewächs, das ich stattdessen vorfinde, in den Müllschlucker werfen. Ist Ihnen das mal aufgefallen, Gaby? Hotels verunstalten die besseren Zimmer immer mit den grauenhaftesten Pflanzenarrangements. Wie Grabgestecke. Man legt sich ins Bett und wundert sich, wo der Priester bleibt.«

»Sie haben Suite 108«, mischte sich Kuhn ein und wedelte mit einem Schlüssel.