Выбрать главу

»Welche Art Forscher ist eigentlich O’Connor?«, fragte Wagner, während sie erneut Gänge durchquerten und den Hörsälen zustrebten.

»Was meinen Sie?«, fragte Schieder irritiert.

»Nun ja. Ich denke, er arbeitet an etwas, das mir keinen unmittelbaren wirtschaftlichen Nutzen zu versprechen scheint.«

»Doch, schon. Es geht um Datenübertragung. Natürlich interessiert sich die Wirtschaft für alles, was mit Kommunikation zusammenhängt. Ich dachte, Sie kennen seine Auftraggeber.«

»Nicht wirklich.« Sie schwieg verlegen. »Ehrlich gesagt, wir bringen O’Connors Bücher unter die Leute. Die Frage, ob er frei forschen kann, habe ich mir noch nicht gestellt.«

»Machen Sie sich nichts draus.« Sie hatten den Hörsaal erreicht. Einige Studenten waren damit beschäftigt, die Verstärkeranlage zu checken. Schieder bedeutete Wagner, ihm zu folgen. Sie gingen die Treppen hinunter zum Pult des Redners mit der riesigen Tafel dahinter. »Kaum einer macht sich diese Gedanken. Genau das ist unser Problem und wahrscheinlich auch das O’Connors. Freie Forschung hat so einen Ruch in der Öffentlichkeit. Wenn Sie die Leute auf der Straße fragen würden, ob wir lieber einen neuen, superflachen Fernseher entwickeln oder versuchen sollen, Lichtwellen durch Modenkopplung so zu steuern, dass sie sich zu Femtosekundenimpulsen hochschaukeln, wäre die Antwort klar. Aber die Femtotechnologie ermöglicht Ihnen künftig höchste Übertragungsraten und das Verfolgen und Steuern ultraschneller Vorgänge auf atomarer und molekularer Basis, und das kommt dem Fortschritt in der Telekommunikation zugute. Oder nehmen Sie die Materialtechnik. Wenn wir auf Nanobasis Materialien bearbeiten können, sind wir wiederum in der Lage, mikromechanische Gebilde zu konstruieren, die verkalkte Arterien reinigen und Herzinfarkten vorbeugen können. U-Boote in der Blutbahn. Und so weiter und so fort.«

»Schön, aber die meisten Leute wissen halt eher, was ein Fernseher ist. Was ist überhaupt Femtotechnologie?«

»Femtosekunden sind die milliardsten Teile von millionstel Sekunden«, sagte Schieder, ohne belehrend zu klingen. Wagner mochte ihn. Er kam ihr ziemlich bodenständig vor.

»Das meine ich«, sagte sie. »Kein Normalsterblicher weiß das, wie soll er da beurteilen, ob sich Ihre Forschung lohnt?«

Schieder sah sie an.

»Sie haben es erfasst. Die meisten wissen es nicht, aber sie reden alle mit. Eine Vielzahl derer, die über Atomkraft diskutieren, weiß auch nicht, wie ein Reaktor funktioniert. Wenn einer aus Zufall das Penicillin erfindet, klatschen alle in die Hände, aber solange er versucht, es zu erfinden, wollen sie lieber einen ultraflachen Fernseher. So, da wären wir.« Er zeigte auf das Pult. »Ich dachte, wir lassen Dr. O’Connor erst ein bisschen erzählen. Hier kennt zwar jeder seine Arbeiten, aber es hört sich noch mal anders an, wenn er es selbst zum Besten gibt. Dann haben die Studenten ein paar Fragen vorbereitet, aber eigentlich wollten wir erst die Presse zu Wort kommen lassen. Oder?«

»Lassen Sie Ihren Studenten den Vortritt. Was die Presseleute im Vorfeld erfahren, müssen sie nicht erfragen.«

»Vielleicht ergibt sich ja auch alles irgendwie.« Schieder trat zu dem Pult, beäugte kritisch die Oberfläche und blies Staub herunter. »Ist Dr. O’Connor guter Dinge?«

Wagner fragte sich, wie viel Schieder über O’Connor wusste.

»Er ist etwas erschöpft«, sagte sie.

»Erschöpft?«

»Er kommt aus Hamburg, und es ist wohl spät geworden letzte Nacht. Hm. Unter uns, also, um ehrlich zu sein…«

Schieder hob die Brauen. Sie verschwanden unter der Masse in die Stirn gekämmter Haare.

»Ja?«, fragte er gedehnt.

»Er ist betrunken«, platzte Wagner heraus.

Idiotin, schalt sie sich. Du gibst eine hervorragende Diplomatin ab. »Es ist nicht wirklich dramatisch«, fügte sie schnell hinzu. »Ich glaube eher, sie haben in Hamburg ein bisschen auf den Putz gehauen. Der Verlag hat ihn eingeladen, am nächsten Morgen ist man dann eben nicht so frisch, und .«

Sie stockte. Schieder grinste sie an.

»O’Connors Ruf eilt ihm voraus«, sagte er. »Sie müssen mir keinen Rechenschaftsbericht über seine Tagesform abliefern. Meinen Sie, er steht unsere kleine Veranstaltung durch?«

»Ich denke schon. Ich weiß nur nicht, wie.«

»Unterschätzen Sie ihn nicht. Ich kenne ihn nicht persönlich, aber nach dem, was ich gehört habe, ist O’Connor ein verdammter Simulant. Wenn er tatsächlich betrunken ist, haben wir nichts zu befürchten.« Er strich sich über den Bart und lachte in sich hinein. »Falls er nur so tut, wird’s allerdings haarig.«

»Ja«, sagte Wagner und sah Armageddon heraufziehen. »Genau das hatte ich befürchtet.«

»Dr. O’Connor!«

»Zu Diensten.«

Die Studentin strahlte über das ganze Gesicht und sortierte ihre Spickzettel. »Wir würden gern ein paar Dinge von Ihnen wissen. Vorsicht, es wird persönlich. Machen Sie mit?«

»Es wird mir eine Ehre sein«, flötete O’Connor, und in seinem linken Mundwinkel braute sich Unheil zusammen. Niemand sah es außer Wagner und Kuhn und vielleicht auch Dr. Schieder. Letzterer, die Arme vor der Brust verschränkt, legte eine beachtenswerte Gelassenheit an den Tag.

Allerdings musste man O’Connor zugestehen, dass er bislang positiv überrascht hatte. Der Mann, der pünktlich um sieben Uhr das Auditorium betrat, wirkte durchaus fähig, seinen Vortrag zu halten. Kuhn erschien neben ihm wie ein Gespenst. Wagner kam es vor, als sei er seit dem Moment, da sie sich im Maritim getrennt hatten, noch blasser geworden. Er zuckte beim Hereinkommen nur die Achseln, wie um zu sagen, unser aller Leben in Gottes Hand. O’Connor hingegen sah blendend aus. Er hatte den Anzug gewechselt, ein gütiges Lächeln mitgebracht und die Zeit im Hotel offenbar zu einer Blitzregeneration genutzt. Nachdem sein Blick jeden der Versammelten einmal gestreift hatte, schmolzen sie dahin. Keiner schien damit gerechnet zu haben, dem möglicherweise schönsten Mann Irlands zu begegnen. O’Connor hätte Shanties gröhlen können, und sie hätten ihn auf Händen getragen.

Seine Darlegung der Methode zur Abbremsung von Licht erfolgte sachlich und profund:

»Ein Photon braucht eine Sekunde, um dreihunderttausend Kilometer zurückzulegen, das wissen Sie. Der Wert ist fix. Natürlich freuen wir uns über das enorme Tempo, denn so können Lichtimpulse ungeheure Informationsmengen mit phantastischen Geschwindigkeiten übermitteln. Nur Dubliner Hausfrauen sind im Stande, Gerüchte noch schneller zu streuen.« Gekicher. »Aber die Sache hat halt einen Haken. Licht kann nicht schneller, aber auch nicht langsamer herumsausen als mit eben diesen dreihunderttausend Sekundenkilometern. Informatiker träumen von optischen Computern, in denen Lichtnachrichten auch ohne Umweg durch elektronische Schaltungen weiterverarbeitet werden, aber Lichtblitze sind flüchtig. Sie lassen sich nicht so ohne weiteres zum Sortieren und Verrechnen einfangen. Das ist in höchstem Maße ärgerlich und unkooperativ, also sind wir darangegangen, dem Licht unseren Willen aufzuzwingen .«

Es ging immer so weiter. Ein paar harmlose Scherze zwischendurch, gelehrter Small Talk. Jeder wusste ohnehin, was O’Connor erzählen würde. Zu Wagners Erstaunen verlor er kein einziges Mal das Gleichgewicht und wies sich durch klare Artikulation aus. Offenbar hatte er in den wenigen Stunden Schlaf – falls er geschlafen hatte den Alkohol völlig abgebaut. Er saß rittlings auf der Kante des

Rednertisches und gestikulierte mit den Händen, als dirigiere er ein unsichtbares Orchester.