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Was für ein Arschloch, dachte Wagner.

»Warum spult er das alles ab?«, fragte sie Kuhn leise. »Sie hat ihm doch gar nichts getan.«

»Darum geht’s nicht«, murmelte Kuhn. »Sie ist lediglich Stichwortgeberin für seine Meinung. In O’Connors Weltauffassung sind alle irgendwie nur Stichwortgeber.«

»Seine Meinung von Frauen ist erbärmlich.«

»Seine Meinung von jedermann ist erbärmlich. Abgesehen von den Kelten. Die findet er prima. Übrigens auch deren Frauen. Wahrscheinlich, weil die echten Kelten alle nicht mehr leben und sich nicht wehren können.«

Eine andere Studentin hob die Hand.

»Dr. O’Connor. Wie wollen Sie es schaffen, das Licht umzuleiten, ich meine, in sinnvolle Bahnen zu bringen? Im Moment haben Sie es nur verlangsamt.«

»Das ist einfach«, sagte O’Connor sichtlich erfreut. »Wir haben es im Übrigen schon gemacht. Wir haben eine zweite Schallwelle rechtwinklig zur ersten in den Kristall geschickt. Sie können das Licht regelrecht herumschubsen und an beliebige Orte auf dem Halbleiter transportieren, bevor Sie es wieder entwischen lassen.«

»Das heißt, Sie können Daten zwischen verschiedenen Glasfasern hin- und herschalten?«

»Ja. Das ist absolut richtig.«

Schieder drehte Wagner den Kopf zu.

»Da haben Sie die Antwort auf Ihre Frage. Die großen Telekommunikationskonzerne arbeiten seit Jahren daran, die Kapazitäten von Datenstrecken zu erhöhen. Die finanzieren ihm seine Forschung.«

Wagner nickte. Mittlerweile hatte sich die erste Studentin wieder gefangen und schoss mit einer Frage dazwischen.

»Dr. O’Connor. Könnten Sie das Licht theoretisch nicht endlos festhalten, indem Sie es durch verschieden umlaufende Schallwellen im Kreis bugsieren?«

O’Connor öffnete den Mund. Dann schloss er ihn wieder und sah die Studentin an, als habe sie gerade erst den Raum betreten.

»Das wäre theoretisch denkbar. Aber Licht ist flüchtig. Ich schätze, auf eine Sekunde Speicherzeit müssten wir kommen.«

»Und…« Wagner sah, wie ihre Wangen zu glühen begannen. »Heißt das, wenn Sie das Licht verlangsamen, dann verlangsamen Sie auch die wahrnehmbare Zeit?«

»Oh!« O’Connor lächelte, und es war ein wirklich nettes Lächeln. »Sie meinen die Sache, Zeitgeschwindigkeit gleich Lichtgeschwindigkeit? Der Spruch war mal in Mode. In der Tat hat Licht immer eine Menge zu tun mit Zeitreisegeschichten. Natürlich, wenn Sie sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegen, steht in gewissem Sinne die Zeit still. Ihre Masse wird unendlich. Bewegen Sie sich mit Überlichtgeschwindigkeit, rasen Sie der Zeit praktisch davon und verflüchtigen sich in die Zukunft. Ähnliche Zeitverzerrungssymptome kennen wir aus schwarzen Löchern. Aus der subjektiven Sicht eines Betrachters in meinem Kristall verlangsame ich sicherlich die Zeit, er wird die Information, die ein Photon trägt, anders erleben, als wenn es mit den gewohnten dreihunderttausend Sachen an ihm vorbeisauste. Was wollen Sie bauen? Eine Zeitmaschine?«

»Vielleicht.« Sie knüllte den Zettel in ihrer Hand zusammen. »Sofern mir kein Babygeschrei dazwischenkommt.«

O’Connor starrte sie an. Dann lachte er.

»Das will ich bei der plötzlich aufkeimenden Genialität, deren Zeuge ich eben werden durfte, auch nicht hoffen. Aber Babys sind nicht das Problem. Das Problem ist, dass wir sie nur allzu gern zu einem machen, um eine Entschuldigung dafür zu finden, uns aus dem großen Team verabschiedet und in die Mittelmäßigkeit verkrümelt zu haben. Babys können nichts dafür, wenn ihre Eltern beschließen, sich zu Höhlenbewohnern zurückzuentwickeln. Kaum scheint sich Nachwuchs anzukündigen, verhalten sich Menschen wie Schimpansen. Es gibt keine Visionen mehr, kein hohes Ziel, keine Allgemeinheit, nur noch Urinstinkte. Und immer hört man dieselben langweiligen Sprüche: Früher wollte ich mal die Welt bewegen, ich wollte ein Mittel gegen Krebs finden, ich wollte zum Mars reisen, ich wollte Shakespeare spielen, aber seit der Soundso da ist, ist das alles unwichtig geworden. Alles dreht sich nur noch um das offenbar wichtigste Blag der Welt. Von jedem wird erwartet, dass er fasziniert zusieht, wie der Kleine sein Breichen über das Lätzchen kotzt, und wehe, Sie wollen mal über was anderes reden! Wenn Sie wirklich eine Zeitmaschine bauen wollen, bauen Sie verdammt noch mal eine. Mit oder ohne Baby. Glückwunsch! Ich mache jede Wette, dass es nicht funktioniert, aber allein für die Absichtserklärung werde ich Ihnen stundenlang den Schraubenschlüssel halten, und Sie werden dabei so viele Kinder haben können, wie Sie wollen.«

»Alle Wetter«, zischte Kuhn. »Letzte Woche hat er noch das Gegenteil gesagt.«

»Sie meinen«, mischte sich ein Journalist ein, der ein Thema gefunden zu haben meinte, »Zeitreisen sind nicht möglich?«

»Ich meine«, sagte O’Connor, »wenn Menschen anfangen, vernünftig zu werden, beginnen sie zu sterben. Vernunft ist etwas zutiefst Glaubensfeindliches und Reaktionäres. Die Vernunft müsste Ihnen gebieten, nach Hause zu gehen, wenn Ihnen jemand erzählen will, er hätte Lichtstrahlen abgebremst. Es war nett, mit Ihnen zu plaudern. Die Vorlesung ist beendet.«

DEZEMBER. PIEMONT. LA MORRA

Am späten Vormittag des folgenden Tages starrte Maxim Gruschkow in einen Schnellhefter und bewegte leicht die Lippen. Auf seinem kahlen, überaus blanken Schädel schimmerten die Reflexe der Leuchtstoffröhren. Obschon draußen eine klare Wintersonne schien und der Himmel von einem opalisierenden Blau war, bevorzugte Gruschkow heruntergelassene Jalousien und Kunstlicht. Er las die wenigen Zeilen mit solcher Konzentration, dass jedes Geräusch, selbst das Summen der Computer, aus Rücksichtnahme zu ersterben schien. Dann klappte er den Hefter langsam zu und legte ihn ohne Hast auf den Tisch, an dem er, Silvio Ricardo und Jana sich versammelt hatten.

Seine Finger massierten die Haut über den Augenbrauen. Er spitzte die Lippen, schien seinen Blick eine Sekunde nach innen zu lenken und fokussierte dann seine beiden Gegenüber.

»Das kann nicht Ihr Ernst sein«, sagte er.

Seine Stimme klang unbeteiligt und sachlich, so wie er immer sprach. Nur einmal hatte Gruschkow seine Beherrschung verloren. Das lag Jahre und Tausende Kilometer zurück und war der Grund dafür, dass er nun in Italien lebte und nicht mehr in Moskau.

»Ja.« Ricardo zog die Schultern hoch und breitete die Hände aus. »So was Ähnliches habe ich auch gesagt.«

Das Treffen fand in Gruschkows »Hexenküche« statt. Hier, in der Entwicklungsabteilung von Neuronet, heckte der Chefprogrammierer von Neuronet Softwarelösungen aus und bediente innovationshungrige Märkte. Sie hatten sich in den Besprechungsraum zurückgezogen und die Tür geschlossen. Der Raum war schalldicht. Das ließ sich jedermann leicht erklären, denn kaum irgendwo sonst hatte Industriespionage derartige Ausmaße angenommen wie im Computer- und Online-Business.

Ein Ausdruck lag auf Gruschkows Zügen, den man selten an ihm sah. Er wirkte ratlos.

Jana hingegen war äußerst zufrieden.

»Das ist gut«, sagte sie.

»Gut?« Gruschkow verschränkte die Arme und brütete eine Weile vor sich hin. »Ich weiß nicht. Es ist das Irrwitzigste, was mir je untergekommen ist.« Seine Hand glitt über das Dossier, als wolle er sich seiner Echtheit versichern. »Kein Mensch würde auf so eine Idee kommen außer Ihnen.«

»Man kann durchaus darauf kommen«, sagte Jana gleichmütig, »wenn man zur richtigen Zeit ein Glas Wein trinkt.«

»Eher wohl eine ganze Flasche«, bemerkte Ricardo trocken.

Jana winkte ab.

»Völlig unwichtig. Entscheidend ist, dass ich es ausgerechnet habe. Meine Kenntnisse sind rudimentär, ich weiß gerade das Notwendigste über die Technologie, derer wir uns dafür bedienen müssten. Aber der Gedanke ist verlockend. Wenn sogar meine engsten Mitarbeiter es für Irrsinn halten, besteht eine gute Chance, damit durchzukommen.«