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»Also gut«, fuhr der Alte fort. »Ich werde Ihnen gleich einiges erklären. Sie werden die Hintergründe unseres kleinen Anliegens erfahren und welche Auswirkungen das auf Ihren Auftrag haben wird. Das Trojanische Pferd steht Ihnen offen. Ganz sicher werden Sie begeistert sein vom komplexen Spiel unserer Gedanken – falls Ihre eigenen den unseren zu folgen vermögen.«

Mirko investierte ein höfliches Nicken.

»Das Trojanische Pferd war mithin die weiseste Idee, die Priamos jemals hatte«, sagte er.

Kein Widerspruch. Keine korrigierende Bemerkung, dass Odysseus auf den hölzernen Gaul gekommen war und wohl zuallerletzt Priamos.

Jetzt aber Schluss, dachte er befriedigt.

»Können Sie einen YAG besorgen?«

Der Alte nickte. »Ja, das dürfte kein Problem sein. Wenn ich Sie recht verstanden habe, wird es damit aber nicht getan sein, oder?«

»Um die Details kümmern wir uns selbst.«

»Gut. Ich will sehen, was sich machen lässt. Wir haben eine Menge Einzelheiten zu besprechen. In der Kirche ist für ein Mittagessen gedeckt, Mirko, Sie sollen ja nicht leben wie ein Hund.«

Mirko erwiderte nichts. Der alte Mann sah zu den Bergen hinüber. Über den Zinnen braute sich dunkles Grau zusammen.

»Es kommt mal wieder Regen«, sagte er. »Gehen wir zurück.«

Schweigend kehrten sie um. Die Sicherheitsleute traten beiseite, warteten, bis sie vorbei waren, und schlossen sich ihnen an.

»Nebenbei, wie wollen Sie das Riesending überhaupt nach Deutschland schaffen?«, fragte der alte Mann. »Ist das nicht ein bisschen auffällig? Zwar keine richtige Waffe, aber immerhin. Wege lassen sich zurückverfolgen.«

Mirko lächelte.

»Es sind schon ganz andere Sachen aus Russland gekommen, ohne dass es einem aufgefallen ist.«

Der Alte riss die Augen auf. Einen Moment spiegelte sich Verwirrung darin. Er öffnete den Mund.

Dann begann er zu kichern.

»Sie sind ein raffinierter Hund, Mirko.« Das Kichern steigerte sich zu dem bellenden Lachen, das Mirko schon kannte. »Das muss man Ihnen lassen. Wirklich ein raffinierter Hund!«

Er schlug ihm wieder und wieder auf die Schulter, lachte noch lauter und ging mit raschen Schritten voraus zum Kloster. »Ich genieße die Konversation mit Ihnen, Drakovic. Sie macht mir Appetit.«

Mirko senkte den Kopf. Die Gnade war sein.

JUNI. KOELN. MARITIM

»Ich weiß nicht, wie sie da oben kochen«, sagte Kuhn. »Für mich schmeckt ohnehin alles überteuert, was nicht mit Ketchup oder Fritten serviert wird.«

»Um Sie geht es aber nicht«, sagte Wagner ungehalten.

Kuhn machte eine wegwerfende Handbewegung.

»Ach, Kika, das Maritim hat einen guten Klang. Gucken Sie mich nicht so an. Das ist nun mal so! Sie essen Klang, egal wohin Sie gehen. Glauben Sie diesem ganzen Zinnober mit Kochmützen und Sternen doch nicht die Bohne, diese Tester sind allesamt gekauft oder haben einen ausgemachten Dachschaden. Fleisch ist entweder zart oder zäh, danach hört’s auf.«

»Ich hatte Le Moissonnier vorgeschlagen, weil es danach eben nicht aufhört!«

»Ja, und dieser Lärchenhof morgen kostet uns auch nur haufenweise Geld. Dafür bekommen Sie den Wein von einem Humpen in den anderen geschüttet, ein Fitzelchen schmierige Gänseleber, stinkende Fischeier, Rotz mit Geschmack und all solchen Unfug .«

»Rotz mit was?«

»Austern! Kika, um Himmels willen, Ihr Blick jetzt gerade. Erzählen Sie mir bloß nicht, dass Sie das Geschlabbere mögen.«

»Sie scheinen es doch auch zu mögen.«

»Was?« Kuhn blinzelte verwirrt. »Wieso denn ich? Ich sagte doch gerade .«

»Ihre Krawatte sieht aus, als wäre eben so ein Ding darüber gekrochen.« Wagner förderte ein sauberes Papiertaschentuch aus ihrer Handtasche und befeuchtete es mit der Zunge. »Kommen Sie mal her, das ist ja fürchterlich. Haben Sie eigentlich keinen Spiegel auf Ihrem Zimmer?«

»Sie…« Kuhn wand sich und fuchtelte mit den Händen, während sie ihn an der Krawatte zu sich heranzog und begann, darauf herumzureiben. »Hey! Das ist unwürdig. Ich bin doch kein Pinscher, den man an der Leine… Aua! Wollen Sie mich erdrosseln? Eure Generation legt viel zu viel Wert auf die Tapete, ehrlich, Kika. Im Grunde sollte man überhaupt keine Krawatte tragen, wenn man nicht will. Verdammter Sozialzwang. Alles nur westliche Arroganz. Wussten Sie, dass indische Politiker .«

»Stimmt. Sie sollten wirklich keine tragen. Das Problem ist nur, dass Sie ohne auch nicht besser aussehen. So. Bitte schön.«

Kuhn schüttelte sie brummend ab und verstaute den Schlips zwischen den Revers seines Jacketts. Wagner fragte sich, wie er es immer wieder schaffte, dermaßen abgerissen auszusehen. Der Lektor war keineswegs so alternativ, wie er sich gebärdete. Er trug keine billigen Sachen. Er trug die teuren nur so, dass sie aussahen, als kämen sie aus der Altkleidersammlung. Hinzu addierte sich eine kaum zu überbietende Delikatesse in der Zusammenstellung von Farben. Neben O’Connor hatte er ausgesehen wie ein tragischer Irrtum. Im Kreis der Abendgesellschaft, die Kuhn den folgenden Abend im Restaurant des Maritim zu verdanken hatte, würde er auch nicht besser dasitzen.

Es war die einzige Reservierung gewesen, die sie ihm überlassen hatte. Prompt hatte er es vermasselt. Wagner hatte nichts gegen das Maritim. Sie hatte nur grundsätzlich etwas gegen Restaurants in Hotels, weil sie in den allermeisten Fällen Durchschnitt offerierten. Und Durchschnitt war das Letzte, was sie O’Connor anzubieten gedachte. Kuhn hatte den schönen Ausblick über den Rhein in die Waagschale geworfen. Schließlich hatte Wagner nachgegeben und nicht länger darauf insistiert, die Reservierung zu ändern. Sie beschloss, Kuhn schulde ihr für das Entgegenkommen irgendwann einen größeren Gefallen, und sie war entschlossen, ihn einzufordern, wenn es so weit war.

»Es wird schon schmecken«, sagte der Lektor väterlich. »Ich weiß ja schließlich auch, was sich gehört.«

»Mhm.«

»Große Portionen, Kika. Damit Sie endlich mal was auf die Rippen kriegen! He, da fällt mir ein, wissen Sie eigentlich, warum so viele Schauspielerinnen magersüchtig sind?«

»Nein«, seufzte Wagner.

»Ganz einfach. Klappern gehört zum Handwerk! Haha. Gut, was? Wie viel wiegen Sie überhaupt?«

»Sie kriegen gleich auch was auf die Rippen.«

»Entschuldigung, ich wollte nur…«

»Es geht Sie nichts an, wie viel ich wiege, hören Sie?«

»Bei Ihrer Größe…«

»Es geht nicht mal meine Waage was an!«

Kuhn zuckte die Achseln und suchte die Hotelhalle mit Blicken ab. Allmählich wurde es Zeit, dass sich die übrigen Gäste einfanden. Der Tisch war für Viertel nach neun bestellt. O’Connor weilte auf seinem Zimmer, um erneut die Garderobe zu wechseln. Auf der Rückfahrt mit Kuhn hatte er sich augenscheinlich lammfromm gegeben und war verschiedentlich eingenickt. Sie hatten das I. Physikalische Institut vor einer Dreiviertelstunde verlassen, und Wagner hatte voller Verblüffung festgestellt, dass man sich dort von O’Connors Arroganz kein bisschen gekränkt zeigte.

»Natürlich hat er einen Vogel«, hatte Schieder beim Abschied erklärt, als sie ein Stück hinter den anderen zurückblieb, um sich zu entschuldigen. »Aber keiner hier hat etwas anderes erwartet. Ich meine, er ist brillant! Denken Sie mal darüber nach, wie viele wohl erzogene und ausgeglichene Leute das von sich behaupten können. Der Mann ist ein Künstler. Die besten freischaffenden Physiker sind Künstler.«

»Das gehört wohl auch zu den Dingen, die keiner weiß, stimmt’s?«

»Stimmt. Darum tun wir uns ja so schwer, finanzkräftige Galeristen zu finden. Schönen Abend. Ihr Schützling war prima.«

Es stimmte schon, was Schieder sagte. O’Connor war ein Künstler.

Aber musste er sich deswegen gleich so benehmen wie eine ganze Horde davon?