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»…verstehe durchaus, dass man einen Autor, der Spitzentitel schreibt, nicht in die Würstchenbude schleppt«, sagte Kuhn gerade. »Aber das ist ein gutes und renommiertes Restaurant. Sie hingegen tun immer so, als hätte ich… Oh, sie kommen!«

Durch das Foyer näherten sich drei Männer und zwei Frauen. Da war der Buchhändler, ein jovial wirkender Mensch von gesundem Aussehen. Er war natürlich weitaus mehr. Seiner Familie gehörte eine der beiden großen Buchhandlungen der Stadt. Wagner wusste, dass in Köln ein Kampf der Giganten tobte. Die Frage, welcher Adresse man den Vorzug gab, hatte einiges Fingerspitzengefühl erforderlich gemacht. Der hiesige Markt wurde beherrscht von Gonski, dem Ableger aus der Bouvier-Gruppe, und der Mayer’schen. Beide Kontrahenten teilten sich den Neumarkt im Herzen der Innenstadt, wo sie einander dermaßen auf den Pelz gerückt waren, dass man keine fünfzig Schritte vom einen zum anderen brauchte. Kuhn hatte kurzzeitig mit dem Gedanken gespielt, den Vertreter der Gegenseite ebenfalls einzuladen, aber O’Connor würde dort nicht lesen, was Misstöne befürchten ließ. Zumindest dieser Gipfel, dachte Wagner erleichtert, blieb Köln also erspart.

Der zweite der Männer, hoch gewachsen und weißhaarig, wies sich gern als Kunstexperte aus, bevor er sich dazu bekannte, Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer zu sein. Er saß im Rat und verdankte seine Anwesenheit der Intervention des dritten männlichen Gastes, der für O’Connor die Gunst des Golfspiels auf dem Platz in Pulheim erwirkt hatte. Er bekleidete eine nicht ganz unmaßgebliche Position im Hauptgebäude der Kölner Stadtsparkasse, die ihm Zeit genug ließ, wichtige Leute kennen zu lernen.

Die eine der beiden Frauen war Kulturdezernentin der Stadt Köln, eindrucksvoll in ihrer Erscheinung, raumfüllend und mit wallenden Gewändern angetan. Die andere schauspielerte sich seit Jahren durch eine landesweite Endlosserie im öffentlichrechtlichen Fernsehen und war eigentlich immer mit dabei, wenn wichtige Leute andere wichtige Leute kennen lernten. Sie war ältlich und rundlich und für ein gewisses Interesse an jüngeren Männern berüchtigt.

Wagner straffte sich. Es folgte die übliche Begrüßung und ausgedehntes Händeschütteln. Kuhn gelang es, die Schauspielerin mit dem Namen des Buchhändlers anzureden. Wagner plauderte atemlos darüber hinweg und warf einen Blick auf die Uhr.

Zwanzig nach neun.

Als hätten sich ihre Gedanken zu Fanfarenstößen gewandelt, erschien im selben Moment O’Connor hinter den auseinander gleitenden Glastüren des Fahrstuhls.

Er sah blendend aus. Anzug, Hemd und Krawatte waren perfekt aufeinander abgestimmt. Die silbergrauen Haare lagen wie mit dem Pinsel gezogen. Hätte ihr in diesem Moment jemand erzählt, dass sich ein ausgemachter Säufer näherte, sie hätte ihn glattweg ausgelacht.

»Warten Sie auf jemanden?«, fragte O’Connor gut gelaunt und gesellte sich zu der Gruppe. »Oder warte ich auf Sie?«

Gejohle. Kuhn übernahm nicht ohne Jovialität die Vorstellung der einzelnen Gäste. O’Connor gebärdete sich artig und fand für jeden ein paar ausgesucht nette Worte.

Wagner war ziemlich beeindruckt.

»Ich mag Ihre Anzüge«, sagte sie wahrheitsgemäß, als sie den gläsernen Lift ansteuerten, der zum Restaurant im fünften Stock führte. »Sehr im Trend.«

»Frau Wagner, Ihr Wort ist Musik.« Wenn O’Connor nüchtern war, schwenkte er offenbar auf Nachnamen um. »Um der Wahrheit die Ehre zu geben, ich bekomme von Trends gar nicht so viel mit. Sie überleben sich im Augenblick ihres Entstehens, das ist mir entschieden zu anstrengend. Ich habe genug damit zu tun, der Lichtgeschwindigkeit zu folgen.«

»Ich weiß nicht. Sie vermitteln eher den Eindruck, als seien Sie ihnen beständig auf der Spur.«

»Ich bluffe. Ich kaufe meine Klamotten, bevor sie in Mode kommen, und höre auf, sie zu tragen, bevor sie aus der Mode kommen. Auf diese Weise ist man immer schick, ohne gefällig zu sein. Nach Ihnen.«

Sie fuhren in den fünften Stock. Der Tisch am Fenster bot einen phantastischen Blick auf den Rhein und die Deutzer Seite. Es gab ein kurzes Durcheinander, bis jeder irgendwo saß, dann wurde Champagner serviert. Wagner schätzte, dass O’Connor nicht lange brauchen würde, um sich wieder auf das Niveau des Vormittags zu trinken, aber er nippte nur und sprach dafür umso reichlicher dem Mineralwasser zu. Sie betrachtete ihn unter zusammengezogenen Brauen und fragte sich, wie weit er mit seinen Bluffs eigentlich ging.

Sie hatte das unbestimmte Gefühl, schon ziemlich bald ein paar tiefer gehende Antworten zu erhalten.

Die Unterhaltung drehte sich eine Weile um alles und nichts. Die Schauspielerin löcherte O’Connor mit den üblichen Fragen.

»Wie kommen Sie bloß auf Ihre Ideen? Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie man ein Buch schreibt.«

»So wie der makedonische Bildhauer, gnädige Frau.«

»Ach was!«

»Ja. Man fragte ihn, wie es ihm gelänge, aus einem massiven Marmorblock einen perfekten Löwen zu hauen. Er besann sich einen Augenblick und sagte: Ganz einfach. Ich nehme mir diesen Block zur Brust und haue alles weg, was nicht nach Löwe aussieht.«

»Köööstlich!«

Und so weiter und so fort.

»Ihre Stadt ist bemerkenswert«, sagte O’Connor höflich, während er ein winziges Stück Graubrot fingerdick mit Kräuterquark bestrich. »Wie ich hörte, gibt es nach dem Wunder von Kanaa und der Schlacht von Issos jetzt einen Frieden von Köln.«

Die Dezernentin verzog das Gesicht.

»Nach dem Gespenst von Canterville gibt es jetzt sogar den Geist des Kölner Doms«, erwiderte sie. »Der war selbst mir völlig neu. Aber unser Außenminister scheint ihn gesehen zu haben. Die Zeitungen schreiben, er sei über die illustre Runde gekommen in Gestalt von Martti Ahtisaari und habe uns alle in gläubige Pazifisten verwandelt.«

»Köln hat viele neue Freunde gewonnen und einen bösen Krieg beendet, weil wir so eine schöne Kirche haben«, bekräftigte der Mann von der Stadtsparkasse.

»Sehr wahr.«

»Wir können uns ohne weiteres eine Scheibe vom Frieden abschneiden«, bemerkte der IHK-Vertreter säuerlich. »Wissen Sie, Dr.

O’Connor, Köln ist sein eigener Arschtritt. In Sachen Defätismus und Selbstzerfleischung läuft uns hier keiner den Rang ab. Dieser ständige Hader mit uns selbst. Wir haben weiß Gott eine Menge um die Ohren mit dieser Gipfelei, da darf man ruhig ein bisschen stolz sein.«

»Ich hadere ja gar nicht«, sagte die Dezernentin. »Ich finde es wunderbar, wenn unser Kardinal Meisner Milosevic im Traum erscheint und Norbert Burger dann in zähem Ringen den Rest besorgt.«

»Das sehen Sie nun wiederum zu eng«, sagte der Vorstand der Stadtsparkasse. »Für die Akte von Helsinki konnte Helsinki eigentlich auch nicht viel. Jetzt ist es halt der Kölner Frieden. Ein paar Striche auf dem Deckel der Kölner Weltpolitik. Wir haben an Ansehen gewonnen, ist doch prima. Wenn der Dom dran schuld ist – meinetwegen.«

»Hat Kardinal Meisner nicht sogar die Hoffnung geäußert, der letzte Krieg des Jahrhunderts möge im Schatten des Doms sein Ende finden?«, sagte Kuhn wissend.

»Was er gesagt hat, lässt mich annehmen, dass er selbst nicht im Schatten des Doms sein Ende finden möchte.«

»Lassen Sie Gnade walten. Jeder ist eitel.«

»Wie abgeschmackt, Herrschaften! Der Dom ist das Friedenssymbol schlechthin, das wollen Sie doch wohl nicht in Abrede stellen?«

»Warum denn das?«

»Er hat den Weltkrieg immerhin überdauert. Ich bin nicht übermäßig gläubig, aber so was nenne ich ein Symbol.«

»Ach, stimmt ja. Sie haben die Bomben lieber auf die Leute drumherum geschmissen. Auch ein Symbol.«

»Wäre Ihnen ein zerstörter Dom lieber gewesen?«

»Keineswegs.«

»Genau! Ohne Dom kein Frieden. Im EXPRESS stand kürzlich sogar, er hätte Weltgeschichte geschrieben.«