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»Es war niemand an der Rezeption«, sagte er. »Praktisch.«

»Machen Sie es sich gemütlich.« Jana wies auf die kleine Sitzgruppe am Fenster, öffnete eine Aktenmappe und zog einen dünnen Schnellhefter hervor. Sie nahmen Platz. Mirko öffnete den Hefter und sah hinein.

»Gruschkow hat die Einzelheiten bis ins Kleinste ausgearbeitet. Sie haben also die definitive Liste dessen vor sich, was wir brauchen«, kommentierte Jana. »Ich muss hinzufügen, dass wir hier und da einige Optimierungen vornehmen werden, aber das soll nicht Ihre Sorge sein. Hauptsache, wir haben das Equipment beisammen. Der YAG ist die eine Sache, natürlich unser Herzstück. Das andere sind die Spiegel. Sehen Sie, es sind vier. Der Begriff Spiegel ist ein bisschen irreführend, sie sind beidseitig transparent und dielektrisch vielfachbeschichtet. Die Reflexion von Sonnenlicht wird gering sein, wenn die Spiegel einmal ausgefahren sind. Für jemanden, den man nicht unmittelbar mit der Nase drauf stößt, sind sie unsichtbar.«

»Was bedeutet dielektrisch?«

»Es heißt, dass die Spiegel für normales Licht durchlässig sind. Sie reflektieren ausschließlich eine Wellenlänge von 1 ^m. Eigentlich Standard.«

»Verstehe. Was ist hiermit? Adaptive Optik.«

»Eine Spezialanfertigung. Gruschkow sagt, der adaptive Spiegel müsste sich dort auftreiben lassen, wo Sie auch den YAG herbekommen. Möglicherweise nicht in den gewünschten Abmessungen, aber dann sollte es kein Problem sein, das Passende herstellen zu lassen.«

»Wozu ist das nötig?«

»Wegen der Entfernung. Wir benötigen einen adaptiven Spiegel auf diese Distanz. Die Durchmesser der Spiegel bewegen sich zwischen zehn und dreißig Zentimetern, es ist alles exakt beschrieben.« Sie machte eine Pause. »Der kleine Spiegel ist der entscheidende, Mirko. Wir werden ihn zu einem ferngesteuerten Zielobjektiv umarbeiten. Das macht Gruschkow. Er schreibt auch das Programm. Was wir ebenfalls organisieren, sind die Aggregate. Wahrscheinlich koppeln wir zwei aneinander, je zehn bis zwanzig Kilovoltampere dürften reichen. Wir brauchen außerdem einen Untersatz und Schienen, das bekommen wir in Deutschland. Ich kenne jemanden, der uns so was zusammenschweißt. Was in unseren Kräften steht, leisten wir selbst. Dennoch ist es eine ganze Menge, was Sie an den Start bringen müssen. Schaffen Sie das?«

Mirko klappte den Hefter zu und nickte.

»Was den YAG betrifft, das ist so gut wie geklärt. Das Trojanische Pferd verfügt über die nötigen Verbindungen.«

»Wo bekommen Sie ihn her?«

»Aus Russland. Wahrscheinlich aus Weißrussland, möglicherweise aus der Ukraine. Es gibt in beiden Ländern entsprechende Forschungsinstitute. Wir haben außerdem Kontakt zu einer hochrangigen Persönlichkeit des Rings, über die ich auch den Kauf der Spedition abwickeln werde. Ich denke, hinsichtlich der Spiegel dürfte es ebenso wenige Probleme geben wie mit dem YAG. Man ist dort sehr kooperativ, wenn es um Geld geht.«

»Russland«, sinnierte Jana. »Der Ring. Ich hab’s mir beinahe gedacht.«

Mirko lächelte und schwieg.

Der Ring verfügte über beste Kontakte in die Länder des westlichen Europa, vornehmlich in die Schweiz, nach Österreich und vor allem nach Deutschland. Was genau der Ring eigentlich war und wer ihm angehörte, inwiefern man ihn überhaupt der russischen Mafia zurechnen konnte, ließ sich nicht eindeutig sagen. Er war Teil des Netzes, mit dem die roten Bosse, wie die Karrieristen des neuen Russlands genannt wurden, Europa überzogen. Mittlerweile hatten sie ihre Fäden bis in die Vereinigten Staaten gesponnen. Dennoch gab es Länder, mit denen die russische Halbwelt bevorzugt Geschäfte machte. Hunderte Strohfirmen entstanden allmonatlich in England, Österreich und der Schweiz, um russisches Geld zu waschen. In Deutschland hatte der Urknall der Machtentwicklung russischer Tycoons Anfang der neunziger Jahre stattgefunden. Im Moment, da die Bundesregierung begann, der Roten Armee Geld für den Truppenabzug zu zahlen, kassierten die russischen Bosse fleißig ab. Beim Berliner Landeskriminalamt wusste man mittlerweile, mit welchem Geld die Russenmafia ihren fulminanten Start in Deutschland finanziert hatte. Es waren die sechs Milliarden Mark, die Bonn bis 1994 überwiesen hatte. Alles, was seitdem von den Aktivitäten der russischen Halbwelt in Deutschland ruchbar geworden war, hatte in irgendeiner Weise mit diesem Geld zu tun.

Der Kampf war verloren, bevor er überhaupt richtig begonnen hatte. Die Verknüpfung deutscher und russischer Interessen fand in der berühmten Grauzone statt, die Kriminologen so viel Kopfzerbrechen machte – war das nun noch Mafia oder schon nicht mehr? Milliarden gewaschener Gewinne des organisierten Verbrechens verwischten die Grenzen zwischen Legalität und Illegalität, öffneten Türen zu Zimmern, in denen politische und wirtschaftliche Entscheidungen ersten Ranges getroffen wurden, und schufen damit eine neue wirtschaftliche Realität. Illegales Geld gebar legale Strukturen. Deutschland etwa war regelrecht unterwandert von russischem und italienischem Mafiageld, die Verbindungen unentwirrbar geworden. Es gab Szenarien, was geschehen würde, wenn man dieses Geld der deutschen Wirtschaft von einem Tag auf den anderen entzöge. Sie würde zwar nicht gerade zusammenbrechen – aber auf jeden Fall Teile davon.

Was einerseits katastrophale Konsequenzen für russische und europäische Volkswirtschaften zu entwickeln drohte, kam den Interessen Janas und Mirkos in diesem besonderen Fall mehr als entgegen. Russisches Kapital ermöglichte Transaktionen auf höchster Ebene. Nicht umsonst war die Angst vor dem illegalen Handel mit nuklearem Material so ausgeprägt, weil es geschäftliche Verbindungen gab, die befürchten ließen, dass ganze Atomsprengköpfe an den Grenzen einfach übersehen wurden. Der YAG, der immerhin die Ausmaße eines Kleinlasters hatte, würde mittels gefälschter Papiere problemlos von Russland nach Deutschland gelangen, wenn jemand in Moskau seine Verbindungen spielen ließ. Er war ja nicht mal eine Waffe. Ihn offiziell an ein Institut in Deutschland zu adressieren, das ihn nie bestellt hatte, um ihn auf halbem Wege verschwinden zu lassen, war eine der leichteren Übungen deutsch-russischer Geburtshilfen bei der Verwirklichung dubioser Pläne. Ohnehin gab es – nachdem die Bosse auch die innovative Intelligenz des Landes übernommen hatten – nichts, was man in Russland nicht bestellen konnte. Hätte Mirko davon gesprochen, in irgendeiner abgelegenen Region der Ukraine oder Weißrusslands eine Zeitmaschine oder ein interstellares Raumschiff in Auftrag zu geben, wäre das zumindest nicht ganz ausgeschlossen gewesen.

So konnten sie sicher sein, dass sie den YAG und die Spiegel bekommen würden. Und die Spedition. Wenn Mirko eine Persönlichkeit des Rings kannte, die versprochen hatte, das Ding zu liefern und die Spedition als Strohmann zu kaufen, war die Sache geritzt.

Das einzige Problem mochte darin bestehen, dass man die Spur des YAG vielleicht doch würde zurückverfolgen können. An den immer raffinierteren Methoden der russischen Mafia schärfte sich auch das Können der deutschen und internationalen Kriminologen. Möglicherweise würden die Deutschen nach dem Anschlag herausfinden, woher der YAG gekommen war, und die russische Beteiligung an der Sache aufdecken. Würde der Westen zu diesem Schluss gelangen, stand auf jeden Fall das Heraufdämmern eines neuen Kalten Krieges zu erwarten. Kam er außerdem zu der Erkenntnis, dass die eigentliche Federführung von Belgrad ausgegangen war, standen Vergeltungsmaßnahmen, wenn nicht ein heißer Krieg ins Haus.

Sollten sie schlussfolgern, was immer sie wollten. Jana würde weg sein. Weit weg. Dort, wohin ihr die Probleme Europas nicht folgen konnten.

Sie reichte Mirko einen zweiten Schnellhefter.

»Ich habe eine Aufstellung über das Team gemacht«, sagte sie. »An der Spitze sind Sie und ich, außerdem Gruschkow. Was Gruschkow angeht, so ist er zweifellos ein begnadeter Kopf, allerdings weniger für die Frontarbeit geeignet. Ich hätte ihn trotzdem gern dabei, er schreibt Ihnen ein komplett neues Programm zur Not im Stehen. Aber wir brauchen ein bis zwei Techniker, um die nötigen Installationen durchzuführen. Einen Spezialisten für die Spiegel und einen Assistenten. Und den sechsten Mann natürlich.«