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»Und?«

»Es ist so eines von den Booten, die aussehen wie weggeschwemmte Häuser«, sagte O’Connor. »Und es ankert an der Brücke, um derentwegen die zwei Dutzend Häuser von Shannonbridge überhaupt eine Daseinsberechtigung haben. Es gibt nämlich kaum Brücken über den Shannon. Seltsam, nicht wahr? Ein Fluss, der die gesamte Insel durchschneidet, und kaum Brücken. Der zweite Grund, nach Shannonbridge zu fahren, ist der Pub. Die Theke endet aus unerfindlichen Gründen in der Wand, aber wenn um elf die letzte Bestellung ausgerufen wird, treten alle brav hinaus in die Nacht und verschwinden sogleich wieder im benachbarten Lebensmittelladen. Dort machen Sie dann die höchst frappierende Entdeckung, dass die Theke aus der Wand wieder zum Vorschein kommt. Auch eine Zapfbatterie hat sich auf wundersame Weise dorthin verirrt, also stehen Sie die nächsten Stunden am Bedienungstresen und trinken Ihr Guinness zwischen Chappi und Persil. Darüber verfallen Sie in merkwürdige Betrachtungen. Sie erinnern sich, dass Flann O’Brien über die Insel der zwei Vögel schrieb, die im Shannon just da liegt, wo man Shannonbridge noch eben sehen kann. Jemand schlägt vor hinzufahren, aber fahren können Sie zu einer Insel letztlich nur mit einem Boot. Ein anderer Jemand, Donovans Vetter, erklärt dann passenderweise, sein Hausboot verfüge über ein völlig unnötiges Beiboot, und wenn einer sich bereit erklären würde, die Ruder zu bedienen, könnte man nachsehen, wo der eifersüchtige Riese seine Frau und ihren Liebhaber erschlagen habe. Er sagt, an Bord des Bootes sei auch eine Flasche Paddys. Verstehen Sie?«

»Nein.«

»Morgen um sechs geht eine Maschine Richtung Shannon Airport.«

Wagner sah ihn an und fühlte eine wunderbare Ruhe in sich aufsteigen.

»Gut. Fliegen Sie.«

O’Connor schürzte die Lippen. »Fliegen Sie mit«, sagte er.

»Ich kann nicht mitfliegen. Ich habe verschiedenen Leuten zu erklären, dass der Typ, dessen Bücher sie verkaufen, mit einem Ruderboot im Shannon treibt.«

»Ach, Kika, nicht so unflexibel. Wollen Sie Ihre Pflicht tun? Pflicht ist Feigheit. Nichts bringt die Kapitulation vor dem Abenteuer Leben hässlicher an den Tag als die Behauptung, seine Pflicht tun zu müssen. Ich meine, Sie hatten Ihre kleine Show im Physikalischen Institut. Sie hatten Ihr Abendessen mit den geschätzten Damen und Herren Honoratioren. Lassen Sie uns ein bisschen Spaß haben, mhm?«

»Morgen früh um halb zehn sind Sie im Golfclub von Pulheim angemeldet«, sagte Wagner. »Und Sie werden jedes verdammte Loch spielen, das der Platz hergibt. Anschließend ist Lunch. Abends lesen Sie vor rund dreihundert Leuten, die alle ein Ticket dafür gekauft haben. Was Sie nachmittags tun, ist Ihre Sache.«

»Was wollen Sie dagegen unternehmen, wenn ich es mir anders überlege?«

»Nichts.«

O’Connor maß sie mit Blicken.

Dann grinste er. Seine Augen funkelten.

»Ich muss nicht zurück zu diesem Abendessen«, sagte er.

»Nein.«

»Wissen Sie, ich habe mein Leben lang immer irgendwo einen Donovan kennen gelernt, dessen Vetter ein Boot hat. Verstehen Sie, was ich meine?«

»Ich denke schon. Wollen Sie Opern aus Ihrem Leben quatschen oder mir einen zweiten Whisky bestellen?«

O’Connor strahlte.

»Dann fliegen wir eben nächste Woche«, sagte Donovan aus dem Hintergrund. »Okay?«

Stunden später steuerte O’Connor langsam, aber sicher den Zustand an, in dem er sich bei seinem Eintreffen am Morgen befunden hatte. Unter anderen Umständen wäre es Wagner schon früher aufgefallen, aber sie war inzwischen nicht weniger betrunken als der Physiker und die Truppe um diesen Donovan, dessen Vetter irgendwo ein Boot hatte, mit dem man zu irgendeiner Insel kam, wenn man um sechs den Flieger schaffte.

Tatsächlich hatte O’Connor die vier erst im Pub kennen gelernt, aber der Prozess des Anfreundens vollzog sich dafür umso schneller. Während Kuhn und seine Nöte verblassten, fand Wagner zunehmend Gefallen an der Vorstellung, zwischen Cornflakes und Waschpulver Guinness zu stemmen, aber das Thema hatte sich kraft ihrer energischen Intervention fürs Erste erledigt. Eine Weile war das Gespräch um Literatur gekreist, aus ungeklärten Gründen in der Karibik gelandet und von dort auf Schlingerkurs zu den Freuden orientalischer Massagen gelangt, weil Mary ihren letzten Urlaub in Marokko verbracht hatte. Alles, was danach kam, ergab so wenig Sinn, dass Wagner beim Zuhören und sogar beim Sprechen vergaß, worum es ging. Nie zuvor hatte sie solche Mengen konzentrierten Alkohols getrunken. Mittlerweile hatte sie die Bekanntschaft von Macallan, Oban und Balvenie gemacht, allesamt zwölf oder mehr Jahre alt, und eine gewisse Taubheit in der Mundhöhle davongetragen. Letzte Reste klaren Denkens versuchten die Oberhand über den Wirrwarr in ihrem Kopf zu gewinnen und suggerierten ihr, so viel gute Laune sei unanständig.

O’Connor und die anderen sangen ein Lied.

Pulheim.

Du musst nüchtern werden, sagte sie sich. Wenn du jetzt nicht aufpasst, wird Liam O’Connor auf dem Grün durch Abwesenheit glänzen. Reiß dich zusammen.

Sie bestellte ein Wasser und trank es aus. Viel half es nicht, aber die Nebel lichteten sich etwas. Während um sie herum die ersten Stühle hochgestellt wurden, leerte sie auch noch die Karaffe mit dem Quellwasser, das eigentlich vorgesehen war, um es mit den Single Malts zu vermischen, die beständig ihren Weg auf den Tresen fanden. Sie rutschte von ihrem Hocker, ging auf die Toilette, spritzte Wasser in ihr Gesicht und betrachtete sich so lange im Spiegel, bis sie allmählich zu sich zurückfand. Betrunken war sie immer noch, aber ihr Hirn arbeitete wieder.

Schön bis hierhin, dachte sie. Jetzt mach das Richtige und bring den verdammten Säufer ins Bett, bevor er doch noch in das nächste Flugzeug steigt.

Sie kehrte zurück an die Bar und stellte fest, dass die Truppe samt O’Connor verschwunden war. Was das Wasser nicht geschafft hatte, besorgte der Schock. Schlagartig wurde sie nüchtern.

»So ein Scheißkerl«, zischte sie.

Mit knallenden Absätzen lief sie hinaus auf die Straße und schaute sich um. Das Päffgen hatte zu. Im Klein Köln ging es jetzt hoch her. Wenn sie ihn da nicht fand, hatte sie verloren.

»Ki-Ka«, sagte jemand.

Sie fuhr herum. O’Connor lehnte an einer der Säulen, die das Vordach des Pubs abstützten. In der Rechten hielt er eine halbvolle Flasche.

»Du siehst erleichtert aus«, sagte er.

Einen Moment lang war sie versucht, ihm eine zu scheuern. Dann

begann sie zu kichern. Der Rausch kehrte zurück.

»Ich dachte, Sie hätten sich aus dem Staub gemacht, Liam.« Sie machte einen Schritt auf ihn zu und knickte leicht ein. »Sie können einem den letzten Nerv rauben.«

Ihr Verstand arbeitete präzise. Warum schienen dann die Worte in ihrem Mund durcheinander zu purzeln, bevor sie ihn verließen?

Und seit wann duzten sie sich?

O’Connor wies mit der Flasche die Straße hinunter.

»Angela und Donovan sind weg. Mit dem Boot zur Insel.

Aber Scott und Mary meinten, sie würden uns irgendwo erwarten, wo man noch was kriegt. Gibt es hier ein ›Pink Schampain‹ oder so was?«

»Ja«, sagte Wagner. »Aber nicht für Sie.«

O’Connor nickte. »Ich hatte so was in der Art erwartet. Du bist und bleibst eine Spielverderberin, Kika.«

»Bin ich nicht!«, sagte sie gekränkt. »Ich bin vernünftig, das ist alles.«

O’Connor entkorkte die Flasche. »Wenn du eines Tages den Deckel über dir zuziehst, kannst du vernünftig sein, Frau Wagner. Du weißt doch, die größten Fehler sind die, die man nie gemacht hat. Also, was ist?«

»Du willst unbedingt Ärger haben, stimmt’s?«

»Ärger ohne Ende.«

»Hör zu, Liam. Ich schleife dich eigenhändig auf diesen Golfplatz, kapiert? Meinetwegen gehen wir jetzt ins ›Pink Champaign‹, aber wenn ich morgen ein Wort des Jammers höre, bist du geliefert.«