Выбрать главу

»Dafür brauchst du kein Glas.«

Sie lachte und ging ihm voraus durch die Halle zu den Aufzügen. Wie eine Pappel im Wind kam sie sich vor. Eins siebenundachtzig plus sechs Zentimeter Absatz machte annähernd zwei Meter. Hinter sich hörte sie O’Connor nach dem Schlüssel fragen, dann kam er ihr nach.

»Du kannst so nett sein und ein solches Arschloch«, sagte sie im Lift.

»Stimmt«, erwiderte O’Connor, während er in Pirouetten den Flur entlangtänzelte.

»Ich frage mich, ob du jemals richtig einen auf den Deckel bekommen hast«, überlegte sie, als die Zimmertür hinter ihnen zufiel. »Ich meine, von einer Frau, weißt du? Ob du mal richtig bis über beide Ohren verliebt warst und rumgestammelt hast wie ein Pennäler, und sie hat dich ganz tief fallen lassen. Mit Aufklatschen und allem.«

»Ich pflege mich nicht zu verlieben. Von Gipfeln geht es immer nur abwärts.« O’Connor reichte ihr die Flasche. »Gläser sind kleinlich und edukativ, findest du nicht? Sie haben einen Rand, um dir vorzuschreiben, wie viel du trinken darfst. Schäbig.«

Wagner nahm einen Schluck und gab die Flasche an O’Connor weiter.

»So.«

Er sah sie fragend an.

»Was, so?«

»Ich werde jetzt gehen. Ich habe dir versprochen, einen Schluck zu trinken, und das habe ich getan.«

»Ach, Kika.« O’Connor stellte die Flasche ab und ließ sich aufs Bett fallen. Wagner trat ungeachtet ihrer Ankündigung vor den Spiegel an der gegenüberliegenden Wand und betrachtete darin den Physiker und sich selbst. Sie war so nahe und er so klein. Fast, als habe er auf ihrer Schulter Platz genommen.

»Ich werde in ein Taxi steigen«, sagte sie zu sich selbst.

»Das ist eine blöde Idee«, sagte O’Connor aus dem Hintergrund. »Du hattest schon bessere. Warum vögeln wir nicht endlich?«

Sie drehte sich zu ihm um.

»Du weißt, dass ich darauf nicht anspringe.«

Er schwieg.

»Verdammt, was bist du für ein linker Hund. Du hast dir ausgerechnet, dass ich nein sagen und furchtbar sauer sein werde! Das hast du im selben Moment gedacht, als du deine dämliche Frage gestellt hast. Du willst nämlich gar nicht.«

»Ich dachte, es macht dir so weniger Probleme«, sagte er entschuldigend.

»Was?«

»Ich meine, wir klären ein für alle Mal, was zwischen uns läuft und was nicht. Es gibt nur die beiden Möglichkeiten. Jetzt oder nie. Du kannst dich darauf zurückziehen, dass ich mich im Ton vergriffen habe und du gar nicht anders konntest als abzulehnen, das ist doch ungemein praktisch. Wir können unbehelligt von bacchantischen Anwandlungen unseren Job machen.«

»Ich revidiere mich. Du bist nicht nett, du bist einfach nur ein Arschloch.«

»Wie Recht du hast. In Kika veritas.« O’Connor verschränkte die Arme hinter dem Kopf und schlug die Beine übereinander. »Aber was willst du? Du hast darauf gewartet, dass ich mir beide Beine ausreiße, um dich rumzukriegen. Du hast dir das ganze schäbige Repertoire bieten lassen. Och bitte, Kika, komm doch mit ins Hotel, gehen wir noch aufs Zimmer, trinken wir noch einen. Alles, um dann deinen wohl erzogenen kleinen Rückzieher zu machen. Pfui, Liam, hast du mir etwa auf den Arsch geguckt? Siehst du, dann tue ich dir eben den Gefallen und spiele das Schwein. Ist doch bestens. Ich meine, so was musst du dir wirklich nicht bieten lassen.«

Wagner starrte ihn an. Sie versuchte, wütend zu sein, aber es war mehr die Fassungslosigkeit, die sie auf die Stelle bannte.

Fassungslosigkeit darüber, dass er Recht hatte. Dummerweise.

Und jetzt schmiss er sie raus.

»Drehbuch! Requisite!«, rief O’Connor. »Noch etwas Zornesröte für Frau Wagner!«

»Du Idiot!«, fuhr sie ihn an. »Du meinst also, bloß weil ich was mit dir trinke, muss ich auch mit dir in die Kiste?«

»Nein.« O’Connor schüttelte wild den Kopf. »Würde ich nie erwarten. Nicht mal, wenn du mit mir nach Shannonbridge fliegst.«

»Warum dann?«

Er setzte sich auf und sah sie an.

»Weil du es selbst am meisten willst und nicht tust. Darum.«

»Ach nee. Was macht dich da so sicher?«

»Du. Den ganzen Tag schon.« Er grinste. »Worauf sollen wir warten, Kika? Meinst du, das bringt irgendwas außer Kopfweh? Vielleicht will ich ja nicht. Also, sei sauer und fahr nach Hause. Noch einfacher kann ich‘s dir nicht machen. Oder lass uns endlich diese verdammte Flasche leer trinken.«

Wagner öffnete den Mund, um ihn mit ein paar wohlgesetzten Worten runterzuputzen.

Stattdessen trat sie neben ihn und verharrte.

Mistkerl, dachte sie. Wenn wir schon spielen, dann nach meinen Regeln.

Langsam beugte sie sich zu O’Connor herab und begann wie nebenbei, seine Krawatte aufzuknoten und weitere Knöpfe seines Hemdes zu öffnen. Ihre Gesichter waren nur Zentimeter voneinander entfernt. Er hob den Blick zu ihr, machte aber keine Anstalten, sie zu küssen.

»Hattest du mal Probleme wegen der IRA?«, fragte sie unvermittelt.

O’Connor riss die Augen auf.

»Wie kommst du denn auf so was?«

»Man hört Verschiedenes.« Sie richtete sich wieder auf, warf seine Krawatte auf den Boden und schlenderte hinüber zu der kleinen Sitzgruppe neben dem Sekretär am Fenster. Dort ließ sie sich seitlich in einen der Sessel fallen und streckte die Beine in die Luft. Lange, endlos lange Beine, dachte sie. Warum will der Kerl jetzt nicht mit mir ins Bett?

Ihre Pumps polterten zu Boden.

»Ich finde, es passt zu dir, Liam«, sagte sie. »Du bist dermaßen bemüht, den Flegel raushängen zu lassen, dass ich mir lebhaft vorstellen kann, wie du an der Uni schon aus Prinzip gegen alles Mögliche gestänkert hast.«

Er stützte sich auf einen Ellbogen und hob die linke Braue. Ihren Beinen schenkte er keinen Blick.

»Ich finde immer noch, dass die Engländer Nordirland zurückgeben sollten«, sagte er. »Aber inzwischen weiß ich, dass die Engländer gar nicht das Problem sind. Die Iren sind das Problem. Die IRA stellt keine Lösung dar. Früher sah ich das etwas anders.«

»Weswegen haben sie Paddy rausgeworfen?«

»Genau deswegen.«

»Und dich?«

»Beinahe deswegen.«

Wagner reckte die Arme, legte den Kopf in den Nacken und sah an die Decke. Eigentlich fühlte sie sich ganz behaglich.

»Du bist ein Blender, Liam. Du bist der lauteste Kläffer, der mir je untergekommen ist. Wahrscheinlich haben sie dich darum nicht von der Uni geworfen, weil du keinen Mumm hattest, ihnen einen echten Grund zu liefern. Du hast ein bisschen provoziert und ein vorlautes Maul riskiert, und als es ernst wurde, bist du auf ihre Linie zurückgeschwenkt. Stimmt’s, Liam? Du hast einfach nur eine große Klappe, aber wenn es um die Konsequenzen geht, dann kneifst du.«

O’Connor erhob sich und kam über den weichen Teppichboden zu ihr herüber. Seine Schritte waren lautlos. Sie drehte den Kopf in seine Richtung und sah seine Augen leuchten. Hitzewellen schienen von ihm auszugehen, oder war das nur der Alkohol?

Er ging in die Hocke und sah sie an. Seine Hände glitten durch ihr Haar. Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel.

»Ich bin jedenfalls froh, dass du so überaus anständig und vernünftig bist«, sagte er sanft. »Da können wir wenigstens Freunde bleiben.«

»Ja, das ist prima.«

»Deine Eltern werden sich schon große Sorgen machen.«

»Bestimmt!«

»Soll ich dich nach unten bringen?«

»Sei so gut.«

Eine Weile sagte niemand etwas. Sie sahen sich einfach nur an.

»Ist noch was in der Flasche?«, flüsterte sie.

»Noch ganz viel.«

»Was meinst du, wie lange es reicht?«

»Ich schätze, bis zum Frühstück.«

Sie lachte leise. Dann griff sie in seinen silbernen Schopf und zog ihn zu sich heran.