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Als rechte Hand von Laura Firidolfi war er perfekt.

Aber es gab noch jemandem, dem er wertvolle Dienste leistete.

Sie fragte sich, wann es wieder so weit sein würde. Ein Gefühl sagte ihr, der Moment stehe unmittelbar bevor.

Zugleich mit dem Direttore erhoben sie sich. Ardenti geleitete sie bis zum Fahrstuhl und sagte auf dem Weg noch ein paar lobende Worte über die erfreuliche Entwicklung der Internet-Branche, bevor er sich verabschiedete. Firidolfi wusste, dass sein Tag in unzählige solcher Treffen zerfiel. Das wiederum schätzte sie an Menschen wie Ardenti – nie gaben sie sich und ihren Gesprächspartnern den Anschein terminlicher Kurzatmigkeit. Aufmerksamkeit war unteilbar. Wer diese Regel nicht beherrschte, brachte es nicht weit.

Niemand wusste das so gut wie Laura Firidolfi.

Sie traten hinaus ins mittelalterliche Alba. Seit Mitte Oktober waren die Straßen gesättigt vom Duft der weißen Trüffeln. Die immer rarer werdende Knolle wuchs an geheimen Orten, und die Sucher hatten sich zu Meistern der Camouflage entwickelt, wenn sie nachts mit ihren Hunden loszogen. Wer auf einen solchen Schatz gestoßen war, setzte im Folgenden alles daran, ihn mit niemandem teilen zu müssen – kein Wunder bei einem Kilopreis von bis zu sechs Millionen Lire. Die spätherbstlichen Nebel in den piemontesischen Wäldern hatten schon manchen Schuss verschluckt, gedacht als Warnung für den Suchenden, der dem Wissenden zu folgen beabsichtigte. Einige waren nie zurückgekehrt. Ihr Blut hatte sich mit dem Erdreich vermengt, und manchmal hieß es, die Körper der Getöteten seien vom Humus absorbiert worden, um der kriechenden, wimmelnden Natur Nahrung zu geben, inmitten derer das neue verborgene Gold der Feinschmecker heranwuchs.

Es gab viele Gründe, einander zu töten, wenn man einmal bereit war, es zu tun.

Ricardo ließ sich in den Beifahrersitz des roten Lamborghini fallen und zog den Gurt zu sich herüber. Firidolfi legte die Hand auf den Türgriff, stieg aber nicht ein.

»Soll ich fahren?«, rief Ricardo aus dem Innern.

Sie starrte über die Straße hinweg auf die Front der kleinen Geschäfte, die überwiegend Delikatessen und Weine verkauften. Sie versuchte sich zu erinnern, wann sie das erste Mal Trüffel gegessen hatte und wie oft seitdem. Zu oft, dachte sie. Wenn man die Besonderheiten nicht mehr zählen kann, hören sie auf, welche zu sein.

»Laura?«

Die Erwähnung des Namens schreckte sie aus ihren Gedanken. Rasch stieg sie ein und startete den Wagen. Während sie das massige Gefährt durch die engen Straßen zum Ring steuerte, der sich um Alba zog, war Ricardo schon wieder mit seinen Bilanzen beschäftigt.

»Sie sollten sich von dem Wagen trennen«, sagte er wie beiläufig.

Firidolfi blickte nachdenklich zu ihm hinüber. Ricardo war ein hübscher Junge. Er kam aus Mailand, sah mit dem gescheitelten blonden Haar und der Hornbrille aber eher aus wie der Juniorpartner eines Londoner Notars. Sie wusste, dass sie ihren Wohlstand seinem eisernen Regiment über ihre Konten verdankte. Ricardo unterzog das ganze Leben einer permanenten Kosten/Nutzenanalyse. Aus seiner Perspektive hatte sie den Zeitpunkt, den Lamborghini abzugeben, bereits überschritten.

»Ich werd’s mir überlegen«, sagte sie.

»Es gibt tausend andere. Andere Lamborghinis, meine ich.«

»Schon. Aber das war mein erster.«

»Es ist immer noch Ihr erster!« Ricardo grinste sie an. »Sie bezahlen meinen Lohn, gnädige Frau, da steht es mir natürlich nicht zu, Sie der Sentimentalität zu bezichtigen. Erlauben Sie, dass ich es trotzdem tue. Das Ding ist durch die Abschreibung. Mit jedem Meter, den Sie die Karre weiter durch den Piemont schieben, verlieren Sie bares Geld.«

»Gut. Ich denke darüber nach.«

»Ja, natürlich.« Ricardo lehnte sich zurück und sagte eine Weile nichts. Sie folgten der Landstraße durch das Flachland in Richtung Cuneo und bogen nach wenigen Minuten in die sanfte Hügellandschaft der Langhe ein. Das Herz des Barolo präsentierte sich in der späten Nachmittagssonne pastellfarben und unwirklich. In den Weinstöcken lag der Dunst.

»Brauchen wir diese Krediterweiterung wirklich?«, fragte Firidolfi.

Ricardo schüttelte den Kopf.

»Nicht wirklich. Aber sie verschafft uns zusätzliche Reputation und Reserven. Außerdem könnten wir die alte Fattoria hinter Mon- forte d’Alba kaufen und zu einem neuen Werk umgestalten. Auch wenn Microsoft abspringt. Wir hätten genug zu tun.«

»Wir brauchen vor allem Platz«, sagte Firidolfi und folgte einem Wegweiser nach La Morra. »Im Hauptgebäude hängen sie einander fast auf dem Schoß.«

»Ja. Komisch, nicht? Sie arbeiten trotzdem über die Maßen wirtschaftlich.«

»Ich frage mich, wie lange noch. Eine Legebatterie arbeitet auch über die Maßen wirtschaftlich, solange die Leute Eier essen wollen, die nach Fisch stinken und vor lauter Salmonellen in Eigenbewegung verfallen.«

»Prinzipiell richtig. Aber was wollen Sie? Programmierer sind die reinsten Ferkel. Geben Sie ihnen einen größeren Raum, und sie machen mehr Dreck.«

Firidolfi lachte.

»Nicht alles ist so sauber wie Geld, Silvio.«

»Computer sind sauberer als Geld«, bemerkte Ricardo geringschätzig. »Sollten Sie anderer Meinung sein? Gut, kaufen wir die Fattoria.«

»Ist der Preis okay?«

»Zu hoch. Ich sorge dafür, dass sie runtergehen.«

»Gut.«

»Ansonsten können wir uns wirklich nicht beklagen. Das Thema Forschung und Entwicklung werden wir dieses Jahr mit einem satten Plus abschließen, ich glaube, das hat dem alten Sack mit seinen sepiagefärbten Haaren am meisten imponiert. – Ach, nebenbei, wir kommen noch mal besser weg, wenn wir den Stock verringern – soll heißen, wir schlagen einen Teil der Hardware los, bevor das Zeug wertlos wird. Pumpen Sie ein paar Ressourcen in die neuen i-Macs, wir bekommen sie zum Vorzugspreis.«

»Das übernehmen Sie. Was ist mit den Turinern?«

»Alpha? Sieht gut aus. Sie möchten uns kommende Woche treffen. Das Programm für die Fahrsimulation hat ihnen sehr gefallen.«

Neuronet spaltete sich auf in Neuroweb und Neuroware. Während Neuroweb vornehmlich eigene und lizensierte InternetLösungen vertrieb, konzipierte Neuroware Programme für unterschiedlichste Einsatzzwecke. Der Leiter der Programmierung war ein russischer Exilant, der seit einigen Jahren für Neuronet arbeitete.

Ricardo blätterte weiter in seinen Unterlagen. Firidolfi steuerte den Wagen gemächlich über die sich hochschraubende Straße auf das Städtchen zu, dessen Silhouette zackig und schartig einer Hügelkuppe unmittelbar über ihnen entsprang. Jenseits der Mauer, die La Morra zum Osten hin umgab, stürzte der Fels steil ab in die sanft geschwungene Tiefebene der Langhe.

»Ardenti frisst uns aus der Hand«, sagte Firidolfi. »Gute Arbeit, Silvio. Nehmen Sie sich für den Rest des Tages frei. Soll ich Sie irgendwohin fahren?«

Ricardo zögerte.

»Ich kann nicht freinehmen«, sagte er langsam und fügte hinzu: »Sie übrigens auch nicht.«

Sie hatte es gewusst.

»Warum nicht?«, fragte sie trotzdem.

»Es gibt noch eine Anfrage.«

»An wen? Neuroweb oder Neuroware?«

Ricardo schüttelte den Kopf.

»An Jana.«

JUNI. KOELN. HYATT

Was gegen 9.30 Uhr mitteleuropäischer Zeit auf den Bildschirmen der Durchleuchtungskontrolle erschien, die das BKA und der Secret Service im Zulieferereingang des Hyatt aufgebaut hatten, waren keine verdächtig aussehenden Gepäckstücke, ominösen Aktenkoffer, Jacken oder Mäntel, ebenso wenig Golftaschen, Kameras, Laptops und mit Kokain gefüllte Teddybären, sondern das Resultat der Vermengung von Wasser und Mehl. Den Mitarbeitern der Security gelang dank der Technik des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts ein faszinierender Einblick ins Innere von rund dreihundert Frühstücksbrötchen, knusprig gebacken, appetitlichen Duft und letzte Reste von Wärme verströmend.