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Bürger es nicht so gewollt hätte. So viel zu den bösen Medien.«

»Clinton hat eben ein tiefer gehendes Verhältnis zu Zigarren als Castro«, bemerkte Wagner. »Vielleicht liegt’s daran.«

»Wojtyla ist auch schon lange nicht mehr Ski gelaufen«, schob Kuhn nach. »Und vögeln tut er schon mal gar nicht.«

»Na, na. Spricht so der brave Journalist?«

»Bullshit!« Kuhn spuckte das Wort zusammen mit Krümeln seines Brötchens aus und fuchtelte mit den Händen. »Es ist die Wahrheit. Bei Schröder haben sie sich doch auch geraume Zeit mehr für sein Liebesleben interessiert als für eventuelle politische Pläne, und trotzdem ist er Kanzler geworden. Nein, genau darum ist er Kanzler geworden, der eitle Hund! Alles eine Frage der richtigen Inszenierung.«

»Was? Weil er’s mit Doris Köpf getrieben hat?«

»Weil Politik über Personen funktioniert. Das ist mehr als eine Marketingstrategie. Das ist System. Die Medien haben sich darauf verlegt, Menschen und Charaktere zu verkaufen, das kommt besser an als die Analyse komplexer Sachverhalte.«

»Das ist übrigens nicht ausschließlich amerikanisch«, fügte Silberman hinzu.

»Das ist Amerikanisierung«, trompetete Kuhn. »Überall, wo wir eine Infrastruktur der Massenmedien haben, findet das statt. Bei Blair war das auch nicht anders, der ist wegen seines netten Grinsens an die Macht gekommen, ‘ne leeve Jung, würde man hier in Köln wohl sagen. Schröder hat sich von seiner Ollen getrennt, was die Hälfte aller Männer in seinem Alter gern täte, da hat er schon mal gut dagestanden gegen den Fettsack aus Oggersheim mit seinem Saumagen und seiner Hannelore. Dann das dialektische Gerangel mit Lafontaine. Alles Show. Glaubt wirklich noch einer, Person und Thema ließen sich voneinander trennen?«

»Was aber sagt uns das, o Sokrates?«

Kuhn hob erstaunt die Brauen.

»Das wisst ihr nicht? Daraus folgt, dass die Inszenierung den Inhalt killt. Wenn in einer Demokratie die schönsten blauen Augen gewählt werden, kann man sie auch gleich abschaffen. Warum ist der Kaffee alle, Kika?«

Wagner gähnte und gab der Bedienung ein Zeichen.

»Wäre es etwas Neues, zu erfahren«, warf O’Connor ein, »dass Demokratie schon immer der Triumph der Dummen war?«

»Kommen Sie, Liam, wenn eine Nation soziale Ungleichheit, Diskriminierung von Minderheiten und so weiter untern Teppich kehrt, aber die Sexualmoral ihrer Führer als öffentliche Angelegenheit betrachtet, ist das schlimmer als Dummheit. Eine solche Gesellschaft fällt zurück in Primitivität und Unterdrückung.«

»Franz, Sie sind unbezahlbar«, sagte O’Connor. »Man sollte Ihnen also auch nichts geben für den Klang der hehren Worte. Jetzt habt ihr euren Gipfel, und alle wollen sehen, wie Clinton und Jelzin von links nach rechts gehen. Personenkult ist so alt wie die Welt. Gestern war ich das Äffchen. Warum sprechen wir nicht über nette Dinge?«

Wagner sah auf die Uhr.

»Wir sprechen über gar nichts mehr, weil wir jetzt rausfahren werden zum Golfspielen.«

»Oh«, sagte Silberman. »Wie schön. Sie spielen Golf, Dr. O’Connor?«

»Ja, es ist so angenehm.« O’Connor faltete artig seine Serviette zusammen und erhob sich. »Man kann mit wichtigen Leuten spazieren gehen und komische Schuhe tragen. Es war sehr nett, Sie kennen zu lernen, Mr. Silberman. Sehen wir uns noch?«

»Wahrscheinlich nicht.«

»Dann grüßen Sie Ihren Präsidenten. Sagen Sie ihm, er soll es halten wie Bart Simpson: Ich war’s nicht, ich hab nix gemacht! Der ist damit zum beliebtesten Amerikaner geworden und verdankt seine Berühmtheit auch nur einem Pinsel.« »Das war gemein von dir«, sagte O’Connor, als Wagner ihn in ihrem Golf nach Pulheim fuhr.

»Was?«

»Das, was du zu Silberman gesagt hast. Ich würde mittendrin aufstehen und den Raum verlassen. Die Wahrheit ist, ich würde nie einen Raum verlassen, in dem du dich gerade befindest.«

»Ja, weil du mir dann erklären müsstest, warum.« Wagner lachte. »Komm, du hast es verdient, das musst du zugeben.«

»Was ich immer alles zugeben muss.« O’Connor reckte sich und legte den Kopf in den Nacken. »Mit wem spiele ich denn Golf?«

»Das weißt du doch. Mit dem Vorstand der Stadtsparkasse.«

»Dem von gestern Abend? Ach richtig.« Er seufzte. »Das heißt, sie werden mich herumreichen. Bin ich ordentlich gekleidet? Mein Gott, hoffentlich habe ich genügend geistreiche Bemerkungen eingepackt.«

Wagner sah zu ihm hinüber und grinste spöttisch. »Du hast deinen Oscar Wilde ganz gut im Griff.«

»Oh, ich bin nicht halb so geistvoll wie Wilde. Das ist ein Segen, weil es mich vor Inhaftierung und Kerker bewahrt. Kommt Kuhn auch zu diesem Mittagessen?«

»Ja.«

»Wie furchtbar. Er ist langweilig. Er weiß so viel, dass es keinen Menschen interessiert. Halt mal da.«

»Was?« Wagner suchte verwirrt das Band der Straße ab. Nichts Signifikantes war zu sehen. »Wo denn? Ich bin froh, dass ich mit dem ganzen Restalkohol überhaupt fahren kann.«

»Da irgendwo auf dem Seitenstreifen«, sagte O’Connor. Sie waren mittlerweile auf der Landstraße außerhalb des Stadtgebiets angelangt. Ringsum lagen Felder, in der Ferne sah man die weißen Wolkenberge eines Wasserkraftwerks. Wagner suchte nach einem geeigneten Platz, entdeckte einen Feldweg und parkte den Wagen zwischen zwei Ackerflächen.

»Und nun?«

O’Connor beugte sich zu ihr hinüber, zog ihren Kopf sanft zu sich heran und küsste sie. Wagner ließ es geschehen. Sie hätte noch mehr geschehen lassen, wenn sie nicht zu dem verdammten Golfplatz hätten fahren müssen und ständig Autos vorbeigerauscht wären. Außerdem war der Golf zu klein und sie selbst zu lang.

»So«, sagte O’Connor.

»So?«

»Ich dachte nur, das können wir jetzt bis heute Nachmittag nicht mehr tun.« O’Connor lächelte vergnügt. »Und wir sollten doch nicht aus der Übung kommen, oder?«

»Dr. O’Connor, Ihre Vorstellungen von Lesungsreisen sprengen jeden Rahmen. Ich weiß nicht, ob ich das Protokoll so einfach ändern kann.«

»Dafür haben Sie ja mich, gnädige Frau. Außerdem finde ich, Sie sollten den Gepflogenheiten ausländischer Gäste mehr Rechnung zollen. Ich versichere Sie der nämlichen Flexibilität, wenn Sie nach Dublin kommen.«

»Ich lese aber nicht.«

»Deswegen sollen Sie ja auch nicht kommen. Kriege ich noch einen Kuss? Dann bin ich bereit für alle Vorstände dieser Welt.«

Während O’Connor bei strahlendem Sonnenschein Golf spielte und Kuhn mit Silberman in die Stadt gegangen war, führ Wagner zu ihren Eltern und bereitete sie darauf vor, ihrem alten Bett auch in der kommenden Nacht möglicherweise fern zu bleiben. Ihr Vater zuckte die Achseln, ihre Mutter kochte ihr einen Kaffee und wollte unter kritischen Blicken wissen, ob sie genug esse bei der Rumtreiberei. Wagner versprach alles Mögliche. Sie legte sich zwei Stunden hin und zog sich um. Immer noch hatte sie das Gefühl, mit einem chloroformgetränkten Lappen vor der Nase herumzulaufen. Sie litt schrecklichen Durst und leerte zwei Flaschen Wasser und zwei weitere mit Orangensaft. Danach bekam sie Sodbrennen und beschloss, dem Exzess der vergangenen Nacht so bald keine weiteren mehr folgen zu lassen.