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Während sie in ein hellgrünes Kostüm schlüpfte, dachte sie an O’Connor und fühlte ihr Herz klopfen. Es war aufregend mit ihm. Seltsamerweise hatte sie keine Angst mehr davor, sich in ihn zu verlieben. Im Moment, da sie sich das erste Mal geküsst hatten, war er von seinem Sockel herabgestiegen. Er sah immer noch unverschämt gut aus und übte eine kaum zu erklärende Faszination auf Wagner aus, aber der gestürzte Engel hatte sich in einen Menschen aus Fleisch und Blut verwandelt, der gern trank und dumme bis kluge Bemerkungen machte. Man konnte ihn anfassen.

Man durfte es sogar.

Kurz erwog sie, die aufkeimende Beziehung zu beenden, bevor sie miteinander im Bett landeten und sie doch noch an Verliebtheit erkrankte. Was würde hinterher kommen? O’Connor würde nach Dublin zurückkehren und sie nach Hamburg. Allzu verlockende Perspektiven zeichneten sich am Horizont dieses siebenten Himmels nicht gerade ab.

Es wäre idiotisch, sich mit ihm einzulassen.

Andererseits wäre es noch idiotischer, es nicht zu tun.

Sie korrigierte ihr Make-up, schlüpfte in ein paar schwarze Hochhackige und band die Haare zu einem langen, glatten Pferdeschwanz. Auf jeden Fall sah sie jetzt besser aus, als sie sich fühlte. Allmählich wich das Gefühl, betrunken zu sein. Als sie zum zweiten Mal an diesem Tag hinaus zum Lärchenhof fuhr, war die Straße wieder eine Straße und keine Schlange mehr, die sich unvermittelt wand und an Berechenbarkeit zu wünschen übrig ließ. Sie parkte den Wagen vor dem Restaurant, ging hinein und hoffte, nicht unversehens in die nächste politische Fachsimpelei zu stolpern.

Glücklicherweise drehte es sich um Golf und Kino. Kuhn erblickte Kikas erneuertes Outfit und sah plötzlich so aus, als beginne sein Verstand mit stundenlanger Verspätung, zwei und zwei zusammenzuzählen. Als Folge wirkte er überaus nachdenklich und vergaß eine geschlagene Stunde lang, mit vollem Mund zu sprechen.

O’Connor lobte das ausgezeichnete Menü. Er trank Rotwein und erging sich mit dem Vorstand in der Aufzählung berühmter Golfer und ihrer Usancen.

Alles war über die Maßen zufrieden stellend.

»Das hat ja geschmeckt«, sagte Kuhn artig, nachdem sie dem Vorstand gedankt hatten und zu ihren Autos schlenderten. »Und was machen wir jetzt, Kinder?«

»Kika und ich fahren zum Flughafen«, belehrte ihn O’Connor in einem Tonfall, der eine Beteiligung Kuhns an dem Unterfangen kategorisch ausschloss.

Kuhn blieb stehen.

»So?«, sagte er lahm. »Wo soll’s denn hingehen?«

»Shannonbridge«, sagte Wagner.

»Ach. Nun, dann werde ich wohl… Liam, entschuldigen Sie, wenn ich Ihnen unsere geschätzte Kika einen Augenblick entführe.«

Er umfasste Wagners Oberarm und zog sie ein Stück beiseite.

»Was war denn nun gestern Abend?«, zischelte er.

»Was soll gewesen sein?«, flüsterte sie zurück. »Er war in der Friesenstraße. Das ganze Programm. Ich konnte ihn nur mit Mühe davon abbringen, das Land zu verlassen.«

»Du meine Güte!«, stöhnte Kuhn. »Was haben wir ihm denn bloß getan? Ich weiß ja, dass diese Schauspielerin ihn .«

»Nichts! Wir haben ihm gar nichts getan. Er wollte mit einem Haufen betrunkener Iren nach Shannonbridge abhauen in irgendeinen Pub. Ich hätte ihn nicht mit zehn Pferden ins Hotel zurückbekommen, also musste ich wohl oder übel mit ihm durch die Kneipen ziehen.«

Kuhn blinzelte sie zweifelnd an.

»Scheint Sie nicht viel Überwindung gekostet zu haben, wenn ich es mal so ausdrücken darf.«

»Wie Sie es ausdrücken, ist mir verdammt piepegal.« Wagner schaute zu O’Connor herüber, der an ihrem Golf lehnte und freundlich herüberwinkte. »Sie müssen mir schon vertrauen, Franz. Ich bin mitgeschickt worden, damit er keine Zicken macht, und die macht er auch nicht.«

»Aber…«

»Kein Aber. Er war beim Golf, er war beim Mittagessen, und heute Abend wird er lesen. In Ordnung?«

Kuhn hob eine Braue und sah sie von unten herauf an.

»Na gut. Sie müssen wissen, was Sie tun.«

»Weiß ich auch.«

»Sie wissen gar nichts. Aber meinetwegen. Was will er denn überhaupt am Flughafen?«

»Paddy Clohessy suchen.«

»Verstehe. Das ist der ominöse Jemand, dessen Namen er gestern durchs Terminal gebrüllt hat, richtig?«

»Genau.«

Kuhn nickte.

»Um sechs in der Buchhandlung«, sagte er. »Und keine Minute später. Bitte, Kika, ich flehe Sie an. Ich liege auf den Knien. Machen Sie mich nicht unglücklich. Und wenn Sie unbedingt mit ihm… äh… also, Sie wissen schon, ich meine nur .«

Wagner beugte sich zu ihm herab.

»Ja?«, sagte sie gedehnt.

Kuhn verstummte, kratzte sich am Kinn und ging achselzuckend zu seinem Wagen.

»Wo willst du deinen Paddy überhaupt finden?«, fragte Wagner, nachdem sie die Flughafen-Ausfahrt genommen hatten und den Zubringer entlangfuhren. Etwa einen Kilometer vor ihnen tauchte das charakteristische weiße Schichtwerk des alten Terminals mit dem Tower und der Sony-Säule davor auf, die sich seit Anbeginn ihrer Aufstellung nicht recht entscheiden konnte, ob sie Werbung oder Kunst sein wollte.

O’Connor kniff die Augen zusammen.

»Was steht da?«, fragte er und deutete auf die Schilder, die die Straße überspannten.

»P2 und P3. Ankunft, Abflug.«

»Nein. Ich meine das Schild daneben, wo es rechts abgeht.«

»Flughafenverwaltung.«

»Da fahren wir hin.«

»Kann es sein, dass du eine Brille brauchst?«

»Kika«, belehrte sie O’Connor, »du darfst alles fragen, aber nicht alles wissen. Sobald du alles über mich weißt, wirst du nichts mehr von mir wissen wollen. Schau mal, sieht das nicht aus wie ein öffentlicher Parkplatz?«

Sie waren vor einem mehrstöckigen, quadratischen Bauwerk angelangt. Eine Auffahrt mündete in einen runden Vorplatz mit begrüntem Mittelpunkt und strahlenförmig angeordneten Parknischen.

»Müsste die Verwaltung sein«, sagte Wagner, während sie den Wagen die Auffahrt hinaufrollen ließ. Zügig bugsierte sie den Golf in die letzte freie Nische. Sie stiegen aus. Auf dem Weg zum Eingangsbereich des Verwaltungsgebäudes trug O’Connor eine merkwürdig siegesgewisse Miene zur Schau, als sei er weniger gekommen, um einen alten Studienfreund wiederzusehen, als vielmehr, ihn diverser Schandtaten zu überführen und coram publico zu verhaften.

»Und wen willst du jetzt fragen?«

O’Connor zuckte die Achseln.

»Sag du es mir. Du bist meine Presseagentin. Solltest du auf die Marotten deiner Schutzbefohlenen nicht vorbereitet sein?«

»Auf dich kann keiner vorbereitet sein.«

»Seltsam. Das hat meine Mutter auch gesagt, als man mich ihr in den Arm legte.«

»Im Ernst? Was hattest du angestellt?«

»Ich? Nichts. Ich habe mich einfach nur zwölf Stunden lang bitten lassen. Es war gemütlich da drin, weißt du. Dunkelrot und mollig wie in einem Hafenpuff. Als sie mich zwingen wollten rauszukommen, muss ich wild um mich getreten haben!«

»Du hast dich danebenbenommen. Wie immer.«

»Ich habe meine Zeit genutzt. Aus der Rolle fallen darfst du als Kind und wenn du alt bist. Ich will ja nichts Despektierliches über mein Elternhaus sagen, aber es dürfte der einzige Moment ihres Lebens gewesen sein, dass meine Mutter je wirklich von etwas erschüttert war und darüber in vernehmliches Wehklagen ausbrach. Ähnliche Gefühlswallungen habe ich nie wieder bei ihr erlebt. Aber wie ich schon sagte, du darfst nicht alles wissen – für den Augenblick jedenfalls!«