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»Möglich.« O’Connor hielt das Gesicht in die Sonne. »Ich habe eine andere Vermutung. Sollte ich Recht behalten, sattle ich um auf Kriminalromane.«

Sie warteten etwa eine Viertelstunde an der Bar der Cafeteria und tranken etwas, das sich Kakaoheißgetränk nannte und genauso schmeckte.

»Da«, sagte O’Connor plötzlich leise.

Wagner folgte seinem Blick. Durch die Flucht des Terminals kamen zwei Männer. Beide trugen Overalls mit der Aufschrift CGN und Fotoausweise an der Brust. Sie unterhielten sich gestikulierend.

»Ist er dabei?«, fragte Wagner.

»Der Linke. Den anderen kenne ich nicht. Jedenfalls ist es nicht der, den ich gestern Morgen in Clohessys Begleitung gesehen habe.«

»Es wird O’Dea sein. Hey, Liam, du hattest Recht. Ich nehme alles zurück, was ich über die Folgen von Single Malt gesagt haben sollte.«

O’Connor zog eine skeptische Miene.

Beide Männer hatten sich unterdessen in ihre Richtung begeben. Nun traten sie zu ihnen an die Theke. Der Mann, der O’Connor zufolge Paddy Clohessy hieß, hatte ein ernstes und etwas unglückliches Gesicht, eine spitze Nase und dunkle, tief liegende Augen. Sein Mund war kaum mehr als ein Strich zwischen eingefallenen Wangentälern. Er sah älter aus als O’Connor. Sein dunkles Haar war ungekämmt und gab seiner gesamten Erscheinung etwas Verwirrtes. Er starrte den Physiker an und schwieg.

»Sind Sie Dr. Kommer?«, fragte sein Begleiter.

Die wenigen Worte genügten, ihn als Deutschen auszuweisen. Von irischem Akzent keine Spur.

»O’Connor«, erwiderte der Physiker, ohne den Blick von Paddy zu nehmen – beziehungsweise von dem Mann, den er als Paddy kannte, denn zu Wagners Überraschung sagte der andere Techniker jetzt: »Sie wollten Herrn O’Dea sprechen, richtig?«

»Richtig.«

»Das ist Ryan O’Dea.«

O’Connors Gesicht blieb ausdruckslos. Ebenso das seines Gegenübers. Sie maßen einander, als vollziehe sich ihr Dialog auf rein geistiger Ebene, ohne dass es eines einzigen Wortes bedurfte.

»Tja.« Der andere Techniker trat unentschlossen von einem Bein auf das andere. »Ich will dann nicht weiter stören. War nur gerade auf dem Weg und dachte, ich bringe Ryan gleich mit. Kann ich sonst noch irgendetwas für Sie tun, Dr.… äh…?«

»Sie stören keineswegs«, sagte O’Connor, ohne den Schmallippi- gen aus den Augen zu lassen. »Entschuldigen Sie, Mr. O’Dea, dass wir Ihre Zeit in Anspruch nehmen. Es war sehr freundlich von Ihnen, so schnell herzukommen. Wir sind uns noch nicht begegnet, oder?«

Er streckte ihm die Rechte hin. O’Dea – oder der Mann, der sich O’Dea nannte – ergriff sie und ließ sie augenblicklich wieder los, als habe er in ein Spinnennetz gegriffen.

»Nein«, sagte er schroff.

»Hat man Ihnen gesagt, weshalb wir Sie sprechen wollten?«

»Nein.«

»Nun, dann will ich es erklären. Ich glaubte, gestern Morgen jemanden hier gesehen zu haben, mit dem ich sehr angenehme Studien über die Auswirkung nicht wahrgenommener Vorlesungen auf den persönlichen Werdegang betrieben habe. Er heißt Patrick Clohessy. Wir nannten ihn Paddy. Der Name ist Ihnen nicht zufällig geläufig?«

»Nie gehört«, sagte der Mann. So, wie er das R rollte, war er eindeutig kein Deutscher.

»Ich dachte, Sie haben vielleicht einen irischen Kollegen.«

»Nein.«

»Und Sie?«, wandte sich O’Connor an den zweiten Techniker. »Kennen Sie einen Paddy Clohessy?«

»Ach, man kann ja nicht jeden kennen.« Der Mann sah sich um und wies mit einer Armbewegung den Gang hinunter. »Jetzt, seit sie hier bauen, kommen täglich welche dazu. Wer weiß schon, wie die alle heißen.«

»Jemanden, der Patrick heißt? Mit Vornamen, meine ich.«

»Nein. Patrick? Nein!«

O’Connor fixierte wieder den schweigsamen Mann mit dem wirren Haar.

»Sie vielleicht?«

Der andere schüttelte stumm den Kopf.

O’Connor seufzte.

»Wie schade. Ich hätte ihm zu gern erzählt, was aus dem weißhäutigen Mädchen mit der Gitarre geworden ist, die im Hartigan’s immer A Stor Mo Chroi sang. Er hat sich nach ihr verzehrt. Wir mussten seine Entwicklung zum Alkoholiker beschleunigen, um das größere Übel im kleineren zu ertränken. Sie sind wirklich sicher, einen solchen Mann nicht zu kennen?«

O’Deas Augen blitzten auf.

»Ich sagte schon…«

»Natürlich.« O’Connor lächelte verbindlich. »Entschuldigen Sie, wir möchten Sie nicht länger von der Arbeit abhalten. Hier ist meine Karte. Sollte Ihnen noch etwas Hilfreiches zu dem Thema einfallen, würde ich mich freuen, von Ihnen zu hören.«

O’Dea nahm die Karte und ließ sie in die Brusttasche seines Overalls gleiten.

»Irland ist groß«, sagte er.

»Nicht groß genug, fürchte ich.«

O’Dea schwieg. Dann drehte er sich um und ging davon. Der andere Techniker zuckte die Achseln.

»Er ist ein mürrischer Mensch«, sagte er. »Meint’s aber nicht so.«

»Ich weiß«, sagte O’Connor immer noch lächelnd. »Haben Sie vielen Dank. Sie sind alle sehr aufgeregt hier, nicht wahr? Morgen kommt der Präsident der Vereinigten Staaten.«

»Hier kommen sie seit Anfang Juni wie die Tauben reingeschwirrt. Blair, Chirac, Guterres, Simitis, D’Alema, Ahtisaari. Nur große Tiere. Man gewöhnt sich dran. Nichts für ungut. Ich werd dann mal.«

Er nickte ihnen zu und ging davon. Wagner sah ihm nach und wartete, bis er außer Hörweite war.

»Was war das denn für eine Nummer?«, fragte sie.

»Das?« O’Connor sah sie an, als habe sie ihn gefragt, wo hier die Züge fuhren. »Das war Paddy Clohessy.«

»Also heißt Paddy Clohessy jetzt Ryan O’Dea«, stellte Wagner fest, während sie zurückfuhren. »Das kann er noch nicht mal mit Heiraten bewerkstelligt haben.«

»Kaum.«

»Und was willst du jetzt tun? Abgesehen davon, dass du um sechs eine Lesung hast, die du wahrnehmen wirst – um etwaigen Schurkereien deinerseits zuvorzukommen.«

O’Connor schaute auf seine Armbanduhr. Sie sah ebenso schlicht wie teuer aus.

»Viertel nach vier«, konstatierte er.

»Wir haben der Buchhandlung versprochen, dass du eine halbe Stunde vorher kommst. Vergiss das nicht.«

»Warum denn das?«

»Um einen Haufen Bücher zu signieren.«

»Ich habe gestern schon einen Haufen Bücher signiert.«

»Die sind verkauft.«

»Erbarmen, Kika! Meine Unterschrift ist zu einem Tintenwurm degeneriert. Ohne irgendwelche signifikanten Merkmale. Mir ist unbegreiflich, warum die Leute so scharf auf das Gekrakel sind.«

»Ganz einfach. Sie unterwerfen sich der Täuschung, etwas Besonderes zu sein, wenn sie etwas Besonderes besitzen.«

»Siehst du? Genau das ist der Grund, warum ich mich so gern verdrücke.«

Wagner warf ihm einen warnenden Blick zu.

»Untersteh dich!«

»Mach dir keine Gedanken«, sagte O’Connor fröhlich. »Ich pflege selten an zwei Abenden hintereinander zu patzen. Nichts wäre schlimmer, als wenn man anfinge, mich für berechenbar zu halten.«

»Glaubst du, Paddy wird noch mal von sich hören lassen?«

»Ich hatte nicht den Eindruck.«

»Du hast ihn geschützt.«

»Ich habe versucht, mich zu wundern«, sagte O’Connor nach einer Weile des Schweigens. »Aber es klappte nicht. Mir war schon in der Personalabteilung klar, was los ist. Offen gestanden, als Paddy damals aus Dublin verschwand, gab es Gerüchte, er sei erschossen worden. Die einen reagierten mit Betroffenheit, andere fanden, es geschehe ihm ganz recht, ein bisschen tot zu sein. Nur wirklich gewundert hat sich keiner. Es war einfach jedem von uns klar, dass er auf die eine oder andere Weise eine fatale Entwicklung nehmen würde. Hinterher hieß es, er sei quicklebendig in Ulster gesehen worden, aber von da an verliert sich endgültig jede Spur von ihm.