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Unter anderen Umständen wäre die Prozedur an Lächerlichkeit kaum zu überbieten gewesen. Die Ankunft des Präsidenten der Vereinigten Staaten jedoch setzte andere Umstände schlicht außer Kraft. Hatte das Hyatt bis vor wenigen Tagen noch über normale Ein- und Ausgänge verfügt, war nun jede Öffnung, durch die man aufrechten Ganges ins Innere gelangen konnte, zu einer Sicherheitsschleuse mit Detektoren und Durchleuchtung umfunktioniert worden – nur eine von ein paar hundert Maßnahmen, hinter denen andere Umstände ins Glied der Verhandelbarkeit zurückzutreten hatten.

Kika Wagner saß, eine Zeitschrift auf den Knien, in der Vorhalle und betrachtete das Kommen und Gehen.

Zwei Tage vor Bill Clintons Ankunft in Köln glich das Hyatt einer Festung. Vor dem Gebäude parkten keine Autos mehr. Selbst Schiffstouren waren abgesagt worden; die nahe gelegene Frankenwerft durfte seit Gipfelbeginn nicht mehr angefahren werden. Das Innere des Hyatt präsentierte sich augenscheinlich unverändert, sah man davon ab, dass der Secret Service seit Wochen jeden Stein, aus dem das Hotel erbaut war, dreimal umgedreht hatte, durch jeden Lüftungsschlitz gekrochen und mittlerweile in jedem Winkel, unter jedem Teppich und im Innern jeder Fußleiste vertreten war. Das Dach beherrschten amerikanische Satellitenanlagen, in den meisten Zimmern waren eigene Telefonnetze gelegt worden. In achtundvierzig Stunden würde es einfacher sein, Aussagen über Lebensformen auf dem Mars zu treffen als über das, was in der sechsten Etage vor sich ging, wo Handwerker in fiebernder Hast versuchten, die Suite für den mächtigsten Mann der Welt fertig zu stellen. Der sechste Stock würde vollends in den hypothetischen Raum entrücken.

Falls sie es schafften.

Wagner hatte eine ungefähre Vorstellung davon, was die Crew des Hyatt durchmachte, nur weil Miss Albright hier ein halbes Jahr zuvor so gut geschlafen hatte. Die Außenministerin höchstpersönlich war der Meinung gewesen, Hillary und Bill könnten beim Blick auf den Dom den einen oder anderen romantischen Seufzer nicht lassen. Die Wahl für Köln fiel damit auf Deutz, Kölns rechtsrheinischen Appendix, gottlob in Zeiten, da sich die Linksrheinischen mit dem Stiefbruder von gegenüber gütlich arrangiert hatten, weil man von da so schön auf die andere Seite gucken konnte.

Vom ersten Tag an fragten Journalisten und Medienberichterstatter dem verzweifelten Scherflein Auskunftswilliger der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit des Hyatt Löcher in die Bäuche, ob Clinton denn nun käme und wann. Seit fünf Monaten war die Auskunft immer die gleiche: Kann sein. Kann nicht sein. Ja. Nein. Vielleicht. Weiß nicht.

Tatsächlich hatten im April die Besuche der amerikanischen Delegationen begonnen. White House, Secret Service, CIA, der Botschafter… jeder kam mal schauen, ob’s auch wirklich so luxuriös sei, wie Clintons Hausdrache versprochen hatte. Es wurden Büros und Konferenzräume gecheckt bzw. die Möglichkeit, Hotelzimmer entsprechend umzubauen und das Hyatt ex officio in den Rang des Hauptquartiers der Vereinigten Staaten von Amerika zu erheben. »Security« entwickelte sich zum meistgebrauchten Wort. Ah, der Koch macht Frikadellen! Die sehen aber gut aus. Sind die auch sicher? Und so weiter und so fort.

Der Grund für die um sich greifende Verwirrung war eines jener Gerüchte, die kraft minimalen Entstehungsaufwands ein Maximum an Auswirkungen nach sich zogen. Danach würden im Hyatt vielleicht E.T. oder Madonna oder Elvis’ Geist absteigen, aber ganz sicher nicht Bill Clinton, weil nämlich das ganze Deutzer Theater nur der Ablenkung halber vonstatten gehe und der Präsident tatsächlich auf dem Petersberg residieren werde. Die Nachricht – mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von den Amerikanern selbst lanciert – weitete die Konfusion auf den Petersberg aus, wo natürlich keiner von irgendetwas wusste und sich voller Bestürzung fragte, warum nicht? Im Folgenden erlebte man dort eine ähnliche Heimsuchung durch die Medien wie das Hyatt, die Stellungnahmen der Presse gegenüber nahmen vollends kryptische Züge an, und die anderntags erscheinenden Artikel waren dünn wie Kasernenkaffee.

Amerika hüllte sich in Schweigen. Selbstverständlich werde der Präsident im Hyatt absteigen. Oder auch nicht.

Aller Konfusion zum Trotz hatte das Hyatt unbeirrt die heiße Phase angesteuert, die vor nicht ganz sieben Wochen heißer geworden war, als den Verantwortlichen lieb sein konnte. Ausgerechnet in der Sauna der für Clinton reservierten John-F.-Kennedy-Suite gab es einen Kurzschluss. Erst brannte die Sauna aus, dann die hundertachtzig Quadratmeter große Suite. Schwarzklebriger Ruß bedeckte jeden Quadratzentimeter der kompletten sechsten Etage, Teile der fünften waren nicht mehr bewohnbar, die Lounges verräuchert. Die Hotelleitung sah sich unter Lawinen öffentlichen Interesses begraben und nahm via Einrichtung eines Krisenstabs den verzweifelten Wettlauf gegen die Zeit auf, wohl wissend, dass der Petersberg um die Ecke lag. Mittlerweile erglänzte alles in makelloser Erneuerung, einzig die Suite wurde partout nicht fertig, trotz des Irrsinnstempos, mit dem Heerscharen von Spezialisten Hand anlegten.

Wenn sie es schafften, dann in letzter Sekunde.

Die Zerreißprobe ging nicht spurlos an den Leuten vorbei. Wohin Wagner blickte, sah sie angespannte Mienen. Dass sie überhaupt hier sitzen durfte, verdankte sie einerseits der Unbedenklichkeit ihres Handtascheninhalts. Zweimal durch die Schleuse gehen, während ihre Schminkutensilien, Zigaretten und sonstigen hilfreichen Kleinigkeiten über den Bildschirm geisterten, diverse Male Sonderausweis vorzeigen, checken, gegenchecken, danke, bitte. Alles sehr unaufdringlich und freundlich, aber von der eisernen Entschlossenheit geprägt, diesen Staatsbesuch durch nichts und gar nichts zu verpatzen, und hieße es, in aller Öffentlichkeit eine Handtasche zu erschießen.

Zweitens erwuchs Wagners Anwesenheit dem Umstand, dass der designierte Leiter des Lektorats Belletristik im Rowohlt Verlag, Franz Maria Kuhn, eine Etage höher mit Aaron Silberman das Frühstück teilte. Silberman war Stellvertretender Chefredakteur für Politik bei der angesehenen Washington Post. Er war den amerikanischen Presseleuten, die im Gefolge des Präsidenten erwartet wurden, vorausgeeilt, um über die Aktivitäten des Hyatt zu berichten und bei dieser Gelegenheit Kuhn wiederzusehen, den er aus dessen Zeit als politischer Korrespondent in der amerikanischen Hauptstadt kannte.

Sie hatten sich beide oft genug im legendären Briefing Room des Weißen Hauses herumgedrückt und so eine gewisse Nähe zueinander entwickelt. Das schmucklose, winzige Zimmerchen mit dem blauen Vorhang und dem Präsidialwappen darauf war eine wohl durchdachte Zumutung und Ausdruck des ständigen Kampfes, den der Amts- und Wohnsitz des Präsidenten mit seinen ungeliebten Schnüfflern ausfocht. Dennoch war kein Presseausweis der Welt begehrter als der des White House Press Corps. Dessen Mitglieder arbeiteten immerhin unter einem Dach mit dem mächtigsten Mann der Welt, sie hatten ihre Zentrale direkt im Allerheiligsten. Auch wenn man im White House alles tat, um der elitären Journaille das Gefühl zu geben, auf einer Stufe mit Wanzenbefall und Hausschwamm zu stehen – im Grunde ein Übel zu sein, dem man nur durch fortgesetzte Erniedrigungen beikommen konnte –, kämpften die Medienhöflinge wie eine Meute Dobermänner um ihre Privilegien. Als Clinton sie in helle, freundliche Räume des Nachbargebäudes umquartieren wollte, gaben sie sich hart. Niemand sah ein Problem darin, sich mit anderen Ölsardinen eine Dose zu teilen, solange sie in unmittelbarer Nähe des Präsidentenschlafzimmers situiert war.

Silberman hatte es tatsächlich geschafft, einmal zehn Minuten mit Clinton persönlich zu sprechen – ein Ritterschlag, der selbst lang gedienten Kollegen in den seltensten Fällen zuteil wurde. Darum gehörte er nun zu den wichtigeren Berichterstattern und war der Washington Post eine Akkreditierung bei Hofe wert gewesen, sprich ein Zimmer im Hyatt.