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Kuhn trat in Opposition mit Cognac, Wagner blieb bei Wasser. Nach dem ersten Gläserklingen erzählten sie dem Lektor von Paddy Clohessy, um es hinter sich zu bringen. Aus der Distanz klang es wie ein billiger Krimi. Aber Kuhn war wie paralysiert. Er begann augenblicklich, Theorien zu spinnen, und wollte alles über den zu Ryan O’Dea mutierten Paddy wissen, und nach dem zweiten Cognac erwähnte er tatsächlich eine gewisse Frühgeschichte des nordirischen Separatismus, der die Paddys dieser Welt entsprungen wären. Alles ließ darauf schließen, dass er beginnen würde, sie zu erzählen. In Wagner regten sich ernsthafte Zweifel, ob ihre Idee so gut gewesen war. O’Connor leerte sein Glas in plötzlicher Eile und rutschte von seinem Barhocker.

»Was macht überhaupt ein solcher Mensch am Flughafen, he?«, fragte Kuhn gerade. »Das klingt nach Unterwanderung. Ich finde das in höchstem Maße beunruhigend. Die Iren sind Weltmeister in der Unterwanderung. Wusstet ihr zum Beispiel, dass die großbritische Medienlandschaft in den Neunzigern bis in Spitzenpositionen von Manipulateuren der Sinn Fein unterwandert war? Und wer steckte dahinter? Die IRA! Sie infiltrieren–«

»Ich muss ins Bett«, gähnte O’Connor.

Kuhn erstarrte.

»Warum, um alles in der Welt? Es wird gerade gemütlich.«

»Ja, ich weiß. Das ist ja das Fatale. Wenn es gemütlich wird, schlafe ich ein. Es gibt nichts Ermüdenderes als Gemütlichkeit. Gute Nacht, Franz… Kika .«

Er umfasste ihre rechte Schulter, zog sie zu sich heran und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange.

»Fährst du noch zu deinen Eltern?«

Wagner strich sich demonstrativ mit Daumen und Zeigefinger über die Augen und nickte.

»Ich denke schon. Bin müde.«

»Dann gute Nacht.«

»Ja, schlaf schön.«

O’Connor machte einen Kratzfuß und ging. »Schmierenkomödianten«, knurrte Kuhn. »Glaubt ihr im Ernst, ihr könntet mich verscheißern?« Wagner überlegte einen Augenblick. »Ja«, sagte sie. »Ich glaube schon.«

O’CONNOR

Das Schicksal wollte es anders.

O’Connor hatte eben die Hotelbar verlassen und ging durch die erleuchtete Halle zu dem gläsernen Aufzug, als er seinen Namen rufen hörte.

»Dr. O’Connor!«

Jemand kam ihm hinterhergelaufen. Es war einer der Livrierten von der Rezeption. O’Connor verharrte und hoffte, dass der Mann kein Buch signiert haben wollte.

»Telefongespräch für Sie.«

O’Connor stutzte.

»Wer ist dran?«

»Das weiß ich nicht«, sagte der Livrierte. »Er hat es mir nicht mitgeteilt. Möchten Sie, dass ich ihn frage?«

»Schon gut.«

»Ich kann das Gespräch in Ihre Suite legen.«

»Danke, mir wäre es lieber, wenn ich hier unten telefonieren könnte.«

»Selbstverständlich. Dort gegenüber in den Kabinen. Nehmen Sie Nummer eins, ich stelle durch.«

O’Connor betrat die verglaste Kammer und zog die Tür hinter sich zu. Einige Sekunden vergingen, dann klingelte es. Er nahm ab und wartete.

»Ich bin’s«, sagte eine wohl bekannte Stimme auf Englisch mit starkem Dubliner Akzent.

O’Connor grinste.

»Und ich dachte schon, dein Vokabular sei auf ›Nein‹ und ›Weiß nicht‹ geschrumpft«, spottete er.

Am anderen Ende der Leitung entstand eine kurze Pause. »Das musst du verstehen. Ich war dir übrigens sehr dankbar, dass du mitgespielt hast, wenngleich deine Bemerkung über Katie von altvertrauter Geschmacklosigkeit zeugt.«

»Stimmt. Es ging diesen O’Dea nichts an, dass mein guter Freund Paddy Clohessy jeden Abend, den Gott der Herr werden ließ, mit einem Riesenständer im Hartigans rumhing, um sie singen zu hören. Übrigens fand ich nicht, dass sie besonders gut gesungen hat. Aber dem Liebenden ist alles lieb.«

»Mistkerl. Ich war verliebt, und du hast sie gevögelt.«

»Die Libido ist der Diener des Intellekts«, sagte O’Connor. »Oder war’s umgekehrt? Ich dachte eben, wir halten es wie in Cyrano de Bergerac. Du hast ihr Gedichte geschrieben, und ich hab’s ihr besorgt. Wie besser hätte ich in deinem Sinne handeln können? Außerdem kannst du dich bedanken, weil ich dich vor einer herben Enttäuschung bewahrt habe, das darfst du mir glauben. Aller Kneipenromantik entkleidet machte sie eine weitaus schlechtere Figur als ihre Gitarre. Du hast nichts verpasst.«

»Ego te absolvo. Können wir uns sehen?«

»Warum nicht? Morgen–«

»Ich dachte eher, jetzt gleich.«

O’Connor zögerte.

»Nun, Paddy, es ist ein bisschen schlecht im Augenblick«, sagte er. »Ich übe mich gerade auf einem anderen Instrument und möchte es ungern verstimmen.«

»Das Mädchen, mit dem du heute am Flughafen warst?«

»Ja.«

»Sie ist außergewöhnlich. Ich bin sicher, du hast nicht ihre Größe.«

»Danke. Warum sehen wir uns nicht zum Frühstück?«

»Ungünstig.« In Clohessys Tonfall mischte sich etwas Drängendes, wie O’Connor jetzt bemerkte. »Lieber wäre mir sofort. Es muss ja nicht lange sein. Um der alten Zeiten willen. Morgen kann ich nicht, und übermorgen bist du schon wieder weg. Was ist, erübrigst du ein Viertelstündchen für einen alten Soldaten?«

»From a dead beat to an old greaser«, skandierte O‘Connor. »Wo bist du überhaupt?«

»Ganz in deiner Nähe.«

O’Connor blickte hinaus in die Halle.

»So nahe auch wieder nicht«, sagte Clohessy passenderweise. »Unten am Rheinufer. Ich warte auf dich.«

»Na schön. Ich bin in fünf Minuten dort.«

Er hängte ein und betrachtete nachdenklich den Telefonapparat. Dann ging er zurück vor die Bar und spähte ins Innere. Wagner war eben dabei, ihre Handtasche zu schließen, während Kuhn miesepetrig vor einem weiteren, fast unangetasteten Cognac saß. Seine Lippen bewegten sich, als spräche er zu sich selbst oder zu seinem Glas.

O’Connor wartete, bis sie herauskam. Sobald sie ihn sah, wandelte sich ihr Gesichtsausdruck von vorgetäuschter Schläfrigkeit zu hellwachem Entzücken. Plötzlich fühlte er eine ungewohnt heftige Anwandlung von Besorgnis, sie könne ihm entgleiten, und ging schnell auf sie zu. Die nächste Minute schmolz in einem Kuss dahin, und O’Connor fragte sich ernsthaft, was er unten am Rheinufer sollte.

Andererseits.

»Es hat sich etwas geändert«, murmelte er in sie hinein.

Wagner zog den Kopf zurück und betrachtete ihn.

»Geändert?«

»Ja, es ist eine Kleinigkeit dazwischengekommen.«

Sie sog hörbar Luft in sich hinein und öffnete den Mund. Schnell legte er einen Finger auf ihre Lippen, bevor sie etwas erwidern konnte.

»Eine Sache von zehn, zwanzig Minuten«, fügte er hinzu. »Lass uns ein Stück von der Bar weggehen, Kuhn muss nicht unbedingt glauben, wir würden ihn zum Narren halten.«

»Er glaubt es aber. Er ist ja nicht blöde. Was gibt es denn?«

O’Connor erzählte ihr von Clohessys Anruf. Zwischen Wagners Brauen entstand eine kleine Falte. Skeptizismus stand ihr gut.

»Ich dachte, du wolltest mit Ryan O’Dea nichts zu schaffen haben.«

»Der Bursche ist mutabel. Neuerdings heißt er wieder Paddy. Ich will nur sichergehen, dass die Liste seiner Namen damit endet, dann komme ich zurück. Entweder du plünderst schon mal die Minibar in meiner Suite oder gehst zurück zu Kuhn an die Bar.«

»Beides verlockende Aussichten. Was soll ich in deiner Suite? Die Stehlampe verführen?«

»Ich mach’s kurz. Versprochen!«