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»Du meinst, in seiner Nähe könnte es gefährlich werden?«

»Ich meine, es ist jetzt nicht der Augenblick, nach Shannonbridge zu fahren. Wenn du verstehst, was ich damit sagen will.«

»Mhm. Kapiert.«

Einen Moment lang war es grabesstill. Selbst das Gemurmel der wenigen Gäste, die ein Stück weiter saßen, schien erstorben zu sein. Nur das Handtuch des Barkeepers quietschte leise in einem Weinglas.

Kuhn lächelte dünn.

»Wisst ihr was?«, sagte er. »Euer konspiratives Getue ödet mich an. Nicht auszuhalten!« Er pumpte sich auf, dann explodierte er: »Liam, bei allem Respekt, würden Sie mir die Freude einer Erklärung machen? Ich bin Ihr Lektor, Himmel, Arsch! Ich habe diese ganze verdammte Reise organisiert, damit Sie Ihre Schmöker an den Mann bringen, aber Sie schlagen Kapriolen, reißen aus, flirten mit meiner Assistentin, ergehen sich in Mysterien und saufen mir meinen letzten Trost weg! Was ist, wollt ihr mich loswerden? Gut, soll mir recht sein. Schon okay, ihr geht mir reichlich auf die Nerven! Nur, dann sagt es! Macht mich nicht krank! Ich fordere Genugtuung, ich wurde beleidigt und abserviert! Zum ersten und zum letzten Maclass="underline" Was – ist – los?«

O’Connor hob die Brauen.

»Säbel oder Pistolen?«, fragte er.

Es kostete sie mehr als einen doppelten Hennessy, den Lektor wieder auf normale Pulsfrequenz zu bringen, also berichtete O’Connor ergeben von seinem Wiedersehen mit dem Mann, der jetzt Ryan O’Dea hieß. Kuhn schmolz dahin. Er war wie ein Kind, stellte Wagner fest. Man musste sich mit ihm beschäftigen, sonst wurde er patzig. Bezog man ihn ein, war er die Versöhnlichkeit selbst.

Schließlich breitete sich kollektive Nachdenklichkeit aus.

»Paddy will also seine Ruhe«, resümierte Kika nach einer Weile. »Na schön. Warum lässt du ihm dann nicht einfach seine Ruhe?«

»Weil seine Ruhe trügerisch ist«, sagte O’Connor. »Ich kenne Paddy. Was er mir erzählt hat, entsprach in jedem Wort der Wahrheit. Genau hier liegt das Problem.«

»Verstehe«, sagte Kuhn gelassen.

Der Physiker sah ihn an.

»Was verstehen Sie denn, werter Kollege?«

»Dass Sie der Offenheit eines Mannes misstrauen, der keinerlei Grund hat, offen zu sein.«

»Donnerwetter!«, sagte O’Connor, und dann sagte er eine ganze Weile gar nichts mehr.

Wagner überlegte, was sie mit der Situation anfangen sollte. Zwei in sich versunkene Männer starrten einen Tresen an. Sie selbst spann den Gedanken Kuhns weiter und kam zu einem merkwürdigen Resultat. Sicherheitshalber winkte sie den Barkeeper heran und orderte ein Tonic Water für sich selbst und einen zwölf Jahre alten Macallan für O’Connor. Mittlerweile hatte sie gelernt, dass Destillate vom Schlage eines Laphroig, Talisker oder Lagavulin Geschmack und Wirkung alkoholgetränkter Schinkenbrote entfalteten und sich beim Küssen eigenwillig bemerkbar machten. Dann besann sie sich, bestellte das Tonic Water wieder ab und schloss sich O’Connor an.

Die Getränke kamen. O’Connor bedachte sie mit einem Blick voller Zärtlichkeit und versenkte seine Aufmerksamkeit wieder im Glas.

Das Schweigen begann lästig zu werden.

»Wenn ich mal was sagen darf«, schlug sie vor.

O’Connor blickte auf.

»Dein Freund – oder auch gewesener Freund – Paddy Clohessy alias Ryan O’Dea gibt zu verstehen, er wolle dich gern noch heute Abend sehen, weil er am folgenden Tag beschäftigt sei. Richtig?«

Kuhn sah ebenfalls auf. Etwas in ihrem Tonfall schien Wunder zu wirken.

»Weiter«, fuhr sie fort, »sagt er, dass er dich ja später nicht mehr sehen könne, weil du dann abgereist seist. Auch richtig?«

O’Connor lächelte.

»Nur zu«, sagte er. »Ich will’s von dir hören.«

»Paddy weiß also, dass du übermorgen abreist. Hast du ihm das am Telefon gesagt?«

»Nein.«

»Also woher weiß er es?«

O’Connor ließ einen Augenblick verstreichen. Dann legte er Kuhn den Arm um die Schulter, zog ihn wie einen Bruder zu sich heran und flüsterte:

»Ist sie nicht wundervoll?«

»Hätte er einfach nur rauskriegen wollen, wie lange du in Köln bleibst, hätte er dich fragen können«, setzte Wagner ihre Rede ungerührt fort. »Stattdessen weiß er es. Also hat er jemanden bemüht, damit er ihm Auskunft über dich erteilt. Warum tut er das? Warum fragt er dich nicht einfach selbst?«

»Ja, warum?«

»Ich schätze, weil ihn dein Besuch nervös gemacht hat. Ebenfalls richtig?«

»Fast richtig.«

»Und was ist ganz richtig?«

»Kika, du hättest Arthur Conan Doyle alle Ehre gemacht.« O’Connor lehnte sich zurück und betrachtete sie mit offener Bewunderung. »Es ist genau die Sache, über die ich auch ins Grübeln geraten bin. Aber ich gelange zu einem etwas anderen Schluss als du. Ich glaube, es hat jemand Drittem ganz und gar nicht gefallen, dass O’Deas Identität heute aufgeflogen ist. Wie gesagt, ich kenne Paddy. Tatsache ist, dass wir uns auseinander gelebt haben. Ich meine, falls uns überhaupt je etwas zusammengehalten hat, dann waren es Frauen, Alkohol und Illusionen. Keine sonderlich ruhmreiche Bilanz, aber dafür wenig anstrengend! Jedenfalls, Paddy breitet seine Seelenlandschaft vor mir aus, damit ich begreife, dass ich da bitte schön nichts mehr verloren habe. Er hat nicht einen Schlussstrich gezogen, sondern gleich ein ganzes Dutzend. Und er war ziemlich gut darüber informiert, was ich in Köln tue und wie lange ich hier sein werde, wie du selbst schon festgestellt hast. Solch luzide Eleganz hat der gute alte Paddy aus den Tagen des Trinity nicht im Entferntesten besessen. Er hätte mich entweder aufgesucht, wenn ihm an meiner Gesellschaft gelegen wäre, oder gar nicht. Stattdessen hetzt er mich durch das Labyrinth seiner Psychosen und entlässt mich mit einer deutlichen Warnung.«

»Warnung?«, echote Kuhn.

»Ja! Mich rauszuhalten. Ich soll glauben, dass er einen neuen Namen angenommen hat, um in Frieden leben und arbeiten zu können. Lächerlich. Der rechtschaffen gewordene Halunke und seine historische letzte Chance. Ich bin ergriffen und zu Tränen gerührt. Aber wischen wir den Rotz von der Nase und bemühen unseren Verstand:

Was wäre also, wenn ihn jemand geschickt hätte? Jemand, der kein Interesse daran hat, wenn alte Freunde hinter Paddy Clohessy herschnüffeln und öffentlich verbreiten, dass ein ehemaliger Aktivist der IRA – oder wo immer er sich sonst noch rumgetrieben hat – plötzlich in der Technik eines renommierten europäischen Flughafens auftaucht.«

»Eines Flughafens zudem«, ergänzte Kuhn zwischen zwei Schlucken, »der seit Anfang des Monats von jedem irgend relevanten Politiker frequentiert wird. Ganz zu schweigen von denen, die noch kommen.«

Er hatte die Worte ausgesprochen, als handele es sich um eine Marginalie. Im nächsten Moment weiteten sich seine Augen. Erst jetzt schien er sich dessen bewusst zu werden, was er gesagt hatte.

»Mein Gott«, flüsterte er.

»Langsam.« Wagner trat zwischen die beiden Männer und legte jedem von ihnen einen Arm um die Schulter. »Wir konstatieren fürs Erste, dass aus Paddy Ryan wurde. Okay? Alles andere entspringt unserer Phantasie.«

»Wenn es nur unserer Phantasie entspränge, hätte ich dem Abend längst schon attraktivere Seiten abgewonnen«, sagte O’Connor mit eindeutigem Funkeln in den Augen. »Natürlich ist alles blasse Theorie, aber wozu kommt Paddy in einem solchen Affenzahn herbeigerauscht, nur um mich darüber aufzuklären, dass ich ihn vergessen soll? Seine Geschichte geht auf tausend Krücken. Er hätte nie aus freien Stücken so gehandelt! Aber jemand sagt ihm, Paddy, alter Unglücksrabe, das ist eine dumme Sache, war nicht vorgesehen. Gar nicht opportun, dieser O’Connor. Geh hübsch hin und sag ihm, er soll dich um Himmels Willen nicht verraten und dir die Zukunft vermasseln, gefallener Engel, der du bist, voll der edelsten Absichten, dem Bösen abhold und einzig darauf erpicht, ein ehrbares Leben zu führen. Seif den Kerl gehörig ein. Aber so was kann der gute Paddy eben nicht. Er steht vor mir und bringt es nicht fertig, Small Talk zu machen. Er weiß schlicht und einfach nicht, was er sagen soll, also sagt er die Wahrheit. Warum er abgerutscht ist. Was schief gelaufen ist. Er redet sich die Vergangenheit von der Seele und sagt viel zu viel. Schließlich hat er das Gegenteil von dem erreicht, was seine Einflüsterer beabsichtigen. Ich misstraue ihm. Ich denke, Paddy, du armseliger Idiot, jemand hat dich hergeschickt, um mich einzulullen. Und warum? Damit ich euch in Ruhe das zu Ende bringen lasse, weswegen ihr hier seid.«