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Warum um Gottes willen hatte das passieren müssen?

Sein Herzschlag hatte ausgesetzt, als man ihn holte, um einem Dr. Liam O’Connor über sich selbst Auskunft zu erteilen. Ein halbes Jahr lang war alles nach Plan verlaufen, ohne die kleinste Panne. Sie hatten Probleme bewältigt, an denen Hochschulprofessoren gescheitert wären. In aller Stille hatten sie die Anlage installiert und den größten Sicherheitsapparat der Welt zum Narren gehalten, nur um Opfer der verschwindend geringen Möglichkeit zu werden, dass er und O’Connor sich an diesem Ort und zu dieser Stunde über den Weg liefen.

Es schrie zum Himmel.

Clohessy wusste sehr genau, was in Janas Kopf vorging. Sie war in höchstem Maße alarmiert! Dem Anschein nach hatte sie die Nachricht mit bemerkenswerter Gelassenheit aufgenommen, aber Jana zeigte sich nie sonderlich emotional. Ihr Hirn funktionierte wie ein Rechner. Sie musste, noch während er sie informiert hatte, alle denkbaren Möglichkeiten aufgerufen und gegeneinander abgewogen haben. Dazu gehörte vorrangig, das Schlimmste anzunehmen, dass O’Connor nämlich die Polizei verständigen würde, weil am Flughafen Köln-Bonn jemand unter falschem Namen arbeitete, von dem man in Irland wusste, dass er untergetaucht, möglicherweise der IRA beigetreten und mit Sicherheit gefährlich war.

Ihn zu identifizieren, würde kein Problem darstellen. Dass er als Ryan O’Dea unbehelligt arbeiten konnte, lag einzig daran, dass kein Mensch seine Identität in Zweifel zog. Niemand wäre je auf die Idee gekommen, die Personen Patrick Clohessy und Ryan O’Dea miteinander zu vergleichen. Niemand hätte sie je in einen Zusammenhang miteinander gebracht. Auf diese Weise war er völlig sicher gewesen.

Bis zu diesem verfluchten Nachmittag.

Wer Einblick nehmen würde in die Akte Patrick Clohessy unter der Maßgabe, eine Ähnlichkeit zu Ryan O’Dea festzustellen, würde dazu nicht lange brauchen.

Jana musste sich fragen, ob Clohessy noch tragbar für die Gruppe war. Ein inniges Verlangen nahm von ihm Besitz, O’Connor möge zur Hölle fahren. In einem anderen Leben hatten sie zusammengesessen und ihre unterschiedlichen Arten, das eigene Glück zu untergraben, auf einen Nenner gebracht. Es spielte keine Rolle mehr. Der Mann, den er vorhin am Rheinufer getroffen hatte, strafte die letzten sentimentalen Erinnerungen an die Zeit im Trinity Lügen. Er hätte sterben müssen, sofort, bevor er mit seinem Wissen hausieren ging.

Das Problem war nur, dass ihn eine Frau begleitet hatte, die möglicherweise dasselbe wusste wie der Physiker. Wiederum hatten O’Connor und die Frau danach Kontakt mit anderen Menschen aufgenommen. Im Verlauf des Abends hätte er dutzendfach Gelegenheit gehabt, von seiner Begegnung am Flughafen zu erzählen. Zwar ging Clohessy nicht davon aus, dass er es auch getan hatte, aber wen interessierte schon, wovon er ausging. Die Möglichkeit bestand. O’Connor und die Frau aus dem Weg zu räumen, hätte im Augenblick nur noch größere Probleme geschaffen.

Clohessys Gedanken rasten, während er die von fahlen Lichtinseln erleuchtete Straße entlangging.

Das Gelingen der Operation bedingte, dass sie Gewalt um jeden Preis vermieden. Im Netz der Sicherheitskräfte, das Köln überzog, durfte sich nicht der leiseste Zweifel daran regen, dass der Gipfel reibungslos über die Bühne gehen würde. Sie konnten es sich nicht leisten, Leute umzubringen. Nichts wäre schlimmer, als wenn der einmal beschlossene Ablauf des Gipfels in letzter Sekunde geändert würde.

Aber sie konnten es sich noch weniger leisten, dass jemand Ryan O’Dea verriet.

Sie konnten sich Patrick Clohessy nicht leisten.

Er zwang sich, ruhig zu bleiben und sich nicht umzusehen. Er bezweifelte, dass Jana sich in seiner Nähe blicken ließ, aber wo ihr Zerberus Mirko gerade herumschlich, war weniger klar zu sagen. Es hätte Clohessy nicht gewundert, in diesem Moment die Schritte des Serben hinter sich zu hören, nur dass man Mirko eben nicht hörte. Seit sich die Truppe vor Monaten zusammengefunden hatte, hatte er Mirko nur wenige Male gesehen. Er ließ sich selten blicken, tauchte zu festgesetzten Zeitpunkten auf und verschwand wieder. Nicht einmal Jana schien zu wissen, wohin er ging und was er in den verbleibenden neunundneunzig Komma neun Prozent seiner Zeit überhaupt tat. Jedes Mal hatte Clohessy in Mirkos Gegenwart tiefes Unbehagen verspürt. Mirko war in seiner lässigen Art so unspektakulär wie jeder x-beliebige Mann von der Straße. Immerzu vermittelte er den Eindruck, mit halber Aufmerksamkeit das Geschehen um sich herum zu beobachten, ohne selbst etwas Aufregenderes zu tun als zu essen und zu schlafen. Nicht einmal Sex schien der Kerl zu haben. Er sah nicht unbedingt schlecht aus, aber unterm Strich wirkte er so geschlechtslos, interessenlos und abwartend wie Ken aus der Barbie-Familie.

Clohessy war Profi genug, um zu wissen, dass Mirkos nichtssagende Art seine Masche war. Dahinter verbarg sich ein analytisch arbeitender Verstand. Mirko war hochintelligent, sprach ebenso wie Jana fließend mehrere Sprachen und kannte sich in Dingen der Planung und Bewaffnung bestens aus. Clohessy dachte an den Tag zurück, als der Serbe gekommen war, um ihn zu rekrutieren. Zu diesem Zeitpunkt hatte er von Jana schon gehört. Jeder in der Szene kannte sie. Und keiner. Sie war ein Phantom. Selbst die CIA besaß seines Wissens nicht mehr als ihren bloßen Namen. Sie wurde in einem Atemzug mit Leuten wie Carlos genannt, Abu Nidal und den namenlosen Profikillern der Topliga. Niemand wusste, woher Jana stammte, wo sie lebte, nicht einmal, wie sie aussah, obschon Fotos von ihr im Umlauf waren. Sie veränderte ihre äußere Erscheinung, wie es ihr passte, und dass sie eine serbische Patriotin hätte sein können, war nie jemandem in den Sinn gekommen.

Falls sie wirklich Serbin war. Falls Mirko Serbe war, wie er behauptete. Was wusste man schon, wenn man für eine Million etwas tat, ohne zu wissen, warum man es tat. Es war offenkundig, dass Mirko und Jana serbische Interessen vertraten. Hintermänner der Operation hatte keiner von beiden je erwähnt. Sie gaben sich den Anschein völliger Autonomie, aber Clohessy war sicher, dass sie im Auftrag einer ungemein potenten Macht arbeiteten. Seine Million jedenfalls schienen sie aus der Portokasse zu bezahlen.

Eine Million.

Es war genug, um der Spirale der Gewalt vielleicht doch noch zu entrinnen. Ein einziger Auftrag, der alles verändern konnte. Neue Papiere, ein neuer Name. Nie wieder Irland, schade um die Heimat, aber dafür ein Leben ohne Flucht und böse Träume.

Er hatte sich in der Illusion gewiegt, die Iren würden ihn in Frieden gehen lassen, wenn er einfach nicht mehr wollte. Es wäre die Chance für einen Neuanfang gewesen. Ohne Gewalt. Aber man verließ die IRA nicht. Die Mitgliedschaft war lebenslang und ein langes Leben nicht unbedingt garantiert in einer Organisation, die innerlich von Misstrauen zerfressen war. Wie es aussah, würde die klassische IRA ohnehin zerschlagen werden. Als Folge blieb den meisten der beschwerliche Weg zurück in eine bürgerliche Existenz. Andere hingegen, wie Clohessy, die im Nervenzentrum der IRA- Forschung gearbeitet hatten, stellten eine Gefahr dar. Clohessy kannte die Köpfe der Organisation, zumindest einige von ihnen. Er war zu hoch aufgestiegen, um nach seinem Ausstieg noch weich landen zu können. Als Folge blieb ehemaligen Aktivisten wie ihm, erneut unterzutauchen in der Hoffnung, von den ehemaligen Kampfgefährten nicht aufgespürt zu werden, und ihre Dienste dem internationalen Verbrechen anzudienen. Am Ende war er, der Ire mit dem Herzen für den unabhängigen Norden, Teil eines offenbar serbisch-nationalistischen Kommandos geworden und hatte begonnen, das von Jana und Gruschkow entwickelte System in die Praxis umzusetzen, unterstützt von einem, der ihm zuarbeitete. Seit vier Wochen war der YAG einsatzfähig. Bis heute hatten sie die Anlage täglich überprüft. Es grenzte an ein Wunder, aber die hochkomplizierte Steuerung und die ausgeklügelte Mechanik funktionierten mit der Präzision einer Atomuhr.

Clohessys Aufgabe war damit erledigt. Angesichts der neuen Entwicklung eine schreckliche Vorstellung.