Выбрать главу

»Liam, was wir hier machen, ist verrückt.«

»Dann ist es wenigstens wahrscheinlich.« O’Connor kniff die Augen zusammen. »Kannst du die Hausnummern erkennen?«

»Ach richtig, Haie sehen ja schlecht! Dein Freund wohnt in Nummer achtunddreißig. Hier ist achtzehn. Und eine Parklücke.«

Mit Schwung beförderte sie den Wagen unter eine Straßenlaterne.

»Das war knapp«, sagte O’Connor.

»Es war präzise. Soll ich im Wagen auf dich warten?«

»Nein, du musst unbedingt mitkommen. Deine Erscheinung vereint in seltenem Maße die Vorzüge, einen Mann gleichzeitig zu begeistern und einzuschüchtern.«

Sie gingen die dunkle Straße entlang bis zur Nummer achtunddreißig. Es war eines der weniger ansehnlichen Gebäude. O’Dea wohnte dem Schild zufolge im zweiten Stock. O’Connor drückte lang und anhaltend auf die Klingel.

WOHNUNG

Clohessy erstarrte.

Nicht aufmachen, dachte er. Tot stellen.

Es klingelte erneut.

Mit trockener Kehle drückte er sich an den Rand des Wohnzimmerfensters und riskierte einen Blick hinaus.

Zu seiner Verblüffung waren es nicht Mirko oder Jana, die kamen, ihn zu holen. Unten stand, den Kopf in den Nacken gelegt, O’Connor und starrte nach oben.

Paddy prallte zurück, bevor der Physiker ihn sehen konnte.

Das war allerdings interessant. Was wollte Liam hier um diese Zeit, nachdem alles gesagt worden war, was es zu sagen gab? War er es auch gewesen, der angerufen hatte?

Es ist eben nicht alles gesagt worden, dachte Paddy. Er hat mir nicht geglaubt.

Einen Moment lang war er versucht zu öffnen. Dann entschied er sich dagegen. Liam würde wieder verschwinden. Besser kein Risiko eingehen. Jede Sekunde zählte, und Liam würde ihm die Zeit nur stehlen.

Mit noch größerer Eile widmete er sich wieder seinem Koffer.

WAGNER

O’Connor trat zurück und sah an der Hauswand empor.

»Es brennt nirgendwo Licht.«

»Versuch’s noch mal.«

Auch nach mehrmaligem Klingeln machte niemand auf.

»Er ist noch nicht zu Hause«, brummte O’Connor. »Unartiger Junge.«

»Und was heißt das, Holmes?«

»Ganz einfach, Watson. Wir verkrümeln uns in deinen Golf und beobachten das Terrain, bis die Scheiben beschlagen.«

Es wurde die heißeste Observierung aller Zeiten, aber ganz sicher nicht die beste. Zweimal gerieten sie so heftig ins Gemenge, dass Wagner ernsthaft fürchtete, sie würden dem Golf die Rücklehnen brechen. Jedes Mal besannen sie sich widerwillig ihrer selbst auferlegten Pflicht und spähten hinaus.

»War er das jetzt?«

»Wieso? War da einer?«

»Verdammt, wir haben wieder nicht aufgepasst!«

»Da war keiner. Der vor fünf Minuten ist vorbeigegangen. Danach kam keiner mehr.«

»Bist du sicher? Ich habe einen Mann gesehen. Klar und deutlich.«

»Ich auch. Er lag auf mir und versuchte, meine Bluse aufzuknöpfen. Du hast keinen Mann gesehen.«

»Klingt schlüssig.«

»Wie viel Uhr ist es überhaupt?«

»Zu früh, um aufzugeben.«

»Jetzt sag schon, Blödmann. Oder kannst du nicht mal die Zeiger deiner Uhr erkennen?«

»Ich erkenne alles. Die Welt ist nur um so vieles schöner, wenn man weniger genau hinschaut.«

»Und?«

»Was und?«

»Wie spät ist es jetzt?«

»Augenblick, warte mal – null Uhr zehn.«

Kika löste sich aus seiner Umarmung und rutschte in ihrem Sitz nach oben. Das lange Haar hing ihr ins Gesicht. Sie strich es zurück und zog ihren Rock nach unten. Dutzende blauer Flecken würden der Lohn dafür sein, mit eins siebenundachtzig in einem Golf herumzuknutschen wie die erstbeste Pennälerin.

»Wir warten seit einer geschlagenen Viertelstunde auf deinen Paddy«, sagte sie. »Findest du nicht auch, dass es reicht?«

O’Connor massierte sein Kinn.

»Ich weiß nicht. Ehrlich gesagt weiß ich überhaupt nicht mehr so richtig, was wir hier tun.«

»Wir sind kurzfristig der Verbrechensaufklärung beigetreten.«

»Macht das Sinn?«

»Was fragst du mich?«

O’Connor reckte die Arme und sah aus dem Seitenfenster.

»Ich gebe zu, die Angelegenheit verliert an Reiz. Irgendwie machen wir uns lächerlich.«

»Bist du immer noch der Überzeugung, dass Paddy geschickt wurde?«

Er spreizte die Finger.

»Wenn ja, was bringt das? Möglich, dass ich Gespenster sehe. Oder auch nicht. Je länger wir hier stehen, desto blöder komme ich mir vor.«

»Also was? Polizei? Hotel? Weiter warten?«

Er sah sie an.

»Dein Golf ist eine Folterkammer. Warten geht mir zu sehr auf die Gelenke. Ich schlage vor, wir machen einen Spaziergang durch diesen vortrefflichen Park, an dem wir entlanggefahren sind, und durchdenken alles noch mal an der frischen Luft. Einverstanden?«

»Brillant«, sagte Wagner erleichtert.

Auszusteigen und die Glieder zu strecken war eine Wohltat. O’Connor legte ihr wie selbstverständlich den Arm um die Taille, und sie schlenderten die Straße zurück in Richtung Volksgarten. Es waren nur etwa einhundert Meter. Zu gern hätte sie den Kopf an seine Schulter gelehnt. Leider fehlten ihm einige Zentimeter, um dem Vorhaben die nötige Stütze zu geben.

Als sie unter den ersten Bäumen hindurchgingen und der stille Teich schwarzsilbern vor ihnen lag, klingelte Wagners Handy.

Sie hörte es nicht.

Auf dem Rücksitz des Golf, wo es aus ihrem Blazer gerutscht war, klingelte es weiter, als wolle es sie zurückrufen. Das Display leuchtete in geisterhaftem Grün, und das Wort ANRUF blinkte auf.

Dann herrschte wieder Stille.

KUHN

Kuhn saß, das Nokia ans Ohr gepresst, auf seinem Hocker in der Bar des Maritim und fragte sich, warum Wagner nicht ranging. Sie gehörte zu den Menschen, die mit der kleinen Maschine nahezu verwachsen waren. Sie war immer zu erreichen. Was hielt sie ab?

Ratlos drückte er die OFF-Taste.

Seit einer halben Stunde waren seine Pressereferentin und der verrückte Physiker jetzt fort. An sich waren dreißig Minuten keine lange Zeit, aber sie hatten ausgereicht, Kuhns Hirnkasten in einen Resonator zu verwandeln. Inzwischen schien es ihm eine Ewigkeit her zu sein, dass sie auf die Schnapsidee verfallen waren, diesen Clohessy aufzusuchen.

Es war keine gute Idee gewesen, das zu tun.

Er war beunruhigt. Im Verlauf der einsamen halben Stunde hatten sich seine Gedanken zu Hypothesen aufgeschaukelt, die als aberwitzig hätten gelten müssen, wären sie nicht so ernüchternd schlüssig gewesen. Köln fieberte dem zweiten, dem eigentlichen Gipfel entgegen. Seit Helmut Kohl Kölns regierendem Oberbürgermeister Norbert Burger zwei Jahre zuvor das Medienereignis in die Hand versprochen hatte, um die Rheinländer über den Verlust der Hauptstadt hinwegzutrösten, war die Stadt beseelt vom Odem der Geschichte.

Die Weltsicht eines Altkanzlers, der Momente als historisch zu bezeichnen pflegte, bevor sie es wurden, paarte sich mit Schröder’- scher Parkettsucht und rheinischem Selbstbewusstsein. Ein exzeptionelles Sicherheitsprocedere hatte schon Monate vor dem denkwürdigen Juni eingesetzt, protokollarische Abläufe von höchster Komplexität hatten ihren Weg durch die Instanzen gefunden und einen logistischen Frankenstein entstehen lassen, den Myriaden von Verantwortlichen mitschufen in der Hoffnung, nicht die Kontrolle darüber zu verlieren. Kompetenzen wurden gegeneinander abgewogen, und Köln wurde zur Schnittstelle des internationalen Austauschs.

Nie zuvor hatten sich so viele diplomatische Vertreter und Sicherheitskräfte unterschiedlichster Nationen hier herumgetrieben. Die einen organisierten, die anderen sahen ihnen auf die Finger, um jedes Risiko auszuschließen.