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Mit behutsamen Schritten, darauf bedacht, den Dielen kein weiteres Knarren zu entlocken, stieg er wieder hinab in den zweiten Stock. Sein Blick fiel auf die Wohnungstür.

Täuschte er sich, oder stand sie einen Spalt offen?

Er ging darauf zu. Nachdem Clohessy und der Slawe fort waren, konnte er eigentlich einen Blick hineinwerfen.

Seine Hand zitterte, als er sie auf den kühlen Messinggriff legte. Geräuschlos und wie in Zeitlupe schwang die Tür auf.

Kuhn war zum Weglaufen.

Stattdessen ging er hinein.

MIRKO

Es entsprach nicht Mirkos Naturell, Mitleid zu empfinden. Heute, im Falle Paddy Clohessys, beschlich es ihn auf eigentümliche Weise. Clohessy hatte etwas Tragisches. Er hätte ein hervorragender Professional sein können. Leider paarte sich sein immenses Können mit völliger Unfähigkeit zu nüchternem Denken. Er hatte das System meisterhaft installiert, war perfekt in seiner Tarnung als Ryan O‘Dea aufgegangen. Bis Gefühle ins Spiel kamen. Solange es um Sachverhalte ging, war Clohessy Gold wert. Wurde es emotional, versagte er auf der ganzen Linie.

Sie überquerten die Straße.

»Wo steht dein Wagen?«, fragte Mirko.

»Etwa hundert Meter weiter die Straße hoch. Es sind nur ein paar Schritte, wir können–«

»Wir nehmen meinen«, unterbrach ihn Mirko.

Clohessy blieb stehen.

»Warum müssen wir mit deinem Wagen fahren?«, fragte er.

»Weil ich es sage.« Mirko seufzte und breitete die Hände aus. »Paddy, wir haben keine Zeit zu verlieren. Jede Sekunde, die wir hier herumstehen und diskutieren, kostet uns wertvolle Zeit.«

Clohessy schluckte. Plötzlich sah Mirko, dass er weinte.

»Ich habe Angst«, flüsterte er.

Mirko schüttelte sachte den Kopf. Dann trat er auf Clohessy zu, legte ihm den Arm um die Schulter und zog ihn zu sich heran.

»Paddy«, sagte er leise. »Alter Junge. Wir haben das hier gemeinsam durchgestanden. Wir haben ein halbes Jahr auf diesen Moment hingearbeitet. Wir sind so wenige, glaubst du denn, Jana und ich lassen ein Mitglied der Gruppe einfach so fallen?«

Clohessy schwieg. Sein Körper umfasste sich wie ein Brett.

»Natürlich wirst du noch diese Nacht untertauchen müssen. Das ist beschlossen. Du musst das Team verlassen, es ist zu gefährlich, wenn du morgen noch in Köln bist. Überprüfe das System, bring es in Ordnung. Dann holst du deinen Koffer und verlässt das Land.« Er fuhr Clohessy freundschaftlich durch die Haare. »Und zwar schnell, verstanden? Dein Geld liegt bereit. Ich bin sicher, du wirst Gruschkow lediglich ein paar Hinweise geben müssen. Ich fahre dich dann wieder hierher. Mit dem Wagen wirst du in weniger als einer Stunde über die holländische Grenze sein.«

Clohessy atmete schwer aus. Dann nickte er.

»Ich dachte, ihr bringt mich um«, sagte er leise.

Mirko zog die Brauen zusammen.

»Wie gesagt, das haben wir erwogen. Aber es wäre nicht der Stil des Hauses. Und wir brauchen dich.«

»Okay.«

»Eines nur, Paddy – es ist unabdingbar, dass du dich versteckt hältst, bis wir die Sache hinter uns gebracht haben. Falls du morgen noch in Köln bist, wenn es so weit ist, kann ich nichts mehr für dich tun. Hast du verstanden?«

»Natürlich.« Clohessys Stimme klang fester. Er wischte sich über die Nase und setzte ein zuversichtliches Grinsen auf. »Wird schon.«

»Sicher. Jetzt komm.«

Sie gingen nebeneinander her und passierten die würdige Phalanx der Luxusaltbauten, die dem Park gegenüberlagen. Mirkos Geländewagen parkte unter einer riesigen Kastanie.

»Steig ein«, sagte er. »Es ist offen.«

Clohessy kletterte auf den Beifahrersitz. Mirko rutschte von der anderen Seite hinters Steuer.

»Willst du eine Cola?«, fragte er freundlich.

Paddy nickte dankbar.

Mirko griff hinter ihn, krallte die Rechte in Paddys Haar und schlug seinen Kopf gegen die Beifahrerkonsole. Es gab ein hässliches Knirschen. Paddy ächzte. Seine Hände fuhren hoch, die Finger spreizten sich und griffen ins Leere. Intuitiv musste er begriffen haben, dass ihm ein tödlicher Fehler unterlaufen war, aber der Angriff war zu schnell erfolgt, als dass er die Erkenntnis noch in Abwehr hätte umsetzen können. Erneut knallte seine Stirn gegen den Kunststoff. Sein Körper erschlaffte. Mirko zog mit der linken Hand eine kleine schallgedämpfte Walther PPK aus dem Futteral, presste den Lauf in Paddys Nacken und drückte ab.

Der dezente Tod. Kein Geräusch auf der Welt war dem einer abgefeuerten Pistole mit Schalldämpfer vergleichbar.

Als wolle er an Mirkos Schulter Trost suchen, sackte Paddy gegen ihn.

Mirko steckte die Waffe zurück in die Halterung, griff nach einem bereitliegenden Tuch und wickelte es dem Toten um Hals und Nacken. Die Walther PPK machte nicht ganz so kleine Löcher wie die TPH, aber immer noch recht dezente. Halt britisch. Mirko wusste, wie man jemanden tötete, ohne hinterher den Wagen reinigen zu müssen. Allenfalls Spurensicherer hätten winzige Blutspritzer in dem Jeep entdecken können. Dem bloßen Auge präsentierte sich ein makellos sauberer Innenraum.

Mirkos Blick suchte die Straße ab. Zwei Wagen kamen vorbei. Er wartete, bis ihre Rücklichter zu Punkten geschrumpft waren. Dann wuchtete er Paddy mit geübtem Griff in den Fond, zog eine Decke über den Körper und knüllte eine schwarze Plane obendrauf. Nichts wies mehr darauf hin, dass außer Mirko ein weiterer Mensch in dem Wagen war.

Er zündete eine Zigarette an und überlegte.

Als Nächstes würde er den Leichnam in die Spedition bringen, später dann Paddys Wagen. Vorher musste er noch einmal in die Wohnung und sicherstellen, dass sie nichts enthielt, was Spurensicherer auf ihre Fährte bringen konnte. Im Falle einer Untersuchung sollte es so aussehen, als sei Paddy überstürzt abgereist. Praktischerweise war ihm der Ire mit seinen Fluchtplänen ungewollt entgegengekommen. Viel blieb nicht zu tun. Paddy hatte in seiner Angst nicht einmal mitbekommen, dass Mirko die Wohnungstür nur angelehnt hatte. Es ersparte den neuerlichen Einsatz von Werkzeug.

Er stieg aus, verschloss den Jeep und ging mit federnden Schritten zurück in die Rolandstraße.

Sie hätten Clohessy ohnehin nicht mehr gebraucht. Er hatte das System meisterhaft installiert. Es funktionierte einwandfrei.

KUHN

»Hallo?«

In der Wohnung war es stockdunkel. Das konnte ein gutes oder schlechtes Zeichen sein. Gut, wenn Wagner und O’Connor nicht hier waren. Weniger gut, wenn doch. Im Kino war man dann entweder tot oder gefesselt und geknebelt.

Du bist aber nicht im Kino, sagte sich Kuhn zum wiederholten Male. Hör endlich auf, die Pferde scheu zu machen!

Seine Hand betastete den Innenrahmen der Wohnungstür, bis seine Finger einen Schalter berührten. Das Aufflammen der schmucklosen Deckenleuchte erhellte auch sein Denken. Wer sah, konnte gesehen werden. Einem Reflex folgend zog er die Tür hinter sich zu, so dass sie ins Schloss fiel, atmete tief durch und drehte sich um.

Er war nicht allein!

Mit einem unterdrückten Schrei fuhr er zurück und prallte schmerzhaft gegen die Tür. Der Mann ihm gegenüber, der plötzlich und unerwartet in sein Blickfeld getreten war, tat das Gleiche. Er musste sich ebenso erschrocken haben wie Kuhn. Auch in seinem Rücken war eine hohe, zweiflügelige Tür zu erkennen, auch in seinen Augen stand das Entsetzen.

Auch er sah aus wie Kuhn.

In plötzlichem Begreifen knurrte der Lektor sein Spiegelbild an und fühlte, wie aufkochender Zorn die Furcht verdrängte. Er schüttelte sich und warf einen Blick in die Diele. Buchstäblich nichts war darin zu sehen außer einigen Garderobenhaken und einem billigen Läufer zu seinen Füßen. Beidseitig und am Ende des Flurs standen Zimmertüren halb offen.