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»Interessant. Was hat das mit Köln zu tun?«

Kuhn wies mit einer schwungvollen Geste auf das Hyatt, und Wagner musste sich ducken, um nicht aus Versehen erschlagen zu werden. »Glauben Sie, hier wäre das anders? Das ganze Geld geht doch durch den Schornstein, weil jeder jeden zu koordinieren versucht. Politische Logistik ist ein Kostenmonster, das von berufsmäßigen Anfängern geschaffen wird! Sie geben eine Heidenkohle aus einzig für den Zweck, den Durchblick zu behalten. Dieser Gipfel kostet eine zweistellige Millionensumme. Ich gehe jede Wette ein, dass ein Großteil der Kosten nur entsteht, weil Amateure damit betraut wurden. So ist das nämlich.«

»Ahja.«

»Ahja! Schröder, unser aller Feldherr, was meinen Sie, was wollte der wohl?«

Kuhn sah sie erwartungsvoll an. Wagner seufzte.

»Kanzler werden«, sagte sie um des lieben Friedens willen.

»Ganz richtig! Und sonst gar nichts. Der wollte tatsächlich Kanzler werden, obwohl er sich für Politik überhaupt nicht interessiert hat. Plötzlich war er’s aber, da hat er nachgedacht und sich überlegt, was machen wir denn jetzt? Ein Amateur, sicher mit den allerbesten Absichten. Nur, wissen Sie, was allein diese ersten Wochen uns alle gekostet haben?«

Wagner sah ihn an, während der Bus losruckelte.

»Sie reden dermaßen kreuz und quer, dass man Kopfschmerzen bekommt«, sagte sie.

Kuhn hob die Brauen und pulte etwas aus seinen Zähnen.

»Ich versuche lediglich, Sie für den politischen Alltag zu sensibilisieren.«

»Sensibilisieren Sie mich lieber für O’Connor«, schnaubte Wagner. »Gibt es noch irgendetwas, das ich über ihn wissen sollte?«

Kuhn grinste und sah angelegentlich auf ihre Beine.

»Eigentlich nicht.«

»Ich warne Sie. Irgendein dummer Spruch von Ihnen, wenn er vor uns steht, und Sie können sich allein mit ihm rumschlagen.«

»O’Connor ist der netteste Mensch der Welt«, flötete Kuhn.

Wagner bedachte ihn mit einem grimmigen Blick. Dann musste sie unversehens lachen, biss sich auf die Unterlippe und sah demonstrativ aus dem Fenster. Über der Deutzer Brücke wehten bunte Fahnen.

Kuhn machte es seiner Umwelt nicht gerade leicht, ihn zu mögen. Er schien als Kind ohne eigenes Verschulden in ein Fettnäpfchen gefallen zu sein, erwies sich jedoch, was die Erzeugung und Meisterung von Peinlichkeiten anging, als konsequent schmerzfrei. Es fiel ihm nicht auf, wenn er anderen Leuten die Tür vor der Nase zuschlug. Er fand nichts dabei, in Gegenwart einer Dame seinen weit geöffneten Rachenraum zu befingern. Einen Spiegel schien er ebenso wenig zu besitzen wie einen Kamm, durch die Kinderstube war er mit dem Schnellzug gefahren, und was er sich an zweifelhaften Komplimenten gestattete, ging nicht zuletzt darum so derb unter die Gürtellinie, weil es im Grunde lieb gemeint war.

Seltsamerweise nahm die Persönlichkeit des Lektors diametral entgegengesetzte Züge an, sobald es um seine Arbeit ging. Vor seiner Hinwendung zu wissenschaftlichen Themen hatte er das Ressort Politik bei Rowohlt geleitet mit Schwerpunkt USA und UdSSR. Kuhn konnte einem die Geschichte des amerikanischen Präsidentialismus ebenso dezidiert und spannend auseinander legen wie die Emissionsmodelle schwarzer Löcher, und er war ein brillanter Lektor. Umso mehr verwunderte das zusammenhanglose Geschwafel, das er mitunter von sich gab. Wagner schien es, als versuche er sich mit seinem unbeholfenen Stammtischgehabe auf das Terrain Normalsterblicher herabzubegeben, wie er sie empfand – als sämtlich halbgebildet –, weil er im Grunde einfach nur Anschluss suchte. Humor besaß er möglicherweise, wenn auch höchst zweifelhaften. Er lachte antizyklisch, also bevorzugt dann, wenn es sonst keiner tat. Unterm Strich war er schlicht und einfach ein übrig gebliebener Achtund- sechziger mit Bildung, die ihn daran hinderte, Spaß zu haben.

Der Bus fuhr auf den Parkplatz hinter dem alten Messegelände und stoppte. Sie stiegen aus und gingen einige Meter zu Fuß.

»Wo steht Ihr Wagen?«, fragte Kuhn und sah sie mitleidig an. »Bei der Größe einer Straßenlaterne sicher ein Problem, was Passendes zu finden. Ich meine, will sagen, dass Ihre… äh… Beine…«

Wagner starrte zurück. Sie tat nichts, als ihn einfach mit Blicken zu geißeln.

»Tja… vielleicht… ein Mini?«

Wagner holte tief Luft. Kuhn machte runde Augen und gab sich den Anschein von Bestürzung.

»Doch nicht etwa eine Isetta!?«

Er hatte Humor!

Wagner verfrachtete ihn auf den Beifahrersitz ihres Golf und riskierte ein Auge, ob sich ihr Sitz noch ein Stück weiter zurückstellen ließ. Er war am hintersten Anschlag arretiert. Rien ne va plus. Sie klemmte sich hinters Steuer und hoffte, ihre Knie würden nicht so sehr nach oben stehen.

Kuhn beobachtete sie, sagte aber nichts.

»Los«, forderte Wagner ihn auf, »tun Sie was Nützliches und verraten Sie mir, wann und wo O’Connor genau ankommt.«

»Ich dachte, das wüssten Sie.«

»Nicht genau.«

»Komisch, ich meine, ich hätt’s Ihnen…«

»Wann?«, donnerte Wagner. Kuhn zuckte zusammen.

»10.40 Uhr. Wir, äh… sollen in der Lufthansa Lounge auf ihn warten. Die begleiten ihn bis an die Bar.«

Bis an die Bar. Heiliger Sankt Patrick!

Wagner drehte den Zündschlüssel und fuhr los. Kuhn rutschte unruhig auf seinem Sitz hin und her. Dann beugte er sich zu ihr herüber und setzte das Gesicht auf, das sie von ihm kannte, wenn er etwas Freundliches sagen wollte. Sie hoffte, er würde es unterlassen.

»Ich zum Beispiel bin ja nicht besonders groß .«, begann er.

Wagner gab Gas. Kuhn plumpste zurück in seinen Sitz und gab etwas von sich, das wie »Oh!« klang.

Vielleicht hatte aber auch nur der Motor aufgeheult.

1998. 02. DEZEMBER. MIRKO

Am Tag, als Mirko das zweite Mal zum alten Kloster draußen in den Bergen fuhr, hatte er eine halbe Zusage in der Tasche. Gemessen an den exorbitanten Schwierigkeiten, die sein Auftrag mit sich brachte, wog sie mehr als eine ganze, die ihm irgendjemand sonst hätte machen können. Es war immer noch weniger, als er sich wünschte, und dennoch mehr, als er zu hoffen gewagt hatte.

Anders als vor zwölf Tagen entsprach das Wetter der Jahreszeit. Es regnete. Die Hügel und höheren Erhebungen verbargen sich in schlierigem Grau. Je höher er kam, desto mehr senkten sich die Schwaden nieder und krochen kolossalen Raupen gleich auf die schmale Straße zu. Das Himmelreich lastete auf den Menschen und ängstigte sie zu Lebzeiten.

Mirko stellte das Radio an, aber hier oben empfing er nichts als Rauschen. Er legte eine Kassette ein.

Leise Musik erklang, irgendein Kaufhauszeug. Missmutig dachte er daran, dass er dem alten Mann eine Woche versprochen hatte. Es ärgerte ihn, länger gebraucht zu haben, der einzige Schönheitsfehler in seiner ansonsten gelungenen Recherche. Aber wenn sie sich heute einig würden über den Preis, bestand Aussicht, dass alles Weitere sehr schnell vonstatten ging.

Das musste es auch. Sie hatten ein halbes Jahr zur Verfügung, und das war nicht viel.

Aus dem Dunst tauchte das gezackte Band einer Serpentine auf, die aus den Wäldern in die steileren und kahlen Berge führte. Mirko schaltete zurück und trat aufs Gas. Der Geländewagen schraubte sich hoch, bis er über die Kuppe war und sich das jenseitige Tal vor ihm öffnete. An schönen Tagen konnte man von hier die ganze Ebene überblicken, in der das Kloster lag, bis dorthin, wo der nächste Gebirgszug begann.