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Aber vielleicht gab es ja einen Weg.

Sie spielte es durch. Falls O’Connor sich einschaltete, würde ein Ermittlungskommando schnell feststellen, wer sich hinter Ryan O’Dea verbarg. O’Connor war gefährlich, aber ihn zu liquidieren ergab keinen Sinn. Es ließ sich nicht rekonstruieren, wem er inzwischen alles von Paddy erzählt hatte. Aber sie konnten ihn seiner Glaubwürdigkeit berauben. Und auf diese Weise mögliche Ermittlungen in eine falsche Richtung lenken.

Sie beschloss, Gruschkow zu wecken. Sein Zimmer lag im Stockwerk über ihr. Jana wusste, dass der Programmierer darauf brannte, etwas zu tun. Er langweilte sich, weil alles installiert war und sie nur herumhängen und warten konnten. Vielleicht war es keine schlechte Idee, wenn er O’Connor und die Frau vorübergehend im Auge behielt.

Der Plan reifte in ihrem Kopf, wurde umgestaltet, verfeinert, erneut gecheckt, perfektioniert, alles in wenigen Sekunden.

So konnte es gehen.

»Hören Sie, Mirko?«

»Ja.«

»Tun Sie Folgendes. Schreiben Sie einen Brief.«

WAGNER

Es war zwanzig nach drei, als sie sich gegenseitig in ihre zerrissenen Kleidungsstücke halfen und darüber in albernes Gekicher ausbrachen.

»War das Hemd teuer?«

»Sehr. Gerade richtig, von dir zerfetzt zu werden. Was ist mit deiner Bluse? Erinnerungsstück an die verstorbene Oma?«

»Selbstverständlich.«

»Tut mir leid. Hat dir gut gestanden.«

»Ihr Geist wird über uns kommen. Wüstling! Du hast zu viele Filme mit Michael Douglas gesehen.«

»Irrtum. Er hat zu viele Filme mit mir gesehen.«

Sie traten aus der Kuppel des Baumes hinaus in den Park. Beinahe wollte sich Trennungsschmerz einstellen. Sie verließen nicht einfach einen Ort, sondern eine Insel jenseits der Zeit. Ein Anderswo, dachte sie.

Würde es ein Anderswo bleiben?

Sie dachte an den morgigen Tag. Sie konnten ausschlafen, sich lieben, faulenzen. Sie selbst hatte erst am späten Nachmittag eine Reihe von Terminen wahrzunehmen. Obgleich ihre Funktion die einer verdeckt agierenden Anstandsdame für O’Connor war, hatte es den Verlag nicht davon abgehalten, sie außerdem mit zwei Besuchen in der Kulturredaktion des WDR und bei RTL zu betrauen. Um halb fünf würde sie die Öffentlich-Rechtlichen treffen, eineinhalb Stunden später die Privaten. Danach, wenn es sich nicht allzu sehr hinzog und niemand dort auf die Idee kam, sie zum Abendessen einzuladen, war sie wieder frei. Frei für alles.

Eng umschlungen schlenderten sie an dem Weiher entlang. Über ihnen erstrahlte kühl und scharf die Sichel des Mondes.

»Geht es dir gut?«, fragte O’Connor nach einer Weile.

»Traumhaft. Und dir?«

»Ich bin geradezu unanständig guter Laune«, sagte er. »Wollten wir nicht jemanden beschatten?«

»Du hast mir verboten, darüber nachzudenken.«

»Seit wann lässt du dir irgendwas verbieten?«

»Schlossen die Spielregeln Nachdenken nicht aus?«

»Allzu wahr.«

»Aber du hast natürlich Recht. Was machen wir denn jetzt mit unserem guten Paddy?«

O’Connor überlegte.

»Das entscheiden wir, wenn dein Wagen noch da steht, wo du ihn abgestellt hast.«

Wenige Minuten später kletterte Wagner auf den Beifahrersitz des Golf. O’Connor hatte darauf bestanden, ihn zu fahren. Ihr war es recht. Irgendwie war ihr alles recht, solange es nicht endete.

Einer Eingebung folgend griff sie hinter sich und fingerte nach ihrem Handy.

»Was machst du?«, fragte O’Connor, während er im Dunkeln das Zündschloss suchte.

»Dachte, ich hätt’s im Park verloren«, sagte sie. »Bist du eigentlich sicher, dass du mit links gesteuerten Autos zurechtkommst?«

»Nein.«

»Und Paddy?«

Er schüttelte den Kopf.

»Es dürfte ein bisschen spät sein, sich mit ihm zu unterhalten. Ich schlage vor, wir fahren morgen – pardon, heute früh zum Flughafen, wenn er wieder Dienst hat. Ich rede mit ihm, sofern er dazu bereit ist. Sollten wir danach immer noch der Meinung sein, es sei was im Busch, bemühen wir die allgewaltige Polizei.«

»Klingt vernünftig.«

Sie gähnte und reckte die Arme. Ihr Blick fiel auf das Display des

Handys, das sie immer noch in den Fingern hielt.

»Mist«, entfuhr es ihr.

Er sah zu ihr herüber.

»Was ist los?«

»Kein Platz für neue Kurzmitteilungen. Steht da. Jemand hat mir eine SMS geschickt, aber der Speicher ist voll.«

»Erwartest du irgendwas von Wichtigkeit?«

Sie runzelte die Stirn. Nacheinander rief sie die gespeicherten Mitteilungen auf. Sie stammten von Freundinnen, Bekannten, Mitarbeitern. Nichts, was man nicht hätte löschen können, nur dass sie es ständig vergaß und geflissentlich den aufblinkenden kleinen Briefumschlag übersah, der ihr anzeigte, wenn der Speicher voll war.

»Nein«, sagte sie. »Vielleicht der Verlag. Oder Kuhn.«

O’Connor startete den Wagen. Während sie zurück zum Hotel fuhren, löschte sie nacheinander die belegten Speicherplätze. Trotzdem war damit zu rechnen, dass die ominöse Nachricht, für die kein Platz gewesen war, jetzt stundenlang im Äther herumkurvte, bevor sie zu ihrer Adressatin fand.

Das D2-Display erschien und wurde sofort durch einen neuen Text ersetzt.

FÜNF ANRUFE IN ABWESENHEIT.

»Alle Wetter«, staunte Wagner. »Schwer was los im Netz. Wir waren sehr gefragt in den vergangenen drei Stunden.«

»Kannst du sehen, wer es war?«

KEINE NEUEN NUMMERN, sagte das Display.

»Das ist saublöd an dem Ding«, fluchte sie. »Es sagt dir, dass es den Anrufer kennt, aber nicht, wer’s war. Ich habe an die drei Dutzend Nummern hier drin, jeder könnte es gewesen sein.«

O’Connor überlegte.

»Wer könnte es denn morgens zwischen zwölf und drei gewesen sein?«

»Gute Frage.«

»Ob Kuhn uns vermisst hat?«, mutmaßte er. »Vielleicht wollte er ja wissen, was wir treiben.«

O’Connor hatte Recht. Das ergab einen Sinn. Kuhn war nicht glücklich über ihre Idee gewesen, zu Paddy Clohessy hinauszufahren, und außerdem hatte er beleidigt gewirkt.

»Meinst du, ich rufe ihn mal an?«

»Um diese Zeit? Es ist halb vier durch, Kika! Er wird toben. Ja, ruf ihn an. Sehr gute Idee.«

»Du bist ein Scheusal. Ich meine nur, vielleicht gibt es ja wirklich was Wichtiges.« Sie zögerte. Dann zuckte sie die Achseln. »Okay, ich rufe ihn an. Mehr als mir den Kopf abreißen, kann er nicht.«

Sie wählte die Nummer seines Mobilphones. Über das Hotel mochte sie ihn nicht wecken lassen, falls er schlief, was anzunehmen war. Sie würde es nicht ewig klingeln lassen. Wenn er nicht dranging, war es auch gut.

Aber er meldete sich schon nach dem dritten Signalton.

»Hier ist Kika.« Sie stockte. »Alles okay? Tut mir leid, wenn ich Sie geweckt habe, aber .«

»Sie haben mich nicht geweckt«, sagte seine Stimme. »Ich habe gelesen.«

»Gelesen?«

»Ja, ähm… ich hatte mir was mitgenommen. Dieses Manuskript von dem Typ, der einen Roman über die Staufer geschrieben hat. Wir haben mal darüber gesprochen.«

Irgendwie klang er komisch, fand Wagner. Nicht gerade übellaunig, eher niedergeschlagen.

»Ja, sicher«, sagte sie. »Die Staufer. Sie haben nicht zufällig heute Nacht auf meinem Handy angerufen? Ich konnte eine Weile nicht drangehen, und…«

»Was?«

»Mein Handy.« Was war los mit ihm? Er wirkte weggetreten. Wahrscheinlich war er kurz davor, über seinem Manuskript zusammenzuklappen. »Ich wollte wissen, ob Sie mich in den letzten Stunden angerufen haben.«

»Nein. Warum hätte ich anrufen sollen?«

»Keine Ahnung.«