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»Sie haben ihn einmal bewundert.«

»Ich habe seine Entschlossenheit bewundert, den Serben zurückzugeben, was ihnen zusteht. Auch, dass er bereit war, es mit jedem dafür aufzunehmen. So etwas geht nicht ohne Kampf ab, das war uns allen klar. Aber ich kann keinen Schlächter bewundern, Mirko. Attentate sind Symbole. Völkermord ist Barbarei. Das war Milosevic vom ersten Tag an klar. Er hat uns belogen und betrogen. Er hat sogar gewusst, dass er seine eigenen Leute opfern wird für seine… Sache. Noch vor einem halben Jahr war ich mir dessen nicht so sicher.«

Jana trank einen Schluck von ihrem Kaffee und sah Mirko ruhig in die Augen.

»Verstehen Sie, ich habe aufgehört, für Sachen zu kämpfen. Ich wollte niemals Gemetzel, KZ und Vertreibung, für niemanden. Ich wollte keine Mörderin werden. Ich wollte nicht töten für die Interessen eines anderen oder für bloßes Geld. In allem bin ich gescheitert. Was bleibt, ist die besondere Befähigung zur Ausübung meines Berufs. Ich töte Menschen und werde dafür bezahlt. An Sachen kann ich nicht mehr glauben, und die Zeit zurückdrehen kann ich noch viel weniger, also bleibt mir die Wahl zwischen Erhängen auf dem nächsten Dachboden oder dem Bekenntnis zu meiner Profession. Offen gestanden, ich bin keineswegs so verbittert, dass es mir den Spaß am Leben raubt. Ich bin immens reich geworden über die Zeit, und ich lebe verdammt gut dabei. Ein bisschen inhaltsleer vielleicht. Aber das könnten fünfundzwanzig Millionen durchaus ändern.«

Mirko sah sie an und fühlte sich in gleicher Weise unangenehm berührt wie angezogen.

»Sie sollten mir all das nicht erzählen«, sagte er.

»Warum nicht? Ich finde es albern, düstere Geheimnisse mit sich rumzuschleppen. Ich hadere nicht mit dem, was ich tue. Es ist mein

Beruf. Er ist es geworden. Wir alle führen Stellvertreterkriege. Auch Sie. Es interessiert mich nicht, welche Hinterhofgeschichte Ihnen den Anstoß gegeben hat, zu werden, was Sie sind. Jeder statuiert auf seine Weise ein Exempel. Milosevic bringt nicht die Welt der Serben in Ordnung, sondern nur seine. Europa ist voll des reinsten Altruismus und erfüllt doch am Ende seinen Bündnispakt mit Amerika. Und Deutschland? Was glauben Sie, welchen Stellvertreterkrieg führen die Deutschen?«

»Ich weiß es nicht.«

Jana lächelte.

»Sie bombardieren ihr verkorkstes Jahrhundert, Mirko. Nirgendwo sonst ist die Intervention gegen mein Volk so oft mit Auschwitz begründet worden wie in Deutschland. Darum waren die Deutschen so einvernehmlich schweigsam, während in Belgrad die Bomben fielen, und darum wurde die Diskussion so seltsam unaufgeregt geführt. Sie alle hatten gewiss die besten Absichten, aber ich behaupte, dass sie in Wirklichkeit gar nicht Serbien bombardiert haben, sondern die Gestapo, die Waffen-SS und die Wehrmacht. Nachträglich, um endlich Absolution von der Erbsünde zu erhalten.«

Mirko hob die Hände.

»Sie haben vermutlich Recht«, sagte er. »Was ändert das?«

»Nichts. Ich wollte Ihnen nur klar machen, dass es keinen Grund gibt, mir für irgendetwas Ihre persönliche Anerkennung auszusprechen. Und um uns zu mögen, machen wir den falschen Job. Seien Sie nicht enttäuscht, Mirko. Fahren Sie zu Ihren Auftraggebern und sagen Sie ihnen, ich arbeite für mein Geld. Und dass ich es haben will, wenn die Arbeit erledigt ist. Das ist mehr als genug.«

Sie wandte sich ein Stück ab und trank weiter ihren Kaffee.

Mirko verharrte. Mehr denn je stellte er fest, dass er diese Frau bewunderte.

Eigentlich, dachte er, ist es jammerschade.

WAGNER

Sie schreckte hoch.

Im ersten Moment drehte sich alles in ihr. Sie versuchte zu ergründen, wo sie war. Ihr Herz klopfte wie wild. Die Phantome eines unruhigen Traumes verblassten im heraufdämmernden Tageslicht und hinterließen Eindrücke von Tod und Bedrohung.

Etwas hatte sie gejagt.

Neben sich konnte sie ein paar Füße ausmachen. Sie hob den Kopf und ließ den Blick daran entlangwandern, erkannte Beine, einen flachen Bauch, kräftige Schultern, einen ganzen Menschen. Es war O’Connor. Sein Atem ging ruhig und gleichmäßig, sein Kopf ruhte seitwärts geneigt auf dem Kissen. Bei seinem Anblick mischte sich ein tiefes Empfinden von Lust in die nervöse Unruhe, aber der daraus resultierende Cocktail war insgesamt eher verwirrend als erfreulich.

Wie es aussah, war sie diejenige, die verkehrt herum lag.

Langsam beruhigte sich ihr Herzschlag.

Warum träumte man so furchterregend, wenn das Glück nicht mehr zu steigern war?

Unsicher setzte sie sich auf und zwang die letzten Stunden in eine Chronologie. Nacheinander, wie verlorene Kinder, stellten sich die Bruchstücke dessen, was geschehen war, nachdem sie aus der Kuppel des Baumes hinausgetreten waren, wieder ein.

Sie war im Maritim.

Ihre Augen erfassten die Anrichte gegenüber dem Bett.

Beim Anblick der viertel vollen Flasche unter dem Spiegel ordnete sich mit einem Mal alles wie von selbst. Das Telefonat mit Kuhn, als sie hergefahren waren. Der Verlag hatte ihn abberufen. Mitten in der Nacht, wie es schien. Er würde in Essen und Düsseldorf sein und wahrscheinlich erst in den Abendstunden wieder eintreffen. Es war unfassbar! Sie hatten den Nachtportier dazu gebracht, ihnen eine

Flasche von dem Zeug zu organisieren, morgens um vier. Dann waren sie auf O’Connors Bett gekrochen und hatten tatsächlich angefangen zu trinken, zu erschöpft, sich ein weiteres Mal zu lieben, und dennoch wild entschlossen, den Moment niemals enden zu lassen.

Wie lange konnte ein Mensch so etwas durchhalten, wenn er nicht O’Connor hieß?

Sie schwang die Beine über die Bettkante und grübelte darüber nach, was sie geweckt hatte. Von allein war sie nicht wach geworden. Da war ein Geräusch gewesen. Unangenehm, penetrant.

Ein Piepen.

Ein doppeltes, schneidendes Piepen, wie es ihr Handy von sich gab, wenn eine Kurzmitteilung eingetroffen war.

Die Nachricht!

Etwas zu hastig sprang sie auf die Beine und taumelte. Wie lange hatte sie geschlafen? Das Ziffernblatt ihrer Uhr wechselte mehrfach seine Position, bis ihr Wahrnehmungsvermögen es schaffte, Zeiger und Zahlen zu einem klaren Ganzen zu koordinieren.

Viertel nach acht. Kein Wunder, dass sie kaum in der Lage war, gerade zu stehen.

Mit tastenden Schritten bewegte sie sich durch das Chaos aus verstreuten Kleidungsstücken, das den Boden weiträumig bedeckte. Fast wäre sie auf das Handy getreten. Es lag neben einem ihrer Schuhe. Sie bückte sich und merkte, wie ihr Hirn im Schädel nach vorne rutschte und weich gegen den Stirnknochen klatschte. Kurz wurde ihr übel, und sie musste sich unverrichteter Dinge wieder in die Senkrechte begeben. Beim zweiten Versuch war sie vorsichtiger. Langsam, das Handy in der Rechten, kam sie wieder hoch und las die Schrift im Display.

KURZMITTEILUNG ERHALTEN

Nacheinander drückte sie die Funktionen durch, bis die Nummer des Absenders im Sichtfenster erschien.

Es war Kuhns Nummer.

Kuhn?

Etwas sagte ihr, dass eine Unlogik darin lauerte, aber ihr fiel nicht ein, warum. Mit einem weiteren Daumendruck holte sie den Text auf den Bildschirm. Die Zeichen formten sich zu Worten. Apathisch starrte sie darauf, zuerst unfähig, einen Sinn in dem kurzen Text zu erfassen.

HILF – PADYS WONUN – DERJAK – DERIJAG? SCHIESST – HABEN PROBLEM – PIEZA DATSPIGLEN – OBJEKT V -

Darunter erschien Kuhns Nummer ein weiteres Mal in der Absenderzeile.

Aber das war es nicht, was ein Gefühl tiefer Unruhe in ihr aufziehen ließ.